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sein könnte. Er sah aber, wie sie tief Atem holte und wie sie noch immer ganz ausser Fassung war.

      Unter dem Vorhange der Thür, die auf der anderen Seite ins Musikzimmer führte, tauchte nun Heinz auf, ohne dass sie es bemerkten. Als er sie abermals beisammen sah, lächelte er spöttisch, hatte aber nicht den Mut, an ihnen vorüberzugehen. So zog er sich denn zurück und ging, da er die Stimmen der Alten gehört hatte, auf den Korridor hinaus, um von hier aus nach vorn zu gelangen. Es machte ihm nicht viel Umstände, da er sehr genau Bescheid wusste. Bevor er es aber wagte, einzutreten, erkundigte er sich bei Anton, der im Garderobenraum herumlungerte, wer alles anwesend sei.

      „Der alte Treuling auch? Ach was!“

      „Ja, die Herrschaften waren lange nicht hier,“ gab Anton ehrerbietig zur Antwort. Er hatte mit der Zeit die guten Trinkgelder des Künstlers schätzen gelernt und benutzte daher jede Gelegenheit, sich entgegenkommend zu erweisen. Und so fuhr er gleich fort, leise und unterdrückt, mit der Unverschämtheit eines schlauen Schlingels, der sich beliebt machen möchte:

      „Die Herrschaften waren etwas gespannt, jetzt scheint aber die Versöhnung gekommen zu sein. Herr Treuling junior und das gnädige Fräulein kennen sich schon von Jugend auf.“

      „So?“ warf Heinz gleichgiltig ein. Er hielt es unter seiner Würde, noch weitere Fragen zu stellen, trat vor den Spiegel, zupfte an seiner Krawatte und musterte sich von allen Seiten. Was er vernommen hatte, genügte ihm vollständig. Er überlegte einige Augenblicke, ob er ohne weiteres hineingeben sollte, dann aber sagte er:

      „Wissen Sie, Sie könnten mich lieber anmelden.“

      Anton blickte ihn verwundert an. „Wie Sie wünschen, Herr Tetzlaff,“ sagte er, trat an die Thüre, die ins Rauchzimmer führte und klopfte leise.

      Hertha war allmählich ruhiger geworden. Wo steckt er denn nur? dachte sie und blickte hinter sich in der Meinung, Heinz werde ihnen gefolgt sein. Einige Augenblicke wartete sie; dann, als er nicht kam, wandte sie sich zu Eberhard:

      „Sie sehen mich in einer grenzenlosen Verlegenheit — wollen Sie mir eine Frage geradezu beantworten?“ flüsterte sie.

      „Verfügen Sie ganz über mich, Fräulein Hertha. Was es auch sei — Sie sprechen zu jemand, der Ihnen vollste Diskretion zusichert.“

      Es lag etwas in seiner Stimme, was sie aufs neue zurückschreckte. Plötzlich erhob sie sich und ranschte ein paar Schritte von ihm weg.

      „Nun?“ fragte er erstaunt.

      „Nein, lassen wir es lieber!“ sagte sie leise wie zuvor. „Es sollte auch gar nichts besonderes sein — es ist ja alles dummes Zeug.“

      Ihr Stolz empörte sich bei dem Gedanken, es könnte zwischen ihnen ein Missverständnis herrschen und sie die Gedemütigte sein ... Er soll nichts merken, niemals soll er die Gewissheit haben, falls man mir wirklich die Unwahrheit gesagt haben sollte! Entschlossenheit kam über sie; der Mut eines gekränkten Weibes, das mit Verzweiflung im Herzen es für notwendig hält, die Gleichgiltige zu spielen. Wenn wirklich alles für sie verloren war, dann brauchte er nicht anzunehmen, dass sie sich ihm aufdrängen wollte.

      „Nun will ich Ihnen auch die Antwort auf Ihre Frage von vorhin geben,“ begann sie wieder, indem sie ihn fest anblickte und sich Mühe gab, ihre Haltung zu bewahren. „Ja, ich willige ein, treue Kameradschaft mit Ihnen zu halten. Schlagen Sie ein!“

      Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, die er herzlich drückte, dann an die Lippen zog und küsste. Dabei fühlte er, wie ihr ganzer Körper erbebte.

      „Sie sind gut und edel, Fräulein Hertha. Es mag viel Tugenden geben, aber die grösste ist doch die, Verzeihung zu üben und auch einem anderen Gutes zu gönnen. Haben Sie vielen Dank! Vielleicht bin ich anmassend, wenn ich behaupte, ich wäre Ihnen nie ganz gleichgiltig gewesen. Aber Sie können auch überzeugt sein, dass ich stets Verehrung für Sie gehabt habe.“

      Er küsste ihre Hand aufs neue, und sie liess es ruhig geschehen. Widerstandslos durchkostete sie die ganze Seligkeit, die ihr seine Nähe bereitete.

      Noch immer hörte man die Stimmen der übrigen aus dem Arbeitszimmer hereinschallen, das durch einen grossen Salon von diesem Zimmer noch getrennt war. Plötzlich kam sie zum Bewusstsein ihrer Lage. Sie entzog ihm die Hand und sagte einfach:

      „Ihre Anerkennung meiner Tugenden ehrt mich sehr, aber ich bin nicht viel besser als Sie.“

      „Finden Sie es wenigstens ehrenwert, Fräulein Hertha, dass ich ein Mann bin, der sein Wort hält! Ich weiss, Sie werden das Ihrige auch halten,“ erwiderte er, ganz betroffen von ihrem Aussehen.

      Sie wusste genug, konnte sich aber nicht mehr bemeistern. Ihm abgewendet stand sie am anderen Fenster, stumm und unbeweglich. Das Zucken ihrer Schultern verriet, was in ihr vorging. Vorsichtig trat er auf sie zu; er sah die Thränen, die an ihren Wimpern hingen. Dieser Anblick rührte ihn, so dass er sie einige Augenblicke betrachtete, ohne etwas zu sagen.

      Zum ersten Male fiel ihm ihre ganze, merkwürdige Schönheit auf: ihre herrliche Gestalt, der Glanz ihres Haares, die ganze Vornehmheit ihrer Erscheinung, die unzertrennbar von ihrer Umgebung war. Bisher hatte er sie immer nur als heiteres, leicht durchs Leben tänzelndes Geschöpf kennen gelernt, das ihm keiner tieferen Regung fähig erschien; nun aber glaubte er ein ganz anderes Wesen vor sich zu haben, mit anderen Sinnen und anderen Gedanken. Wie taktvoll sie sich benommen hatte, wie zurückhaltend sie sich zeigte, wie natürlich ihr die ganze Entwickelung des Verhältnisses zwischen ihr und ihm vorkam! Und doch konnte sie ihren Schmerz um das verloren gegangene Glück nicht verbergen. Wie tief musste sie ihn also lieben! ...

      Merkwürdig — es war, als wollte sie ihn behexen. Und zum zweiten Male konnte er einen Vergleich zwischen ihr und Hannchen nicht zurückdrängen ... Wie würde sich diese Kleine wohl in einer ähnlichen Lage zurechtfinden, war der Anfang der stillen Betrachtung, die er austellte. Und plötzlich sah er sie im Geiste hier herumlaufen, sich ungeschickt benehmen, und sich selbst sah er als Hausherrn, der ihr ärgerlich Vorwürfe machte.

      Dann nahmen seine Gedanken eine andere Richtung ... Du bist ein schlechter Kerl! ... Er verwünschte nun die Stunde, die ihn hierher geführt hatte und Vorstellungen und Bedenken in ihm wach rief, welchen er längst entgangen zu sein glaubte.

      Endlich hielt er sich für verpflichtet, ein paar tröstende Worte zu sagen. Abermals ergriff er sanft ihre Hand und rief ihr mit gedämpfter Stimme zu:

      „Fassen Sie sich, Hertha! Es thut mir im Herzen weh, dass ich die Veranlassung zu dieser Stimmung gegeben habe.“

      Sie schämte sich ihrer Schwäche, aufs neue fühlte sie sich entschlossen. Sie richtete sich auf, fuhr mit dem feingewebten Taschentuch über die Augen, lächelte und sagte mit erzwungener Heiterkeit:

      „Es ist schon vorüber. Sehen Sie, es ist mein Unglück, dass ich solche dumme Anwandlungen habe. Es wäre thöricht, Ihnen gegenüber zu heucheln. Ich war Ihnen gut, ich will es nicht leugnen ... Aber nun wieder lustig und guter Dinge! Ich bin Ihnen nicht böse, wahrhaftig nicht.“

      Nochmals reichte sie ihm die Hand, die er nun in aufrichtiger Freundschaft drückte.

      „Ich möchte mich jetzt nicht Ihrem Papa zeigen. Wollen Sie die Güte haben und Mama sagen, dass ich sie gern sprechen möchte?“

      „Aber selbstverständlich.“

      Er wollte forteilen, sie hielt ihn aber zurück.

      „Einen Augenblick noch ... Sie versprechen mir doch, noch hier zu bleiben und zu thun, als wäre nichts Besonderes zwischen uns vorgefallen?“

      „Sie können sich fest darauf verlassen.“

      Nun wollte er gehen, als er unwillkürlich nochmals zögerte. Bandels Stimme war sehr laut geworden.

      „Wer ist angekommen?“ schrie der Färbereibesitzer, mehr als er sagte ... „Herr Tetzlaff?“

      Dann sprach er gedämpfter. Er sagte zu dem Diener etwas, was man hier nicht verstehen konnte. Dann klappte die Thür wieder ... wahrscheinlich war der Diener hinausgegangen.

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