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meldete sich bei einem Französischkurs an. Auch wenn ihr Unternehmen sie für die Fortbildungsstunden freistellte, empfand sie die Fahrten zu dem Sprachinstitut als wirkliche physische Belastung. Der Unterricht selbst machte ihr viel Spaß, doch mußte sie feststellen, daß ihr Schulfranzösisch bei weitem nicht den Ansprüchen ihres neuen Jobs genügen würde. Deshalb saß sie zu Hause oft bis spät in die Nacht über den Büchern. Bald zeigten sich die ersten Fortschritte. Die Schriftsprache bereitete ihr kaum noch Schwierigkeiten, aber gegen ihre Hemmungen, Französisch zu sprechen, kam sie nicht an.

      Hoffentlich gibt sich das, wenn ich in Genf bin! dachte sie besorgt.

      An Tea time mit Stefanie war, außer an den Wochenenden, nicht mehr zu denken. Vor dem Abendessen kam Sabine nie nach Hause.

      Auch Stefanie lernte Französisch, wenn auch nicht im selben Tempo wie ihre Mutter. Einmal in der Woche brachte eine Studentin ihr die Grundbegriffe bei, die Aussprache und erste zusammenhängende Sätze. Herr Baumgartner hatte Sabine zwar versichert, daß man in Genf notfalls auch mit Deutsch und Englisch zurechtkam, aber sie hielt es für besser, wenn ihre Tochter wenigstens die Straßenschilder lesen und nach dem Weg fragen konnte. Stefanie teilte diese Meinung durchaus und war mit Feuereifer bei der Sache.

      Doch mit dem Lernen allein war es nicht getan. Es hieß sich auf den Abschied vorbereiten. Sabine lud Lisbeth Albers und andere Freundinnen aus der Studienzeit ein, mit denen sie mehr oder weniger festen Kontakt gepflegt hatte. Stefanie gab eine Fete für ihre Mitschülerinnen. Bernhard Heuss lud die beiden häufiger als früher zum Essen ein, und Sabine mochte es ihm nicht abschlagen, um ihn nicht noch mehr vor den Kopf zu stoßen. Daß sie in der Arbeit fast erstickte – sie mußte neben allem anderen ja auch noch ihren Nachfolger in der Versicherung einarbeiten –, wollte er als Entschuldigung nicht gelten lassen.

      »Das ist nur eine Frage der Organisation«, pflegte er zu erwidern.

      »Wenn man sich seine Pflichten richtig einteilt, bleibt immer auch noch Zeit für das Vergnügen.«

      Zu allem Überfluß kamen jetzt auch noch Einladungen aus dem Kreis befreundeter Ehepaare, mit denen Sabine und ihr Mann früher verkehrt hatten. Nach Harrys Tod hatte man sich kaum noch um Sabine gekümmert – oder war sie selber es gewesen, die signalisiert hatte, daß sie in Ruhe gelassen werden wollte? Jetzt, da sie neue Pläne hatte, schien sie wieder interessant geworden zu sein.

      Am liebsten hätte sie sich gedrückt, aber Bernhard bestand mit Nachdruck darauf, daß sie die Einladungen annahm und bot sich ihr als Begleiter an. »Diese Leute sind wichtig«, behauptete er, »man muß solche Beziehungen pflegen. Du weißt nicht, ob du nicht eines Tages froh daran sein wirst.«

      Mit Unbehagen mußte Sabine feststellen, daß man in Bernhard Heuss, obwohl er sich keineswegs aufspielte, so etwas wie ihren Verlobten, wenn nicht gar ihren Partner sah. Und so übernahm er es auch, die Abschiedsparty für diesen Kreis auszurichten, und zwar in einem Nebenraum bei »Käfer«.

      4

      Ihrer Mutter, Marianne Kaschny, mit der sie einmal pro Woche telefonierte, hatte Sabine längst von ihren Entschlüssen berichtet. Frau Kaschny hatte es immer bedauert, daß Sabine ihr Studium abgebrochen und sich so früh gebunden hatte. Deshalb gönnte sie ihr auch die Gelegenheit, jetzt noch etwas von der Welt zu sehen.

      Der Vater dagegen war seinerzeit erfreut gewesen über »die gute Partie«, die sie gemacht hatte. Und auch jetzt hätte er es für besser gehalten, daß Sabine da bliebe, wo sie »hingehörte«, nämlich in Bayern.

      Die Eltern erwarteten natürlich einen Abschiedsbesuch in Rosenheim, den Sabine immer wieder verschob, obwohl sie ihren Eltern nicht verständlich machen konnte, welchen ungeheuren Anforderungen sie momentan ausgesetzt war.

      »Kaum zu glauben, daß man dich doch noch einmal zu Gesicht bekommt«, sagte der Vater denn auch sarkastisch zur Begrüßung.

      »Oh, mon cher grand-père«, flötete Stefanie, »sei nicht böse auf uns!«

      Immerhin erreichte sie durch die kleine Kostprobe ihres neuerworbenen Wissens, daß er die schmalen Lippen zu einem Lächeln verzog. Peter Kaschny, Beamter im Finanzamt in Rosenheim, war Mitte Fünfzig. Wenn er auch mit den Jahren kleiner geworden war – zusammengeschrumpft, dachte Sabine –, konnte er immer noch als groß gelten. Sein sorgsam über die Stirn gekämmtes Haar hatte sich gelichtet, aber seine erstaunlich blauen Augen, die er seiner Tochter und seiner Enkelin vererbt hatte, blickten herausfordernd und kampfeslustig in die Welt.

      Sabine, die ihre Mutter umarmt hatte, entschuldigte sit: »Du ahnst gar nicht, was wir um die Ohren hatten.«

      »Ein Fest jagte das andere, wie?«

      Stefanie lachte unbekümmert. »So ähnlich!«

      »Aber ich hatte auch jede Menge Arbeit! « erklärte Sabine. »In meinem Alter ist es gar nicht so leicht, wieder die Schulbank zu drücken.«

      Es war Sonntag nachmittag. Die Mutter hatte einen Kuchen gebacken, und zu Ehren des Besuches war auch Sabines jüngere Schwester Inge, glücklich verheiratet, mit ihrem süßen Baby Josefine erschienen. Walter, der Nachzügler, lebte noch bei den Eltern. Er gesellte sich zu der Kaffeerunde, um sich jedoch möglichst schnell wieder zu verdrücken. »Du hast ganz recht, daß du abhaust«, war sein Kommentar zu Sabines Plänen. Inges Mann hatte sich entschuldigen lassen. »Ihm geht es nicht so gut«, behauptete sie verlegen. Jeder der Anwesenden wußte, daß Charly sich nicht mit dem Schwiegervater vertrug.

      Die Mutter hatte alles liebevoll vorbereitet und das Gespräch bei Kaffee und Kuchen plätscherte problemlos dahin. Doch Sabine spürte, daß den Eltern – auch ihrer Mutter – ihre Pläne nicht paßten.

      »Wenn du nun da draußen krank wirst«, gab Marianne Kaschny zu bedenken.

      »Wann war ich je krank?« gab Sabine zurück.

      »Aber in München könnte ich mich um dich kümmern.«

      »Weißt du was? Wenn mir was passiert, schicke ich dir einfach ein Flugticket.«

      »Mit so etwas soll man nicht scherzen! « wies der Vater sie zurecht. »Genf ist nicht der richtige Ort für eine alleinstehende junge Frau.«

      »Warum nicht? Ich habe mir sagen lassen, daß es sie dort zu Tausenden gibt.«

      »Außerdem ist Mami nicht alleinstehend«, mischte Stefanie sich eifrig ein, »ich bin bei ihr und paß’ auf sie auf.«

      Der Großvater sah sie düster an. »Du? Was kannst du schon ausrichten gegen …« Er stockte.

      »Das ist wirklich kein Thema, das man in Gegenwart der Kleinen anschneiden sollte«, sagte seine Frau.

      »Was meint ihr?« rief Stefanie prompt.

      »Wovon sprecht ihr?« fragte Sabine.

      Walter hatte sein letztes Stück Kuchen aufgegessen und war aufgestanden. »Sex und Drogen natürlich, was sonst?«

      »Oh, die gibt’s in München auch!« schrie Stefanie.

      »Sex und Drogen, jede Menge!«

      Walter fuhr ihr im Hinausgehen durch die Haare. »Aber keine Agenten und Spione, Kleine. Von denen wimmelt’s nur so in der Schweiz.«

      »Und dann die Ausländer«, ließ Inge sich vernehmen, »die haben wir hier natürlich leider auch. Aber dort sind nichts wie Ausländer.« Sie schauderte. »Schrecklich.«

      »Sehr richtig!« pflichtete Peter Kaschny ihr bei. »Ich habe nichts gegen Ausländer. Ich weiß, daß es sehr nette und anständige Menschen unter ihnen gibt. Aber auf die Masse gesehen – also im großen Ganzen – sind sie doch ein Pack. Das organisierte Verbrechen…« Sabine fiel ihm ins Wort. »Vati, ich bitte dich! Du weißt, wie ich dieses Gerede hasse.«

      »Jetzt hört mal!« Stefanie klopfte mit dem Löffel gegen die Tasse, und alle sahen sie an. »Wißt ihr, was mir gerade aufgefallen ist? In der Schweiz werden wir die Ausländer sein. Habt ihr Worte?«

      »Mein

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