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eines der köstlichen Sandwichs, die in jeder Bäckerei zu haben waren.

      War sie allein, setzte Sabine sich gern, mit oder ohne Sandwich, unter einen der exotischen alten Bäume im Jardin Anglais, einem am Ufer der Rhône gelegenen kleinen Park. Es machte ihr immer wieder Spaß, die Touristen zu beobachten, die nicht der Verlockung widerstehen konnten, sich vor einer bunten Blumenuhr fotografieren zu lassen. Der Fotografierende riskierte dabei jedesmal sein Leben, denn um Personen von Kopf bis Fuß auf das Bild zu bekommen, mußte er auf dem äußersten Rand der Bordsteinkante des stark befahrenen Quai Général balancieren.

      Das waren die kleinen Lichtblicke in Sabines neuem Leben neben den Abenden mit Stefanie. Sabine, die ihre Tochter nicht belasten wollte, achtete darauf, die beruflichen Enttäuschungen und Mißverständnisse in ihren Erzählungen ins Komische zu ziehen.

      Es erleichterte sie sehr, daß es Stefanie dagegen wirklich in der neuen Umgebung gefiel. Im Sprachinstitut hatte sie rasch Kontakt zu ihren Mitschülerinnen gefunden, Mädchen aus den verschiedensten Ländern, von denen einige sogar ohne Eltern und Verwandte den Rest ihrer Ferien in Genf verbrachten. Sabine war froh über diese Kontakte zu Gleichaltrigen, denn Stefanie, die als Einzelkind immer schon ein wenig altklug gewesen war, hatte nach dem Tod des Vaters eine gewisse Frühreife entwickelt, die die Mutter manchmal die Stirn runzeln ließ. Im Umgang mit ihren neuen Kameraden schien sie wieder ganz Kind geworden.

      Sabines größte Sorge war zunächst das Wohnungsproblem. Jeden Tag, vor allem donnerstags und freitags, wenn die großen Tageszeitungen ihre Immobilienbeilagen hatten, begann das Telefonieren. Aber da sie es so einrichten mußte, daß die Leitungen im Büro nicht ständig besetzt waren, kam sie stets zu spät. Die Wohnungen, die vom Preis her akzeptabel schienen, waren schon vergeben. Andere waren zu weit außerhalb der Stadt oder boten nicht den minimalsten Komfort. Meist jedoch waren schlicht und einfach die Miete, die Ablösesumme oder die Kaution zu hoch.

      In ihrer Verzweiflung vertraute sie sich Hélène an.

      »Hier in Genf kommst du nur durch Beziehungen zu einer akzeptablen Wohnung«, behauptete die junge Sekretärin, »du kennst wohl niemanden?«

      Sabine hatte sich daran gewöhnt, von Hélène ganz ungezwungen geduzt zu werden. »Eigentlich nur dich und unsere Kollegen hier bei der Versicherung. Soll ich mich mal beim Hotelpersonal umhören?«

      »Ja, tu das! Schaden kann es nicht. Ich werde inzwischen meine Beziehungen spielen lassen. Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen!«

      Doch schon wenige Tage später verkündete Hélène strahlend: »Sabine, ich glaube, ich habe eine Wohnung für dich gefunden. Zwei große Zimmer, Bad und Küche, möbliert, und alles in allem für lächerliche achthundertfünfundzwanzig Francs im Monat. Inklusive Nebenkosten. Was sagst du jetzt?«

      Sabine wußte, daß sie auch in München für diesen Preis kaum eine entsprechende Wohnung bekommen hätte. »Klingt fantastisch!« rief sie begeistert. »Und wo liegt sie?«

      »In der Rue de Bâle. Das ist zwar nicht gerade das feinste Viertel, aber zentral und nicht allzu laut.«

      Sabine ließ sich von Hélène die Straße auf dem Stadtplan zeigen und stellte mit Freuden fest, daß es von dort nur zwei Minuten zu Fuß zum See und zum »Bains de pâquis« war.

      »Fabelhaft! Da wird sich Stefanie freuen. Wann kann ich die Wohnung besichtigen?«

      »Sie gehört einem Freund meines Onkels. Er hat versprochen, sie zwei, drei Tage für dich zu reservieren, bevor er die Annonce aufgibt. Am besten gehen wir heute gleich nach Büroschluß hin. Ich habe nämlich einen Schlüssel.«

      »Du bist ein Schatz«, sagte Sabine aus tiefstem Herzen. Sie sah auf die Uhr. Stefanie mußte jetzt im Institut sein. Die Neuigkeit war wichtig genug, sie beim Unterricht zu stören, entschied sie und ließ ihre Tochter ans Telefon rufen.

      Stefanie stieß einen Juchzer aus, als sie davon erfuhr, und erklärte, daß sie sehr wohl imstande sei, die Rue de Bale auf eigene Faust zu finden. Als die beiden Frauen eintrafen, wartete sie schon dort. Die Straße war wirklich ruhig, aber das Gebäude machte einen wenig einladenden Eindruck.

      Stefanie zog eine kleine Grimasse.

      »Spiel jetzt nur nicht die Prinzessin auf der Erbse!« entfuhr es Sabine, die sich die eigene Ernüchterung nicht anmerken lassen wollte.

      »Ich habe ja gar nichts gesagt! « verteidigte sich das Mädchen.

      »Sei mir nicht böse, Liebes, entschuldigte sich Sabine sofort. »Aber ich bin ein bißchen nervös.«

      »Schon gut, schon gut, Maman.«

      Hélène führte sie drei Stockwerke hoch durch ein schmuckloses Treppenhaus, und zur allgemeinen Erleichterung war die Wohnung dann doch durchaus akzeptabel, hell und modern und sehr zweckmäßig eingerichtet.

      »Ihr schlagt also ein?« fragte Hélène.

      »Na und ob!« stimmten Sabine und Stefanie fast gleichzeitig zu.

      »Ich freue mich, daß ich euch helfen konnte«, erklärte Hélène und versprach die vertraglichen Angelegenheiten zu regeln.

      Die Wohnung war vom Bettzeug bis zum Geschirr mit Schweizer Gründlichkeit ausgestattet und für ihre Bedürfnisse günstig geschnitten. Von einem kleinen Gang aus gingen zwei Zimmer – eines für Sabine, das andere für Stefanie –, Küche und Bad ab. Der Umzug war kein Problem. Außer ihren Kleidern und ein paar persönlichen Gegenständen hatten sie ja aus München nichts mitgenommen. Sie besorgten sich ein paar Pflanzen und Blumentöpfe, um es sich gemütlich zu machen. Alles andere würde sich im Lauf der Zeit ergeben.

      Als sie das erste Mal nach ihrem Einzug in der winzigen Küche zu Abend aßen – in den beiden Zimmern gab es keinen Tisch in Eßhöhe –, sagte Sabine gedankenverloren: »So schön wie zu Hause ist es doch nicht.«

      Stefanie lachte. »Aber, Maman, was hattest du denn erwartet?«

      Sabine seufzte. »Ich weiß es selber nicht.«

      Obwohl Sabine sich fest vorgenommen hatte, viel in Genf zu unternehmen, blieb es in dieser ersten Zeit bei dem Vorsatz. Sie war von der Versicherung so in Anspruch genommen, daß sie abends völlig erschöpft war.

      Zwar gelang es ihr, von Tag zu Tag flüssiger zu telefonieren, aber Madame Archinard schien es darauf abgesehen zu haben, ihr das Leben schwerzumachen. Je besser Sabine verstand, desto weniger gab sich die Vorgesetzte Mühe, langsam und deutlich mit ihr zu sprechen, sondern rasselte die Anweisungen so schnell herunter, daß Rückfragen selten zu vermeiden waren. Sabine empfand das als demütigend.

      »Mach dir nichts daraus«, tröstete Hélène sie, »die Archinard hat einfach Angst vor dir.«

      »Daß ich nicht lache!«

      »Du kannst mir schon glauben. Sie kommt nicht gut mit den Computern zurecht, und sie hat Angst vor jedem, der es vielleicht besser machen könnte.«

      »Sie läßt mich ja gar nicht an den Computer.«

      »Eben. Es heißt, die in München hätten dir ein fabelhaftes Zeugnis gegeben, und ich kann mir ganz gut vorstellen, daß sie fürchtet, du würdest sie ersetzen wollen.«

      »Du lieber Himmel! Aber ich bleibe doch nur ein Jahr.«

      »Das weiß sie nicht oder will es nicht glauben.« Vergeblich suchte Sabine das Gespräch mit Madame Archinard, um die Situation klarzustellen. Eine offene Auseinandersetzung wagte Sabine nicht, denn sie wußte, daß sie dabei bestimmt den kürzeren gezogen hätte.

      Immerhin hatte Hélène s Erklärung Madame Archinards feindseliger Haltung den Stachel gezogen. Das machte jedoch die Arbeit nicht weniger anstrengend. Noch war Sabine weit davon entfernt, ihr Aufgaben routinemäßig zu erledigen.

      Darüber hinaus gab es in der knappen Freizeit noch einiges zu erledigen. Jetzt, nachdem sie sich häuslich niedergelassen hatten, mußte sie sich und ihre Tochter bei der »Contrôle d’Habitant« anmelden, einen Telefonanschluß beantragen und sich vergewissern, daß die

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