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seinen Lieblingshit der großen Country-Legende.

      Paul zwinkerte seinem Freund George Wollman zu, der gehofft hatte, dass heute auch seine Hulba sein würde. George hatte ein Auge auf ein hübsches Mädchen aus der Kolonie Surprise Creek geworfen und sich eine Doppelhochzeit mit Ronald und Mary ausgemalt. Doch als er unangemeldet sein Interesse kundtun und ihr einen Heiratsantrag machen wollte, lehnte sie ein Treffen mit ihm ab, weil ihr vor Kurzem alle Zähne gezogen worden waren. »Das hat der Verliebtheit einen Dämpfer verpasst«, vertraute er Paul nach seiner ernüchterten Heimkehr an.

      »Singt das Kusslied!«, rief ein kokettes Mädchen und lockerte den Knoten in ihrem Tiechel. Mit diesem deutschen Liebeslied werden Brautpaare zum Kuss aufgefordert. »Mir wölln's auch sehen!«, protestierten einstimmig vier Frauen und versuchten, durch die Mauer schwarzer Jacken und geraffter Röcke hindurchzusehen, die sich um Ronald und Mary gebildet hatte, um ihnen für diese seltene öffentliche Darbietung von Zuneigung etwas Privatsphäre zu bieten. Alle sangen: »Unser Bruder der soll leben, ja leben, ja leben, und soll seiner Schönsten ein Bussela geben …«

      Ein paar Teenager suchten nach ihrer eigenen Mauer zur Wahrung der Privatsphäre und nahmen ihre Getränke mit nach draußen, wo ihr Alkoholkonsum nicht überwacht wurde. Vom selbst gebrauten Bier angeregt behaupteten sie lautstark vor den Gleichaltrigen, die zu Besuch waren, dass die sieben John-Deere-80-Traktoren von New Rosedale leistungsmäßig die Modelle von Allis Chalmers und International übertrafen, die die anderen Kolonien gekauft hatten. Sylvester Baer hätte sich allzu gerne an dem Gespräch beteiligt, doch er trottete an den Zechern vorbei und stieg die Treppe hoch zur Hulba. Sein Haar und sein Bart waren rostbraun und sein pockennarbiges Gesicht angespannt. Er war nervös wegen der bevorstehenden Zusammenkunft im Untergeschoss, denn er hatte versprochen, dabei den Charakter seines Freundes Ronald zu verteidigen.

      Das Obergeschoss war zum Bersten voll und die Luft schwer vom Duft des Maiglöckchenparfüms. Sylvester bahnte sich den Weg durch eine Reihe Harmonikaspieler zu einem kleinen Fenster an der Rückwand, stemmte es mit seinen großen, fleischigen Händen auf und klemmte ein Lineal in die Öffnung, damit es nicht wieder zuschlug. Die kalte Novemberluft verwehte die Erinnerung an seine eigene Hulba vor weniger als einem Jahr, als sein Charakter unter die Lupe genommen worden war. Für den Witwer mit sechs Kindern war es nicht leicht gewesen, eine Frau zu finden, die bereit war, ihn zu heiraten. Die besorgten Eltern des Mädchens versuchten, ihr die Heirat auszureden und wandten ein, dass sie nicht wisse, worauf sie sich einlässt. Zwei volle Tage musste er sich herumstreiten, bis die Familie Einsehen hatte und er endlich seine Braut abholen konnte. Sylvester hoffte, dass seinem Freund diese Erfahrung, fast einen Korb zu bekommen, erspart bleibt.

      »Reinhold, kummt's gehen!«, rief Paul Vetter durch den Hulba-Lärm, als er ihn aufforderte, zu der Zusammenkunft nach unten zu gehen. Ronald bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die sogar auf der engen Treppe dicht gedrängt saßen, gefolgt von Sylvester. Die zwanzig verheirateten Männer der Kolonie zwängten sich in Sana Basels kleines Wohnzimmer.

      »Brüder, beginnen wir«, begann Jake Maendel. Ronalds Blick kreuzte sich mit dem des alternden Hauptpastors Andreas Hofer, der vorne saß. Andreas hatte einmal gehofft, dass Ronald seine Tochter Emma als Braut wählen würde und war so weit gegangen, das Waiselein, »Waisenkind«, in seine eigene Familie einzuladen. Andreas war enttäuscht, als aus der Heirat nichts wurde, bemühte sich aber redlich, sich nichts anmerken zu lassen. Neben Andreas saßen die Brüder Maendel und Ronald fragte sich, was jeder von ihnen wohl zu sagen hatte. Marys Bruder Samuel, steif und mit unbewegter Miene, hatte es immer noch nicht verwunden, dass er es nicht geschafft hatte, die Schwester seiner Frau an den Mann zu bringen. Der Brief aus dem Backhaus hatte die Beziehung zwischen Ronald und Mary nicht beendet, wie er gehofft hatte, und als er hörte, dass sie heiraten wollten, machte sich Samuel zum Haus seines künftigen Schwagers auf und forderte seinen Hut zurück.

      Jake Maendel räusperte sich und begann, indem er Mary als gute Christin lobte, die in einer guten hutterischen Familie aufgewachsen war. Der Reihe nach rühmten die anderen ihre Tugenden und betonten, wie pflichtbewusst, gastfreundlich und fleißig sie war. Als Marys andere Brüder erläuterten, dass Ronald ein Außenstehender war, der in Russland geboren wurde und keine hutterischen Eltern hatte, gab Ronald mit einem kurzen Nicken Sylvester Baer zu verstehen, für ihn Partei zu ergreifen. Erst nach mehrmaligem Nicken und einigen Rippenstößen sprang Sylvester mit weit aufgerissenen Augen auf die Beine. »Ich finde keine Worte!«, rief er, woraufhin alle in Lachen ausbrachen.

      Im Obergeschoss war die Feier ohne den Bräutigam voll im Gange. Ronald war schon seit über zwei Stunden verschwunden, als einer der John-Deere-Jungen erschien, um sich noch ein Bier zu holen und Mary neckte, dass die Männer Ronald abgelehnt hatten und die Hochzeit abgesagt wurde. Als Elie Wipf dies hörte, setzte er sich auf Ronalds leeren Stuhl. Elies Freunde amüsierten sich über seinen Schneid, doch Mary, die aufgrund von Ronalds langem Ausbleiben verunsichert war, stand auf und verließ den Raum.

      Unten fasste sich Jake Maendel und schusterte an Sylvesters Stelle ein paar positive Dinge über seinen künftigen Schwager zusammen, indem er darauf hinwies, dass er nicht übermäßig trank und bei der Arbeit zuverlässig war.

      Später, in der Gemeinschaftsküche, bei Schinkenbrötchen und Kaffee, versuchte Ronald, die ungewöhnliche Hulba-Zusammenkunft, die bis Mitternacht gedauert hatte, herunterzuspielen. »Niemand wollte das Wort für dich ergreifen«, neckte er Mary. »Schließlich haben sie mir gesagt: ›Nun nimm sie schon!‹«

      Als die Trauung sich dem Ende zuneigte, schloss Sam Kleinsasser sein schwarzes Gebetbuch und forderte den Bräutigam und dann die Braut auf, nach vorne zu kommen. Mary streckte ihre linke Hand dem Prediger entgegen und Ronald legte seine rechte Hand auf ihre, als sie sich versprachen, bis zu ihrem Tod treu zusammenzubleiben. Nach eineinhalb Stunden Stillsitzen machte sich Unruhe in den Reihen der Gemeinde breit und die meisten träumten inzwischen vom Mittagessen. Doch als Ronald aufgefordert wurde, das unwiderrufliche Gelübde zu sprechen, das von allen hutterischen Männern verlangt wurde, beugten sich alle aufmerksam nach vorne, um sein Versprechen zu hören: »Sollte ich am Glauben Schiffbruch erleiden, werde ich, Ronald, meine Frau und meine Kinder nicht auffordern, mit mir die Kolonie zu verlassen.« Es gab keinen Kuss, um das Gelübde zu besiegeln, und es wurden auch keine Ringe getauscht. Als Zeichen, dass er ein verheirateter Mann war, musste Ronald sich ab sofort einen Bart wachsen lassen.

      In der Gemeinschaftsküche pendelte Sana Basel zwischen dem Suppenkessel auf der einen Seite und dem riesigen Bratrost auf der anderen Seite hin und her. Sie war gerne Oberköchin, eine der wenigen Führungspositionen, die in der Kolonie von Frauen eingenommen wurden. Heute war sie von der zusätzlichen Freude erfüllt, das Hochzeitsessen für ihre jüngste Schwester vorzubereiten. Sie tauchte einen großen, metallenen Schöpflöffel in den dampfenden Suppenkessel und probierte die siedende Rinderbrühe. Gehaltvolle Suppen waren ein Grundnahrungsmittel bei den Hutterern, und Nudelsuppe gab es vor allem an Sonntagen und religiösen Feiertagen sowie bei Beerdigungen und Hochzeiten. Am Anfang der Woche hatten die Frauen der Kolonie die Nudeln aus frischen Eiern und Mehl selbst hergestellt und auf langen, weißen Tüchern in der Bäckerei getrocknet.

      Sana Basel fischte die gekochten Rinderstücke und die Fleischknochen aus der Brühe, legte sie in eine große Edelstahlschüssel und bedeckte das Fleisch mit einem Baumwolltuch, damit es warm blieb. »Da kommen die tüchtigen Esser aus Sturgeon Creek!«, neckte Sana Basel, als drei Frauen aus der Kolonie Sturgeon Creek ankamen, um beim Kochen für all die zusätzlichen Gäste zu helfen. Drei Zentnersäcke aus Sackleinen mit Kartoffeln waren aus dem Keller geholt worden und mussten geschrubbt und gekocht werden. Die Besucherinnen gesellten sich zu Sanas Helferinnen, die bereits begonnen hatten, das Gemüse in großen Becken vorzubereiten.

      In einer anderen Ecke schnitten drei jüngere Frauen grüne Kohlköpfe, die im Sommer im Gemeindegarten angebaut worden waren. Mit erstaunlicher Genauigkeit hantierten die Dienen mit den scharfen Metzgermessern, doch als eine von ihnen sich versehentlich schnitt, zogen die anderen sie auf, sie habe Heiratsgedanken.

      »Habe ich richtig gesehen? Hat ihre Schürze dieselbe Farbe wie ihr Kleid?«, fragte Ankela in die Runde, als sie die Küche betrat. Sie war gerade aus dem Gottesdienst

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