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sie ihn, seine feierliche Haltung und wie er den perfekt sitzenden schwarzen Hochzeitsanzug trug, den Marys Schwester Katrina genäht hatte. Seinen »Waschzuber« hatte er gegen den traditionellen schwarzen Hut der Schmiedeleut eingetauscht, der bei Eaton in Winnipeg gekauft worden war. Mit 29 Jahren war Ronald älter als der durchschnittliche hutterische Bräutigam und acht Jahre älter als seine Braut. Als das Paar Hand in Hand aus Sana Basels Haus trat, stellte sich der Rest der Kolonie hinter ihnen in einer Reihe auf und folgte ihnen in die Kirche.

      Die Kirche war spärlich, aber zweckmäßig eingerichtet. Vorne diente ein niederer Eichentisch als Kanzel, mit Plätzen auf jeder Seite für die örtlichen oder fremden Pastoren auf Besuch. Ronald und Mary nahmen, vom Mittelgang getrennt, ihren Platz einander gegenüber ein, während der Rest der Gemeinde schnell die übrigen Plätze füllte. Die Sonntagsschuhe klapperten auf dem blanken Linoleumboden, als die Frauen sich auf die rechte und die Männer auf die linke Seite setzten. Die Leute aus New Rosedale warfen verstohlene Blicke auf die Besucher aus den Kolonien Old Rosedale, Sturgeon Creek und Deerboine, denn sie waren neugierig, wen der Pastor eingeladen hatte.

      Sam Kleinsasser, Marys Onkel, war der Hauptpastor der Kolonie Sturgeon Creek und hatte die Ehre, den Hochzeitsgottesdienst für seine Nichte zu halten. Zu Beginn der Trauung putzte Prediger Kleinsasser seine Brille mit einem feuerroten Taschentuch – dann schnäuzte er sich laut. »Liebe Brüder und liebe Schwestern. Wir haben uns wieder versammelt in dem Namen unseres Herrn und Heilands Jesus Christus«, begann er auf Hochdeutsch, der offiziellen Sprache für Gebete, Lieder und Predigten.

      Über seine Drahtgestellbrille hinweg betrachtete er die Gemeinde und sein Blick fiel auf Sorah Kleinsasser, die seit vierzig Jahren seine liebe Frau war. Neben den anderen Frauen saß sie in einem Meer von bedruckten Baumwollstoffen und gepunkteten Kopftüchern. Sie war die Schwester von Marys verstorbener Mutter und war schon vor einer Woche in New Rosedale angekommen, um für Sana Basel zu nähen und zu flicken und um Federbetten und Kopfkissen anzufertigen, das übliche Hochzeitsgeschenk einer Mutter an ihre Tochter.

      Vor Sorahs Ankunft hatte Sana Basel ihre Töchter angewiesen, einen großen selbst gemachten Teppich über das Kellerlein zu legen, einen niedrigen unterirdischen Keller, den jedes Haus besaß und in dem gekaufte Leckerbissen wie Süßigkeiten oder Kekse verstaut wurden. Das Kellerlein war mit einer Falltür verschlossen, die sich am Fuß von Sana und Paul Hofers Bett befand. Sorah war unheilbar neugierig und es dauerte keinen Tag, bis sie die Schatztruhe gefunden hatte. Die Schwerkraft half ihr beim Abstieg unter die Dielen, doch ihr ausladender Körperumfang machte den Ausstieg unmöglich. Als Paul Hofer sie in der viereckigen Öffnung festgekeilt vorfand, in einer Hand eine Packung Kekse, in der anderen Hand eine Packung Schokoladenplätzchen, errötete sie wie eine junge Verliebte, die in einer kompromittierenden Situation ertappt wurde. Doch inzwischen hatte sie ihr seelisches Gleichgewicht wieder gefunden und thronte wie eine Herzogin zwischen Anna und Katrina, Marys Schwestern aus der Kolonie Deerboine.

      Hinter Ronald, auf der anderen Seite des Mittelgangs, saßen Marys zwölf Brüder, düster wie zwölf Geschworene vor Gericht, mit ernsten Gesichtern, die Hände auf dem Schoß gefaltet. Eine Woche zuvor hatten einige von ihnen die Wahl ihrer Schwester bei der Hulba, der Verlobungsfeier, beurteilt. Normalerweise wurde eine Hulba eine oder zwei Wochen vor der Hochzeit gehalten, und bei dieser Gelegenheit zeigte sich ein verlobtes Paar zum ersten Mal öffentlich. Zum größten Teil war es eine Gelegenheit zum Feiern, doch zur Hulba gehörte auch eine besondere Zusammenkunft, bei der die Männer die Würdigkeit des Bräutigams prüften. Der Freier musste Anhänger gewinnen, die für ihn sprechen, während andere Zweifel über seine Tugenden erhoben.

      Diese alte Tradition ging auf das 18. Jahrhundert in Russland zurück, als die Heirat zwischen dem Sohn eines Korbmachers und einem hutterischen Mädchen verhindert wurde, weil er kein Handwerk gelernt hatte. Dieser hutterische Brauch war größtenteils eine reine Formsache und der Mann wurde im Allgemeinen in Rekordzeit zum Feiern mit seiner Auserwählten entlassen. Es war selten, dass eine Frau es sich in Bezug auf ihren künftigen Ehemann anders überlegte oder sich dem Druck besorgter Angehöriger beugte und die Hochzeit absagte. Sollte das doch geschehen, dann bekam der Mann einen Korb, der natürlich leer war, als Zeichen dafür, dass er von der Frau abgewiesen wurde. Die Anhänger dieses Brauches argumentierten, dass ein unangenehmer Start besser ist als lebenslange Trübsal.

      Falls Ronald Zweifel über diese Zusammenkunft hegte, so zeigte er sie nicht, als Mary und er am Abend ihrer Hulba von Tür zu Tür gingen und sich als Paar vorstellten. Etwas früher an diesem Tag hatte Andreas Hofer, der Hauptpastor in New Rosedale, eine Flasche Roggenwhiskey und zwei winzige Glaskrügchen auf einem passenden Tablett in das Haus des Bräutigams geschickt. Andreas war einer der Ersten, die von Ronalds Absicht wussten, Mary Maendel zu heiraten, da Ronald seine offizielle Erlaubnis benötigte. Es war Tradition, dass der Hauptpastor das Hochzeitsdatum festsetzte und beschloss, welche Kolonien eingeladen werden.

      Am Abend, als sie ihre Runde machten und Schenken (Trinksprüche) auf sich ausbringen ließen, goss Ronald genau abgemessene Mengen Black Velvet für die Trinksprüche in die Gläser und Mary bot jedem Erwachsenen ein Gläschen an. »Auf ein Dutzend Kinder und gute, starke Nerven«, wünschte ein schicksalsergebener Vater inmitten seiner Kinderschar. »Lebt für Jesus«, ermahnte Ankela, eine großmütterliche Seele, die bereits den unteren Teil ihres Gebisses für die Nacht herausgenommen hatte. Die meisten gaben dem jungen Paar ein paar praktische Ratschläge, doch einige teilten eine ordentliche Portion Realität aus. »Du armes Hascherl, du wirst es schon noch merken!«, rief eine Frau der nichts ahnenden Mary zu, während sie ihr Gläschen gierig leerte und aussah, als bräuchte sie ein zweites.

      Jeder wollte das Paar bei seinem ersten gemeinsamen Auftritt in der Öffentlichkeit sehen, und die Kinder, denen es nicht reichte, nur einen kurzen Blick auf die Verlobten zu werfen, folgten ihnen bis in die Häuser. Wenn die Menge unüberschaubar wurde, wurden die Kinder ohne viel Federlesens hinausgescheucht.

      Als Ronald und Mary schließlich in Sana Basels Haus zurückkehrten, war das Mädchenzimmer im oberen Stockwerk voller junger Leute in bester Stimmung, die Mundharmonika spielten, sangen und sich an Bier und Schnaps gütlich taten. Die Betten und ein paar Möbelstücke wurden an die Wand gerückt und in der Mitte standen Holzstühle im Kreis für Ronald und Mary und ihre engsten Freunde und Angehörigen. Einige Gäste lehnten an der Wand und im Türrahmen, während andere hinter der Hochzeitsgesellschaft standen und »zensierte« Liebeslieder sangen. Bierflaschen und Kirschwein in alten Whiskeyflaschen standen auf der einzigen Kommode neben einem Tablett mit Gläsern und Tassen, die aus der Gemeinschaftsküche stammten. Die meisten Gäste bedienten sich selbst, doch einige der jungen Männer, die Augen für die hübschen Mädchen hatten, freuten sich, Kellner zu spielen.

      Im Allgemeinen wurden Verabredungen zwischen Jungen und Mädchen in einer hutterischen Kolonie missbilligt. Die jungen Leute waren auf Arbeitseinsätze in anderen Kolonien, Beerenpflücken, Sonntagsbesuche oder Hochzeiten angewiesen, wenn sie das andere Geschlecht begutachten wollten. Unter den Älteren herrschte die Meinung, dass ein Paar heiraten soll, wenn es sich wirklich kennenlernen möchte. Ronald hatte keine andere Möglichkeit, als das Licht in seinem Haus mehrmals hintereinander ein- und auszuschalten, um Mary das Signal für ihren wöchentlichen Besuch zu geben. Doch es dauerte nicht lange, bis die ganze Kolonie sich fragte, was mit Ronalds elektrischem Strom los war.

      Manche Kolonien waren für ihre schönen Frauen bekannt, doch eine wirkliche Vorzeigefrau galt als fein, war bekannt für ihre Tugend, ihre Treue und ihr Pflichtbewusstsein. An diesem Abend, als sie mit leuchtenden Augen neben Ronald saß, war Mary beides.

      Die Gesellschaft im Obergeschoss war die Gelegenheit zum Feiern für die jungen Leute, doch die lustige (unwiderstehliche) Atmosphäre zog die Treppe hinunter und verlockte die älteren Mitglieder der Kolonie, sich der Gesellschaft im Obergeschoss anzuschließen, um ihre Neugier zu befriedigen und die Musik zu genießen. Die Jungen aus Deerboine, die immer auf romantische Lieder aus waren, die von Liebesbriefen, heimlichen Küssen und Mädchen mit großen blauen Augen erzählten, brachten Sana Basels Töchter dazu, die bezaubernde deutsche Ballade »Es war einmal ein Mägdelein« zu singen. Jemand verlangte eine Melodie von Hank Williams – es war niemand anderes als Elie

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