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sich, als das Mädchen tatsächlich frisch gepreßten Orangensaft brachte. Sabine fragte nach dem Preis, was schon leichter ging, verstand die Summe, zahlte gleich und gab ein großzügiges Trinkgeld. Die junge Frau bedankte sich höflich.

      »Auf die hast du einen guten Eindruck gemacht«, fand Stefanie.

      »Wollte ich auch. Weil sie bestimmt gemerkt hat, daß wir Deutsche sind.«

      Der Saft schmeckte köstlich, war kühl und erfrischend. Sabine, die im Auto nie rauchte, nahm sich eine Zigarette und ließ sich von Stefanie Feuer geben.

      Auf dem See tummelten sich Hunderte kleiner Boote mit weißen Segeln, manche hatten leuchtend bunte Spinnaker aufgezogen.

      Sabine wandte ihr Gesicht in die Sonne. »Ich fühle mich unheimlich wohl, du auch?«

      »Ich glaube, man kann’s hier aushalten«, stimmte Stefanie ihr fröhlich zu.

      Es wäre ihnen schwergefallen sich loszureißen, wenn sie nicht doch darauf gebrannt hätten, endlich ihr Ziel zu erreichen. So stiegen sie nach einer guten halben Stunde wieder in Sabines kleinen Wagen und fuhren weiter.

      6

      Der erste Eindruck von Genf war überwältigend.

      Sabine und Stefanie überboten sich in dem Versuch, die Sehenswürdigkeiten der Stadt als erste zu entdekken. Da waren die gepflegten Uferpromenaden, die über hundert Meter hoch steigende Fontäne im See, »Jet d’eau« genannt, und das dunkle Gebirge, der »Salève«, das sich hinter den ehrwürdigen alten Bürgerhäusern abhob. Alles zusammen wirkte seltsam unwirklich, fast wie das betonierte Bild aus einem Reisekatalog. Sie staunten.

      Doch als sie die Peripherie hinter sich gelassen hatten, mußte Sabine sich ganz auf den Verkehr konzentrieren. Stefanie hatte die Landkarte gegen Stadtplan eingetauscht.

      »Hast du das Hotel Strasbourg entdeckt?« fragte Sabine.

      »Aber sicher. Das habe ich mir schon zu Hause angestrichen.«

      Die Versicherung hatte ihnen dort für die ersten Tage ein Zimmer gebucht.

      »Und wie kommen wir hin?«

      »Also, das ist ganz einfach: immer geradeaus und dann bei der Brücke nach rechts und dann … Pustekuchen, da fängt ’ne Fußgängerzone an.«

      »Mach mich, bitte, nicht nervös!«

      »Ich tue mein Bestes. Also … du fährst jetzt die nächste Straße, die Rue des Alpes, rechts rein… da muß so ’ne Art Monument sein …« Stefanie hob den Kopf, um Ausschau zu halten.

      »Da vorne ist es«, bestätigte Sabine, »ein recht merkwürdiges rosa Gebilde.«

      »Dann sind wir richtig. Jetzt immer weiter geradeaus, bis du links in die Rue de Pradier einbiegen kannst, und da muß dann auch schon unser Hotel sein.«

      Sabine befolgte, etwas skeptisch, die Anweisungen ihrer Tochter und war angenehm überrascht, als sie ihr Ziel tatsächlich problemlos erreichten. »Das hast du gut gemacht, Stefanie«, lobte sie.

      »Ich bitte dich, Maman! Kartenlesen ist doch keine Kunst.«

      »Für manche Leute schon.«

      »Jedenfalls bist du sehr gut gefahren.«

      »Danke, Liebes.«

      Die helle Sandsteinfassade des Hotels war anscheinend frisch gereinigt. Es hatte hübsche kleine Balkons. Fenster und Türen waren blau gestrichen.

      Sabine hielt vor dem Eingang. Sie bat Stefanie, im Auto zu bleiben, nahm ihre Handtasche und stieg aus. Die Halle des Hotels wirkte, wenn man aus der strahlenden Sonne kam, etwas düster. Rasch nahm Sabine ihre Brille ab und sah sich um. Es war ein fast gemütlicher Raum mit bunten Orientteppichen auf dem Boden – ob echt oder falsch, das konnte sie nicht beurteilen –, alten, sehr gepflegten Möbeln, die Sitzgruppen bildeten, und einem imposanten Kronleuchter an der holzgetäfelten Decke.

      Die Rezeption lag links vom Eingang.

      Ein junger, sehr korrekt gekleideter Portier hieß Sabine willkommen. In ihrem immer noch etwas bemühten Französisch erklärte sie, daß die Nord-Süd Société d’assurances für sie und ihre Tochter ein Zimmer reserviert hätte. Der junge Mann wußte schon Bescheid.

      »Zimmer Siebenundzwanzig, zweiter Stock«, erklärte er und drückte auf eine Klingel am Empfangspult.

      Ein Page erschien und nahm den Zimmerschlüssel.

      »Mein Auto steht vor dem Eingang«, erklärte Sabine.

      »Würden Sie, bitte, das Handgepäck vom Rücksitz nach oben bringén lassen?«

      »Selbstverständlich, gnädige Frau.«

      Sabine wandte sich an den Pagen. »Warten Sie, bitte, einen Augenblick?«

      »Wir werden Ihr Auto dann im Hof parken«, bot der Portier an.

      »Danke, das wäre nett.«

      Nach diesem Gespräch, das nach dem Muster eines Lehrbuchs abgelaufen war, begann Sabine sich sicherer zu fühlen; es war ihr nicht nur gelungen, sich in der fremden Sprache auszudrücken, sondern sie hatte auch alle Antworten verstanden.

      Sie verließ das Hotel, um Stefanie zu erlösen. »Es hat alles geklappt«, erklärte sie, nicht ohne Stolz.

      »Wieso auch nicht?« gab Stefanie, wenig beeindruckt, zurück.

      Ein Hausdiener tauchte aus dem Souterrain des Hotels auf, und Sabine gab ihm den Wagenschlüssel. In seiner gestreiften Weste und der grünen Schürze mit dem grauen, kurzgestutzten Haar und dem gleichbleibendem Lächeln hatte er etwas geradezu Bilderbuchhaftes. Stefanie kicherte darüber, sobald sie ihm den Rücken zugewandt hatten.

      Der Page fuhr mit ihnen im Luft nach oben und schloß ihnen das Zimmer auf. Er ging voraus und knipste das Licht an. Sie traten in einen fensterlosen Gang, auf dessen linker Seite eine Kofferablage und Kleiderschränke vom Boden bis zur Decke eingebaut waren. Rechts öffnete ihnen der Page eine Tür zum Bad, das sich zwar nicht mit dem in München vergleichen ließ, aber mit allem Notwendigen ausgestattet war; auf schimmernden Chromstangen hingen weiße, dicke Frottiertücher in verschiedenen Größen.

      »Sehr schön«, sagte Sabine zufrieden.

      Der Page war schon weitergegangen und hatte die Tür zum Zimmer aufgestoßen. Es war ein großer heller Raum mit zwei Betten, zwei Sesseln, einer Stehlampe und einem runden Tisch. An der Wand hing ein Ölgemälde, das einen mächtigen, schneebedeckten Berg zeigte.

      Stefanie nahm sich ein Herz, zeigte auf das Kunstwerk und fragte: »Le Mont Blanc?«

      »Oui, Mademoiselle«, erwiderte der Page lächelnd. Sabine kramte in ihrer Handtasche und gab ihm ein Trinkgeld.

      »Merci, Madame«, sagte der Page, »une bonne journée!«

      Mit einer Verbeugung zog er sich zurück.

      »Wieso sagt der uns guten Morgen?« fragte Stefanie.

      »Es ist doch längst Nachmittag.«

      »Er hat nicht ›Guten Morgen‹ gesagt, das würde heißen: ›Bon jour‹. ›Une bonne journée‹ bedeutet: ›einen guten Tagesverlauf‹ – das sind so die kleinen Feinheiten, auf die man wohl erst mit der Zeit kommt.«

      »Du kennst dich doch schon ziemlich gut aus, Maman.« Stefanie streifte ihr Turnschuhe von den Füßen und warf sich auf eines der Betten. »Und wie geht’s jetzt weiter?«

      »Erst mal müssen wir warten, bis das Gepäck kommt, dann packen wir schnell aus, machen uns frisch, und danach machen wir uns auf zu einem Erkundungsgang. Einverstanden?«

      »Oh ja, Maman! Du bist spitze.«

      »Wieso das?«

      »Andere Mütter hätten bestimmt gesagt: ›Jetzt ruhen wir uns erst einmal aus!‹«

      Sabine

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