Скачать книгу

sprudelte es aus ihr heraus. »Ich kann nicht einmal sagen, ob sie überhaupt eine Schürze anhat.« Sie spülte ihr schlecht sitzendes Gebiss im Kartoffelwasser, bevor sie in den Speisesaal schlurfte. Die Schürze der Braut war bereits ein brisantes Gesprächsthema der Küchengehilfinnen. In der Gemeinschaft, in der im Allgemeinen eine einheitliche Kleiderordnung eingehalten wurde, waren die Schürzen lange Zeit eine Möglichkeit gewesen, einem gewissen persönlichen Gepräge Ausdruck zu geben, und junge Frauen tauschten manchmal ein hübsches Stück Stoff mit Freundinnen aus anderen Kolonien. Marys Schürze wurde von der Kartoffelfraktion, die für sich eine Vorreiterrolle in Sachen hutterischer Mode beanspruchte, einstimmig gebilligt.

      Um halb zwölf war das Essen fertig. »Geh glöckel die Glucken!«, verkündete Sana Basel und zeigte auf eine der Frauen, die daraufhin das dicke Seil zog, das an einer alten Kirchenglocke am Küchendach befestigt war. Als die Glocke ertönte, brach gerade ein Sonnenstrahl durch die graue Wolkendecke und goss ein goldenes Licht auf die Kuh- und Schweineställe, die Maschinenhalle, das Henna Hüttel (Hühnerhaus), das Honighaus, die Kirche, die Küche, Ronalds kleine Behausung und die Reihenhäuser, die den Hintergrund der Kolonie New Rosedale bildeten. Ronald fühlte die Wärme der Sonne, als die Hochzeitsgesellschaft aus Sana Basels Haus trat, um zum Empfang zu gehen. Er hoffte, dass ihr Licht das Vorzeichen für eine bessere Zukunft war.

      Das Paar betrat die Essenstuben, den Speisesaal, wo der Ehrentisch an der südlichen Wand aufgestellt war. Drei Meter lange Eichentische waren auf der östlichen und westlichen Seite aneinandergereiht und zwei zusätzliche Tischreihen wurden dazwischen gequetscht, um alle Gäste unterzubringen. Jeder Tisch war mit einem weißen Baumwolltischtuch bedeckt; auf ihnen stand bereits das Hochzeit G'schirr, besonderes weißes Geschirr mit grünen Rändern, das nur für Hochzeiten benutzt wurde.

      Als die Gäste in die Essenstuben strömten, schlug ihnen der vielversprechende Duft eines besonderen Essens entgegen. An den Haken neben dem Eingang reihten sich schwarze Männerhüte. Auf den Holzbänken saßen bald Frauen, die sich darauf freuten, einen Tag lang mit Schwestern oder Freundinnen aus Kindheitstagen, die in andere Kolonien geheiratet hatten, und Neuankömmlingen zu plaudern und die neuesten Nachrichten über Geburten, Todesfälle und baldige Hochzeiten auszutauschen.

      Ronald und Mary nahmen die beiden Plätze in der Mitte des Ehrentisches ein, wo ein einziges Gedeck das Sinnbild für ihre Einheit war. Dies war das einzige Mal in ihrem Eheleben, dass sie in der Essenstuben zusammensitzen durften. Zwei von Marys Schwestern, Anna und Katrina, saßen neben ihr. Sana Basel, die dritte Schwester, wurde in der Küche gebraucht. Ihr Kopf und ihre Hände waren mit den tausend Einzelheiten der Zubereitung eines Festessens für zweihundert Personen beschäftigt, doch ihr Herz weilte bei ihnen am Ehrentisch. Sorah Basel nahm ihre Stelle ein, glücklich für ihre Nichte, aber in Tränen, weil ihre eigene Tochter e Tegela ohne se Deckela war, ein Topf, der noch keinen Deckel gefunden hatte.

      Prediger Kleinsasser hatte seine offiziellen Pflichten in der Kirche beendet und wartete so begierig wie alle anderen auf ein gutes Mittagessen und ein Glas Wein. Er nahm den Ehrenplatz neben Ronald ein. Der Tradition nach waren die Plätze am Ehrentisch für den Vater und die Brüder des Bräutigams bestimmt, doch niemand von Ronalds Familie hatte kommen können. Als Ronald sich mit seinem Vater in Ontario in Verbindung setzte und ihm seine bevorstehende Hochzeit mitteilte, sagte Christian Dornn zu seinem Sohn: »Du heiratest den Feind.« Christian hatte nie etwas von Mary Maendel gehört, aber er war den Lehren von Julius Kubassek erlegen, der verärgert war, weil seine Gemeinde von der hutterischen Kirche abgelehnt wurde.

      Marys Bruder Jake und ihr Schwager Dafit Wurtz, der Mann, den Katrina auf Drängen von Marys Vater hin aus Liebe geheiratet hatte, nahmen die beiden letzten Stühle am Ehrentisch ein. Jake beobachtete Elie Wipf, der mit zwei Buben, »jungen Männern« aus New Rosedale, am anderen Ende des Speisesaales stand. Einer von ihnen gab Elie einen freundlichen Klaps auf die Schulter und beide lachten. Elie schien seine Schlappe locker zu nehmen, doch ihr ungezwungenes Verhalten verärgerte Jake, der selbst mit seiner Enttäuschung über die Wahl seiner Schwester fertig werden musste.

      »Lasst uns beten«, verkündete Dafit Wurtz, der neuer Jungpastor in der Kolonie Deerboine geworden war. Er stand auf und alle falteten die Hände und senkten den Kopf zum Gebet. Sobald die Hochzeitsgäste »Amen« gesagt hatten, stürzte ein Dutzend junger Männer durch die Schwingtüren in den großen Speisesaal. Sie trugen Mahagonitabletts voller Schüsseln mit dampfender Nudelsuppe herein. Bei Hochzeitsessen bedienten immer die Buben, und sie eilten hin und her und zwängten sich zwischen den Tischen durch und brachten zarte Stücke Rindfleisch, gekochte Kartoffeln, Kohl in Sahnesoße und knackige Dillgurken. Die jungen Männer verpassten keine Gelegenheit, mit den Mädchen aus den anderen Kolonien zu flirten, während sie das Essen brachten und Bier, Wein, Orangen- und Zitronenlimonade anboten.

      Auf der anderen Seite der Hauptküche befand sich der Speisesaal der Kinder, Essenschul genannt, der mit fünfzig Kindern der Kolonie und ihren jungen Besuchern gerammelt voll war. Die Essenschul Ankela (Speisesaal-Oma) war so beschäftigt wie ein Koch zur Mittagszeit. Sie schöpfte Suppe aus, füllte die Brotkörbe nach und wischte verkleckerte Soße auf. Sie war froh, dass das Hochzeit G'schirr, das besondere, feine Hochzeitsgeschirr, für diesen ungebärdigen Haufen nicht vorgesehen war.

      Mary war hungrig und wünschte, sie müsste nicht ihre Schüssel Suppe mit ihrem Ehemann teilen, bestand aber darauf, dass er den Anfang machte, und reichte ihm den Löffel, als er nach einem der frischen Brötchen griff. Tabletts voller Essen wurden in beide Speisesäle getragen, bis die Erwachsenen sich die Bäuche gefüllt hatten und die Tische sich unter dem Gewicht der Teller und Schüsseln bogen.

      Marys Bruder Darius hatte sich gerade eine zweite Portion Rindfleisch genommen, als er aufstand, um seine Stiefmutter zu begrüßen, die aus Old Rosedale gekommen war. Als die Kolonie sich teilte, beschloss Rachel Gross Maendel zurückzubleiben, weil ihre Töchter Männer aus der Gemeinschaft geheiratet hatten. Doch sie hatte Darius gedrängt, nach New Rosedale zu ziehen, damit er mit seinen älteren Brüdern zusammen sein konnte. Er war ihr kleiner Liebling, und die Entscheidung war beiden schwergefallen.

      Mary war erst dreizehn Jahre alt, als sie nach New Rosedale zog, und die Beziehung zu ihrer Stiefmutter war immer distanziert, aber respektvoll geblieben. Dennoch kam Rachel, um Zeugin bei ihrer Hochzeit zu sein.

      »Mer sein recht für Kuchen!«, rief einer der jungen Männer, als er mit einem leeren Tablett die Küche betrat. Fünfzig Formen mit weißem Hochzeitskuchen standen auf den Tischen der Bäckerei, fertig um aufgetischt zu werden. Die glitzernden Kuchen sahen aus wie kleine, schneebedeckte, mit Sternen bestreute Seen. Sie waren am Vortag gebacken und mit weißem Zuckerguss und Sternchen verziert worden. Drei junge Frauen schnitten die großen runden Kuchen in gleichmäßige Scheiben und leckten sich dabei gelegentlich den Zuckerguss und die Sahne von den Fingern. Jede Familie bekam auch Kuchen mit nach Hause. Die dafür vorgesehenen Formen standen auf einem separaten Tisch, bereit, um am Nachmittag mitgenommen zu werden.

      »Gott Lob und Dank für Speis und Trank.« Das Schlussgebet war das Zeichen für das Ende des Mittagsmahls und den Beginn einer kleinen Pause, in der die Dienen den Speisesaal aufräumen und die Köchin und ihre Helfer, die Nochesser, »Nachesser«, endlich zu Mittag essen konnten.

      Kleine Grüppchen, manche mit Besuchern, kehrten nach Hause zurück, um die Kinder zum Mittagsschlaf hinzulegen und sich selbst kurz auszuruhen. Das Brautpaar und sein Gefolge waren in Feierstimmung und kehrten in Sana Basels Haus zurück, um selbst gebrautes Bier zu trinken und Musik zu machen.

      Darius, unterstützt durch ein oder zwei Gläser Whiskey, unterhielt die Schar, die sich um den Kohlenofen drängte, mit ausgelassenen Darbietungen von »Froggy Went a Courtin'« und »Big Rock Candy Mountain«. Ein Junge mit pickeligem Gesicht, der sich etwas Mut angetrunken hatte, bat die Mädchen, »Red River Valley« zu singen, doch sie wollten kein gutes Lied an einen unterdurchschnittlichen Freier verschwenden. Einer seiner Freunde hatte Mitleid mit ihm und spielte sein Wunschlied auf der Harmonika.

      Um halb zwei ertönte die Glocke und die Mitglieder der Kolonie gingen noch einmal die schneefreien Wege zurück zum Speisesaal. Von seinem Mittagsschlaf erfrischt, rückte Andreas Hofer

Скачать книгу