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Tamaris, ein wundervoller Name, nicht wahr? Wissen Sie, was das bedeutet? Nein? Das ist der Name eines Baumes, der in der Mittelmeerregion wächst, aber auch in den Oasen meiner Heimat. Kommt von ›tamar‹, was auf arabisch Dattel bedeutet. Oh, wie vermisse ich die Oasen meiner Heimat!«

      Sabine starrte den Mann verwundert an. War das seine Masche, sich an Frauen heranzumachen? Stefanie amüsierte sich.

      »Fünf Jahre bin ich schon in Genf«, wiederholte der Fremde, »aber noch nie habe ich so entzückende Damen in diesem Restaurant gesehen.«

      »Wir sind heute erst angekommen«, erklärte Sabine, die nicht wußte, ob sie sich über diesen Mann ärgern oder ihn charmant finden sollte.

      »Dann hat das Schicksal uns zusammengeführt!« behauptete er mit übertriebenem Pathos.

      In diesem Moment wurde der aromatisch duftende Tee in einer kleinen Silberkanne mit drei bunten Gläschen serviert.

      Latif gab dem Kellner ein Zeichen und schenkte selber ein. »Vorsicht, der Tee ist sehr heiß!« warnte er.

      »Und was machen Sie hier in Genf, Herr Latif?« wollte Stefanie wissen.

      Sabine warf ihr einen tadelnden Blick zu; ihrer Ansicht nach bestand kein Grund, den aufdringlichen Fremden durch Fragen noch zu ermutigen.

      »Ich arbeite natürlich bei der UNO – ohne Amt und Würden, als Beobachter sozusagen, sehr wichtig für meine Nation.«

      Stefanie war beeindruckt. »Und wir sind…« begann sie.

      Sabine fiel ihr ins Wort. »….gerade erst angekommen und zu Besuch bei Verwandten.«

      »Aber wir können uns wiedersehen?«

      Sabine nippte an ihrem Tee; er war stark gesüßt. »Das ist leider unmöglich. Wir bleiben nur ein paar Tage und sind völlig ausgebucht.«

      »Woher können Sie so gut Deutsch?« fragte Stefanie.

      »Oh, ich spreche viele Sprachen – acht? Oder neun? Habe ich gelernt in der Schule und an Universitäten in meiner Heimat. Sonst wäre ich nicht geschickt worden zu UNO.«

      »Finde ich toll.«

      Sabine leerte hastig ihr Glas. »Trink aus, Stefanie, wir müssen.« Sie winkte dem schwarzgelockten jungen Kellner, zahlte und stand auf. »Komm jetzt!«

      Gehorsam erhob sich Stefanie und reichte Latif die Hand. »Es war nett, Sie kennenzulernen.«

      »Das Vergnügen lag ganz auf meiner Seite!« Latif wandte sich wieder an Sabine. »Kann ich Sie denn wenigstens nach Hause bringen?«

      »Nein, danke!« erwiderte Sabine härter als beabsichtigt.

      In dem Gesicht des Fremden glaubte sie echte Enttäuschung zu sehen. Mit einem versöhnlichen Lächeln fügte sie hinzu: »Jedenfalls vielen Dank für den Tee.« Sie trat in die laue Nacht hinaus.

      Stefanie folgte ihr. In der Tür drehte sie sich noch einmal um und sah Latif, der trübsinnig in sein leeres Teeglas starrte. »Warum hattest du es denn so eilig, Maman?« fragte sie. »Wir haben doch alle Zeit der Welt. «

      »Weil ich keine Lust hatte, diesem Märchenerzähler weiter zuzuhören.«

      »Nicht einmal deine Zigarette hast du geraucht! «

      »Das hätte er als Entgegenkommen auffassen können.«

      »So ein Quatsch!«

      Sabine blieb stehen und sah ihre Tochter strafend an. »Stefanie, bitte!«

      »Aber es ist doch wahr. Du hättest nicht so grob sein sollen. Ich fand ihn nett.«

      »Mein liebes Kind, du bist naiv! So einem Orientalen darf man nicht über den Weg trauen. Hast du denn nicht gemerkt, daß er nur Phantastereien erzählt?«

      »Na, wenn schon. Er hätte uns eine Menge erzählen können, und vielleicht hätte er dich sogar ausgeführt. Genf bei Nacht – interessiert dich das denn gar nicht? Vielleicht hätte er dich sogar ins Hilton Casino begleitet.«

      »Danke vielmals. Ich bin nicht für Glücksspiele.«

      »Aber du wolltest deine Freiheit, und du wolltest etwas erleben. Deshalb sind wir ja fort aus München. Und kaum ergibt sich eine Gelegenheit, stellst du sämtliche Haare auf.«

      »Dieser Mann war nicht mein Typ.«

      »Niemand hat erwartet, daß du dich in ihn verliebst. Jedenfalls wäre es eine interessante Bekanntschaft gewesen. Wenn du nur gewollt hättest.«

      »Ich bin nicht zum Flirten nach Genf gekommen, sondern zum Arbeiten«, behauptete Sabine im Brustton der Überzeugung.

      »Ha, ha, ha!« machte Stefanie respektlos und hakte sich bei ihrer Mutter ein. »Mir hat es leid getan, aber ich bin dir nicht böse. Wahrscheinlich mußt du dich erst akkli … schweres Wort! Akklimatisieren heißt es, nicht wahr? Das nächste Mal wird es schon besser gehn.«

      7

      Nachdem Sabine ihre Tochter bei einem privaten Sprachinstitut angemeldet hatte – Stefanie wollte und sollte bis zum Beginn der Internationalen Schule im September Englisch und Französisch lernen –, meldete sie sich bei der Nord-Süd Société d’assurahces. Sie hatte gehofft, noch ein paar Tage für sich zu haben, um sich besser einzugewöhnen, doch man gab ihr freundlich, aber bestimmt zu verstehen, daß ihre Anwesenheit im Büro sofort erwünscht war.

      Das Versicherungsbüro befand sich in der Rue de Rhone, auf dem linken Rhâneufer. Schon nach drei Tagen gab Sabine es auf, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Der Berufsverkehr war mörderisch, und in der Rue de Rhone, die eine der Haupteinkaufsstraßen war, fand man nur sehr schwer einen Parkplatz. Zu Fuß war das Büro in zwanzig Minuten zu erreichen.

      Ihr neuer Chef war eine Frau, eine Tatsache, die Sabine ziemlich aus dem Gleichgewicht brachte. Madame Renée Archinard war um die vierzig, zierlich und elegant, mit perfekten Umgangsformen. Sie behandelte Sabine mit einer distanzierten Freundlichkeit, die sie verunsicherte. Obwohl die Vorgesetzte, wie Sabine bald erfuhr, sehr gut Deutsch sprach, half sie ihr nie, wenn sie mit ihrem Französisch nicht weiterkam.

      Sabine hatte erwartet, daß man ihr einen Posten als Sachbearbeiterin geben würde, wie es ihrer Ausbildung entsprach. Jetzt erfuhr sie, daß sie im Laufe des Jahres nacheinander alle Aufgaben, die in der Firma anfielen, übernehmen sollte. Zunächst wurde sie zum Telefondienst eingeteilt, was für sie als Ausländerin besonders schwierig war und sie außerdem überhaupt nicht ausfüllte.

      Ihre Kollegen und Kolleginnen waren nicht unfreundlich, schenkten ihr aber kaum Beachtung; sie schienen ganz mit ihren eigenen Problemen beschäftigt zu sein. Für Sabine, die sich nach all den Jahren in ihrer Münchner Firma fast wie in einer Familie gefühlt hatte, war auch das eine Enttäuschung.

      Manchmal war sie nahe daran, die Flinte ins Korn zu werfen, ihre Koffer zu packen, Stefanie ins Auto zu setzen und nach Hause zu fahren. Aber etwas in ihr wehrte sich dagegen, die Niederlage hinzunehmen, auch wenn der Gedanke »Das hatte ich nötig!« ihr mehr als einmal durch den Kopf schoß.

      Nur die Sekretärin Hélène Muller, ein hübsches, blauäugiges junges Mädchen mit auffallend langem, blondem, sehr gepflegtem Haar, bemühte sich um sie, begann immer wieder ein Gespräch mit ihr oder lud sie zu einem Kaffee ein.

      Sabine schätzte, daß Hélène mindestens zehn Jahre jünger war als sie, und sie hatte das Gefühl, daß Welten sie trennten. Aber da Hélène der einzige Mensch im Büro war, der positiv zu ihr stand, mochte sie sie nicht vor den Kopf stoßen. So hörte sie sich denn geduldig den Büroklatsch an und die sehr wenig interessanten Wochenenderlebnisse Hélènes, ohne selber etwas zu diesen Gesprächen beizusteuern.

      Mit Hélène oder auch allein nutzte Sabine manchmal die Mittagspause zu einem Schaufensterbummel in der Rue de Rhône. Waren sie zu zweit, so machten sie sich einen Spaß daraus, in dem für ihre Verhältnisse viel zu teuren Modehaus »Bon Génie« Kleider von Kenzo, Rykiel und anderen internationalen Modeschöpfern

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