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will!«, zischelte eine Frau, als sie nach einer Keule der gebratenen Ente griff. »Jung und dumm«, gluckste ihre Nachbarin. »Sie weiß nicht, was sie will.« Zeitungen, Radios und Fernsehen waren in der Kolonie streng verboten, doch das Privatleben der Leute bot mehr als genug Unterhaltung, mit Verwicklungen, die an Spannung und Unberechenbarkeit einer Seifenoper aus Hollywood in nichts nachstanden.

      Mary hätte sich am liebsten in ein Mauseloch verkrochen, als Gesprächsfetzen vom Nebentisch zu ihr drangen. Sie wusste, dass viele Mitglieder der Kolonie davon überzeugt waren, dass sie ihr Glück fahren ließ, wenn sie den Zimmermann aus Fairmont ablehnte. Doch aus Gründen, die sie nicht verstand und einer Logik, die sie nicht begründen konnte, fühlte sie sich zu dem zurückhaltenden Neuankömmling hingezogen. Sie dachte an die vergangene Zeit, als sie gemeinsam in Sana Basels Haus lebten und wie sie nachts im Bett lag und auf das Rattern von Ronalds Traktor lauschte, der noch auf dem Feld arbeitete. Gegen Mitternacht hörte sie, wie das gleichbleibende Motorgeräusch immer näher kam und schließlich in der Maschinenhalle von New Rosedale endete. Sie hörte, wie Ronald die Tür öffnete und wartete auf seine schweren Tritte auf der Treppe. Sie hörte, wie das Wasser in das kleine Waschbecken im Bad lief und die Seife in die Seifenschale plumpste, wenn er den Staub des Tages von seinen Händen und seinem Gesicht wusch und schließlich, wie er den Lichtschalter im Badezimmer ausknipste, bevor er in das Zimmer nebenan trat und erschöpft ins Bett fiel. Sie hätte so gerne auf ihn gewartet, aber bei so vielen Menschen im Haus wäre eine private Unterhaltung unmöglich gewesen. Mary hatte sich ausgemalt, dass sie nachmittags heimlich aufs Feld hinausgehen und ihm ein Stück Apfelkuchen bringen könnte, doch sie wusste, irgendjemand würde sie sehen, was Anlass zu neuem Gemunkel geben würde. Fast acht Monate waren vergangen, seit Ronald seinen Antrag gemacht hatte, doch sie konnte nicht in Erfahrung bringen, ob ihm noch etwas an ihr lag oder ob er aufgrund von Elies Annäherungsversuchen den Mut verloren hatte.

      Ihr graute vor der nächsten Begegnung mit Elie. Mary wusste, dass er der Mann war, den ihre Brüder für sie ausersehen hatten, und sie wollte gerne auf ihre Wünsche eingehen, doch sie konnte den unvermeidlichen Heiratsantrag von Elie nicht annehmen. Sie bereitete sich gerade auf den Abendgottesdienst vor, als sie hörte, dass er zurückgekommen ist. Sie packte ihre Wannick (Jacke), schlüpfte aus dem Haus und eilte mit gesenktem Kopf auf dem ausgetretenen Weg zur Kirche. Sie war fast an der Kirchentür, als Ronald und Elie, die aus verschiedenen Richtungen kamen, unabsichtlich mit ihr – und miteinander – zusammenstießen. Das war mehr, als sie ertragen konnte, und sie rannte nach Hause und versteckte sich im Schrank des Jungenzimmers. Hier in der Einsamkeit, umgeben von gebügelten Hemden und polierten schwarzen Sonntagsschuhen, fragte sich Mary, welchen Rat ihr Vater ihr wohl gegeben hätte. Sie hatte von dem wohlbedachten Rat gehört, den er ihrer Schwester Katrina gab, nachdem sie den Heiratsantrag von Dafit Wurtz aus der Kolonie Deerboine abgelehnt hatte. Es war kurz nach dem Tod ihrer Mutter und Katrina fühlte sich verpflichtet, für die Familie zu sorgen.

      »Liebst du ihn?«, hatte Joseph Maendel sie unverblümt gefragt.

      »Ja«, antwortete Katrina. »Aber ich werde hier zu Hause gebraucht.«

      »Wenn du ihn liebst, dann musst du ihn heiraten«, erklärte ihr Vater mit Nachdruck. »Wir werden schon zurechtkommen.«

      Wochen vergingen und Mary war mit den Frauenarbeiten in der Kolonie beschäftigt. An einem Freitag war sie in der Bäckerei und maß Mehl, Eier und Schmalz für fünfundzwanzig Dutzend Brötchen und fünfzehn Laib Brot ab. Als der Teig aufgegangen war, läutete sie die Küchenglocke, damit die Frauen kamen und die Brötchen und die Laibe formten. Während sie beobachtete, wie das Backwerk in den großen Öfen aus Edelstahl aufging und buk, wanderten ihre Gedanken zu Elie und der Beendigung ihrer Beziehung zurück. Sie fühlte sich schlecht, als sie hörte, dass er geweint hatte, als sie an dem Abend, an dem ihre Wege sich gekreuzt hatten, unauffindbar war. Es schien, dass seit jenem Abend auch Ronald von ihr Abstand genommen hatte.

      Mary spülte die letzte der Backformen und freute sich auf ihre nachmittägliche Kaffeepause. Erhitzt und müde nahm sie ihre Bäckerschürze ab, als ihr Bruder Samuel in die Bäckerei stürzte und mit einem Brief vor ihrer Nase wedelte. »Ronald schickt mich«, verkündete er den Brötchen, dem Brot und einer verblüfften Mary, als er den Brief auf die Arbeitsplatte warf und verschwand. Eine Woche zuvor hatte Ronald von Samuel einen neuen Filzhut erhalten, als Ansporn, die Schwester seiner Frau zu heiraten, und so hoffte der Kuppler im Geheimen, dass der Brief das Ende von Ronalds Absichten bezüglich seiner Schwester bedeutete.

      Mary starrte auf den weißen Umschlag ohne Adresse. Sie zitterte, als sie ihn sorgfältig öffnete und ein einziges, exakt gefaltetes Blatt Papier entnahm. »Du Maria«, begann er. Sie war von dem harten »du« verletzt. »Die Geschichten, die hier umgehen, gefallen mir nicht«, las sie weiter. »Ich schreibe dir dieses eine Mal, und wenn du diesen Brief für dich behältst, dann gibt es etwas Hoffnung für uns. Wenn nicht, ist es vorbei.« Der Brief war in großen, schwungvollen Buchstaben mit »Ronald« unterschrieben. Er war so kalt wie eine Rüge des Deutschlehrers, nicht die Art Briefchen, die man von einem eventuellen künftigen Ehemann erwartet. Schlimmer noch, es ging daraus hervor, dass der Klatsch über sie und Elie weiterging.

      Mary stolperte aus der Gemeinschaftsküche in die Wärme eines herrlichen Sommertages. In der Ferne hörte sie das Lachen der Kinder, die neben dem Hühnerhaus Fangen spielten, und das Brummen der beiden Rasenmäher der Kolonie. Becki Hofer und Martha Baer tauchten auf einem versteckten Weg auf, der zum Fluss führte. Ihre verfleckten Hände hielten metallene Honigeimer voller Beeren. Das Leben in der Gemeinschaft nahm seinen gewohnten Lauf, doch Marys Welt brach zusammen wie die Mauern von Jericho.

      Sana Basel bewirtete ihre Familien gerade mit Schokoladenriegeln und Kaffee zum nachmittäglichen Lunschen, als ihre kleine Schwester an ihr vorbeieilte, die Treppe hinaufrannte und sich schluchzend aufs Bett warf. »Wos geht enn für? Was ist los?« fragte Sana Basel Paul Vetter und folgte ihrer Schwester ins Obergeschoss. Unter der Tür des Schlafzimmers, mit einem halb gegessenen Schokoriegel in der Hand, wollte Sana wissen, wo das Problem lag. Mary wollte den katastrophalen Brief niemandem zeigen, doch ihre Schwester verfügte über den Status und die Autorität einer Mutter. Ihr etwas abzuschlagen wäre ein Zeichen von Unehrerbietigkeit.

      Eine kleine rote Ameise hastete über die Falten ihrer Bettdecke. Mary beneidete das Tierchen um seine Freiheit, als sie langsam den Brief aus ihrer Schürzentasche zog und ihn ihrer Schwester reichte.

      Sana Basel rückte ihre Hornbrille zurecht und las den vertraulichen Brief. »Geht's rüft's in Jake Vetter!«, befahl sie ihren Töchtern, als sie zu Ende gelesen hatte, und sie eilten davon und suchten ihren Onkel. »Er weiß, was zu tun ist.«

      Als Jake Maendel ankam, waren schon alle in der kleinen Küche im Erdgeschoss versammelt, einschließlich Mary mit rot geweinten Augen. Sana Basel zeigte den Brief und bestand darauf, dass Mary ihn laut vorlas. Mary stolperte über Ronalds Warnung, den Inhalt niemandem mitzuteilen. Als sie zu Ende gelesen hatte, sagte der Hilfspastor der Kolonie kein Wort. Er musste es auch nicht. Die umstrittene Beziehung zwischen seiner Schwester und dem russischstämmigen Fremden war vorbei.

      In den folgenden beiden Wochen nahm Ronald seine Mahlzeiten nicht im gemeinsamen Speisesaal ein, weil er eine schlimme Bronchitis hatte. Er lag zu Hause im Bett, als Samuel Maendel auf einen Sprung hereinschaute und ihm verkündete, dass der Brief aus dem Backhaus öffentlich vorgelesen wurde. Ronald war am Boden zerstört.

      Ein paar Tage später, als Sana Basel ihm wegen seiner Erkältung etwas Hühnersuppe mit Nudeln brachte, fand sie einen Mann mit gebrochenem Herzen vor. »Ich bitt dich, verzeich's mir. Bitte, vergib mir«, flehte sie, als sie den Schmerz in seinen Augen sah. Ronald schaute zu der Frau hoch, aufgrund deren Wärme und Güte er in die Kolonie New Rosedale gekommen war und es mit dem Leben in einer Gemeinschaft noch einmal versuchen wollte. »Was nützt mir deine Entschuldigung? Ich habe sie verloren«, antwortete er.

      Die Hochzeit

      »›Moch's gut. Mach's gut‹, zischte Ankela durch ihre störenden dritten Zähne.«

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