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Dir leider die gewünschte Summe bis morgen nicht zur Verfügung stellen. Es geht beim besten Willen nicht,‘ hörte er deutlich.

      „So?“ brachte er mit Anstrengung als Antwort hervor.

      ‚Ich muss Dich zuvor noch einmal sprechen — ganz dringend. Wenn möglich, komme sofort!‘

      „So? Wann darf ich denn hoffen?“

      ‚Das wird ganz von unserer Unterredung abhäugen. Alles mündlich. Ein bestimmtes Versprechen kann ich Dir in diesem Augenblick überhaupt nicht machen. Es ist etwas ganz Unvorhergesehenes dazwischen gekommen.‘

      „So? Das hätte ich aber nicht erwartet. Thut mir sehr leid.“

      ‚Mir auch. Wie gesagt — alles mündlich. Damit Du keine Verzögerung hast, benutze doch gleich die Gelegenheit, anderweitig die Sache zu arrangieren.‘

      Treuling hatte das Gefühl eines Menschen, dem man langsam die Kehle zuschnürt. Er hätte gern noch mehr gefragt, aber die Anwesenheit Tetzlaffs siel ihm ein. Dunkle Ahnungen von einer geheimnisvollen Macht, die im verborgenen gegen ihn kämpfe, stiegen in ihm auf und erfüllten ihn mit Ingrimm.

      „Wie lange bist Du im Comptoir?“ rief er mit trockener Kehle aufs neue hinein.

      ‚Bis gegen halb zwei.‘

      „Gut! Ich habe jetzt dringende Abhaltung. In einer Viertelstunde werde ich noch einmal anklingeln.“

      ‚Schön. Besten Gruss an Frau und Sohn!‘

      „Gleichfalls ... Schluss.“

      Er schloss die Leitung ab und blieb einige Augenblicke auf derselben Stelle stehen. Es war für ihn kein Zweifel — Bandel hatte Wind von seiner Lage bekommen und scheute sich, ohne weiteres die Gefahr zu übernehmen. Und wenn sich das so verhielt, was dann? Dann stand er wie ein halber Betrüger da, dem sein bester Freund für die Zukunft nicht mehr trauen würde! Während binnen wenigen Minuten diese fürchterlichen Gedanken seine Seele erfüllten, knöpfte sich Vater Wilhelm sorgfältig seinen Überzieher zu, nachdem er das dicke Tuch wieder um den Hals gewürgt hatte. Dann zog er sich auch mit Gemütsruhe die Handschuhe über. Das soeben gehörte Gespräch hatte kein Interesse für ihn gehabt, weil ihm das, was der zweite Sprecher gesagt hatte, unhörbar geblieben war. Unbewusst hatte er sich aber Treuling zugewendet und sah sich so genötigt, ihn zu beobachten. Und da war ihm denn die Aufregung desselben nicht entgangen. Er sagte sich, dass etwas vorgegangen sein müsse, was Treuling nicht-erwartet hatte.

      Dieser wandte sich ihm wieder zu. „Bitte nochmals um Entschuldigung, aber solche Abhaltungen muss man sich gefallen lassen, nachdem das Telephon einmal erfunden ist,“ sagte er mit einer Höflichkeit, die Tetzlaff auffiel.

      Treuling verband eine bestimmte Absicht mit diesem Ton. Er hielt es plötzlich für möglich, dass er morgen nicht imstande sein könnte, die fünfzigtausend Mark zurückzuzahlen. Und so wollte er es verhindern, dass Vater Wilhelm in Feindschaft von ihm ginge.

      „O, das hatte gar nichts zu sagen,“ erwiderte dieser und fuhr dann gleich fort: „Dann wären wir also soweit einig, Herr Treuling. So leben Sie für heute wohl. Ich werde morgen zur bestimmten Zeit vorsprechen.“

      Er hatte seinen Hut genommen und wollte gehen. Treuling hielt ihn aber zurück: „Ein paar Augenblicke noch, wenn ich bitten darf!“

      Es hatte abermals geklopft. Der Briefträger war eingetreten, um die zweite Post zu bringen. Es war die Anordnung getroffen worden, dass alle Brief persönlich an den Chef abgegeben werden sollten, sobald dieser anwesend war.

      Im Stehen prüfte er die Sendungen ihrem Äusseren nach, ohne die Briefe aufzuschneiden. Nur die Postkarten las er. Plötzlich stiess er auf ein Schreiben, dessen Umhüllung schon verriet, dass es private Mitteilungen enthalte. Es war an seinen Sohn gerichtet. Sofort sah er an der Handschrift, dass es von einer Dame herrührte. Und als er es nach allen Seiten drehte, las er auf der Rückseite die Worte: „Absenderin Hannchen Tetzlaff“.

      Noch niemals hatte er einen ähnlichen Brief in die Hände bekommen. Eberhard und Hannchen hatten sich selten geschrieben, was ganz natürlich war, da sie sich fast täglich sahen.

      Treuling setzte sich an seinen Arbeitstisch, legte den Brief abseits und begann einige der anderen zu öffnen. Dabei rief er Tetzlaff nochmals zu: „Ein paar Minuten, wenn ich bitten darf! Ich will nur einmal hier hinein blicken — wir haben noch zu reden.“

      Während sein Blick einige der Briefe überflog, rang er mit einem Entschlusse. Eine geheime, böse Macht, die er sich nicht erklären konnte, drängte ihn, auch in Hannchens Brief mit der Schere einen Schnitt zu thun, um sich von dem Inhalte zu überzeugen.

      Konnte er sich nicht in der Haft vergriffen, das Schreiben für einen Geschäftsbrief gehalten haben? Nichts würde erklärlicher sein als das. Wenn er seinem Sohne gegenüber einfach so thäte, als wäre er seines Irrtums sofort inne geworden und hätte die Zuschrift gar nicht gelesen, so würde man ihm auch glauben müssen! Wann sah man denn auch bei Geschäftsbriefen nach der Adresse? In den feltensten Fällen doch! Gewöhnlich beeilte man sich, die Umschläge so schnell als möglich aufzuschneiden, weil man die richtige Adresse für selbstverständlich hielt ...

      Er besann sich nicht mehr, nahm den Brief und schlitzte ihn mit der Papierschere auf. Kein Zug in seinem Gesicht verriet seine innere Bewegung. Die Notwehr, in welche ihn die Kämpfe um die Ehre seines Namens versetzt hatten, liess ihn schliesslich zum Äussersten greifen und alle Bedenken beiseite setzen.

      Zweimal hintereinander durchlas er fliegend die wenigen Zeilen — mit zusammengepressten Lippen, aber innerlich mit Jauchzen. Er übersah ganz das Wort „Bankerott“, dessen Gebrauch er von seiten dieses Mädchens in einer anderen Lage für unverschämt erklärt hätte — seine Augen hafteten nur auf dem Satz: ‚Ich gebe Ihnen also Ihr Wort zurück.‘ Dann wurde seine Aufmerksamkeit ganz und gar von der Nachschrift in Anspruch genommen.

      Ei, was für eine Neuigkeit! Wie rücksichtsvoll kam man ihm doch entgegen. Sollte er wirklich nicht in der Lage sein, sein Versprechen morgen nachmittag zu erfüllen, so konnte man sich ja immer noch auf diese Einwilligung der Schreiberin berufen: dass sie den besonderen Wunsch geäussert habe, das Geld noch länger in der Fabrik zu lassen.

      Und wenn es auch nur eine Ausrede war — Zeit brachte Rat.

      Mit derselben geschäftsmässigen Miene steckte er das Schreiben wieder in den Umschlag und legte es abermals beiseite. Es war ihm nun eine förmliche Wonne, gegen den lästigen Besucher nicht mehr besondere Rücksicht üben zu brauchen. Denn nichts schien ihm natürlicher, als dass dieser Alte mit der ehrwürdigen Miene ein ganz schlauer Mann sei, der mit diesem Frauenzimmer, das sich in seine Familie hineindrängen wollte, unter einer Decke steckte.

      Vielleicht ein Komplott, um noch irgend welche Erpressungen zu machen? ... Ausbeutung meiner Lage, welche genau zu kennen sie sich einbilden, dachte er bei sich. ... Und in diese Sippe hat sich mein einziger Sohn begeben! Nun wird er wohl genug für immer haben.

      „Ihr Mündel ist doch auch mit allem einverstanden?“ fragte er plötzlich mit so harter Stimme, dass Vater Wilhelm überrascht aufblickte. „Sie vertreten zwar Ihre Interessen, und sie ist noch nicht grossjährig. Aber hier liegen die Verhältnisse so eigentümlich ...“

      „Ich verstehe Sie vollkommen, mein Herr. Sie werden sich morgen davon überzeugen können, dass ich nur die Vorteile meiner Enkelin im Auge habe. Ich habe dem Obervormundschaftsgericht Rechnung abzulegen, sonst niemandem in der Welt.“

      „Schön ... Guten Morgen!“

      Vater Wilhelm zögerte noch. „Ich hätte noch eine bescheidene Frage ... Hat sich mein ältester Enkel, dessen schlechte Seite ich zur Genüge kenne, in irgend etwas gegen Herrn Bandel vergangen? Sie sagten vorhin — —“

      „Herr Bandel duldet keine Diebe in seinem Hause. Er hatte den sauberen Herrn bis gestern noch nicht erkannt, sobald er aber die Geschichte mit dein Lotterielos erfuhr, liess er ihn durch den Diener hinauswerfen. Zu weiteren Mitteilungen fühle ich mich nicht verpflichtet. Sie werden wohl selbst zu der Einsicht kommen, dass der einzig Bedanernswerte

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