Скачать книгу

      Sabine konnte sich keinen besseren Mann als Bernhard Heuss denken. Er war Harry ähnlich: zuverlässig, beherrscht, selbstsicher und – falls es einmal doch nicht ganz so sein sollte – unfähig, das zuzugeben. Er konnte keine Schwäche zeigen, sowenig wie Harry das vermocht hatte.

      Falls sie Bernhard heiratete, würde es mit dem bißchen Freiheit, das sie sich nach Harrys Tod erkämpft hatte, vorbei sein. Es würde wie früher werden, und es würde für immer oder zumindest für absehbare Zeit so bleiben: die gleiche Wohnung und die gleichen Gewohnheiten. Es würde kein Ziel, keine Hoffnung, keine Träume und keine Erwartungen mehr geben. Natürlich würde es ihr rundherum gutgehen. In diesem Punkt hatte Lisbeth recht. Aber das genügte ihr einfach nicht. Lisbeth nippte an ihrem frischen Drink.

      Stefanie beobachtete sie erwartungsvoll. »Ist er richtig so?«

      »Genau getroffen! Wenn dir nichts Besseres einfällt, könntest du zweifellos Cocktailmixerin werden.«

      Stefanie lachte. »Aber ich mache mir nichts aus Alkohol.«

      »Das wird schon noch kommen.« Sie wandte sich der Freundin zu. »Soll ich ganz aufrichtig sein, Sabine?«

      »Ich bitte darum.«

      »Das mit Genf ist eine ganz dumme Idee. Erstens wird dort Französisch gesprochen …«

      »Aber ich kann Französisch!« fiel Sabine ihr ins Wort.

      »Ich müßte es nur ein bißchen auffrischen.«

      »….und zweitens herrscht in Genf ziemlicher Frauenüberschuß. Falls du also hoffst, dir ein hohes Tier zu angeln…«

      »Ich denke nicht im Traum daran!«

      »….bist du völlig schiefgewickelt. Bei all diesen internationalen Gremien, Ausschüssen und Instituten sind junge Frauen en masse beschäftigt.«

      »Du verstehst nicht, worauf es mir ankommt.«

      »Dann erklär’s mir, bitte!«

      »Ich möchte einfach raus hier«, sagte Sabine mit einer weit ausholenden Geste, »Abstand gewinnen, zu mir selbst finden.«

      »Ach so? Na ja. Da kann ich nur eins sagen: wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen.«

      2

      Ein paar Tage später holte Bernhard Heuss Sabine abends ab. Er hatte Theaterkarten besorgt.

      »Schließ die Tür ab«, ermahnte sie Stefanie, »schieb den Riegel vor und laß niemanden mehr herein!«

      Stefanie lachte. »Keine Bange, Mami! Ich nehme mich schon in acht vor dem bösen Wolf.«

      »Das ist kein Spaß, Liebling!«

      »Was soll denn passieren? Ich bin doch schon zigmal allein geblieben.«

      »Aber ganz wohl ist mir dabei nie.«

      »Quatsch, Mami. Mach dir einen schönen Abend und laß dir keine grauen Haare wachsen. Du siehst übrigens blendend aus.«

      Sabine trug ihr »kleines Schwarzes«, ein ganz schlichtes Chiffonkleid, das ihre Figur besonders vorteilhaft betonte. »Danke, Liebes«, erwiderte sie.

      »Du übrigens auch, Bernhard.«

      Er fuhr sich über das bläuliche Kinn. »Freut mich, wenn ich dir gefalle. Leider hatte ich weder Zeit mich umzuziehen noch mich zu rasieren.« – Sein grauer Anzug war leicht zerknautscht und sein Hemd nicht mehr blütenrein.«

      »Macht nichts«, erklärte Stefanie großmütig,»ein Mann muß nicht immer schön sein.«

      Sabine lachte über diese altkluge Bemerkung.

      »Aber du bist immer noch schön genug«, setzte Stefanie hinzu.

      Das stimmte, fand Sabine. Hochgewachsen, mit einem kantigen Kinn und kühlen grauen Augen war er ein Mann, der Eindruck machte.

      Ob er sich über Stefanies unverblümte Komplimente freute oder sich aufgezogen fühlte, ließ er sich nicht anmerken. Er drängte zum Aufbruch und half Sabine in ihr Abendcape. Zu einem Drink blieb ohnehin keine Zeit mehr.

      Auf der Fahrt in die Innenstadt redeten sie über Belanglosigkeiten. Sabine war es ganz recht so, denn dies war weder die passende Gelegenheit noch der richtige Zeitpunkt, ihr Problem zur Sprache zu bringen. Vor dem Eingang des neben dem Theater gelegenen Hotels hielt er an. Ein rot livrierter Portier eilte herbei und half Sabine beim Aussteigen. Bernhard Heuss gab ihm die Wagenschlüssel und einen Geldschein mit der Bitte, das Auto in der Tiefgarage zu parken. Die wenigen Schritte um die Ecke gingen sie eingehakt und sehr flott. Es blieb ihnen gerade noch Zeit, ihre Garderobe abzugeben und die steile Wendeltreppe zum Zuschauerraum hinaufzueilen. Kaum hatten sie ihre Plätze eingenommen – Bernhard nahm in der Regel Randplätze, so daß sie niemanden zum Aufstehen nötigen mußten –, wurde es auch schon dunkel im Saal, und der Vorhang hob sich.

      Es war ein heiteres Stück, das auf der Bühne geboten wurde, eine Komödie voller Verwirrungen und Verwechslungen, und es machte Spaß, Schauspieler, die man von Film und Fernsehen kannte, aus der Nähe zu sehen. Doch Sabine vermochte sich nicht zu entspannen. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie Bernhard nicht von Anfang an in Baumgartners Vorschlag eingeweiht hatte. Jetzt würde es viel schwerer sein, davon anzufangen.

      In der Pause plauderten sie, ein Glas Wein in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand, ausschließlich über die Aufführung. Sabine gab sich begeisterter, als sie tatsächlich war, denn sie wußte, daß er sich nichts aus Boulevardtheater machte und nur ihr zuliebe da war.

      Als sie nach der Vorstellung auf den »Promenadeplatz« hinaustraten, war es bereits dunkel. Nur die hohen Bogenlampen verbreiteten ein diffuses Licht.

      Spontan umarmte sie ihn. »Das war ein schöner Abend! Ich danke dir!«

      Er hielt sie ganz fest. »Das soll doch nicht etwa heißen, daß du schon nach Hause willst?«

      Sie fühlte sich an seiner Brust geborgen. »Stefanie erwartet mich.«

      »Ich wette, die schläft längst.«

      »Ich muß sie wecken, damit sie mich hereinläßt.«

      »Ob du das nun etwas früher oder später tust…« Er küßte sie innig. »Komm mit zu mir!«

      Sie hätte nachgeben wollen, sie sehnte sich wie er nach Liebe. Doch sie wußte, daß es nicht um diese Stunde ging oder diese Nacht, sondern daß er eine Entscheidung fürs ganze Leben von ihr erwartete.

      Mit einem Seufzer machte sie sich frei. »Ich bin noch nicht soweit.«

      »Wie lange willst du mich noch warten lassen? Harry liegt seit fast einem Jahr unter der Erde…«

      »Seit sieben Monaten«, verbesserte sie ihn sanft, »das ist ein Unterschied.«

      »Für mich nicht. Er ist tot. Das Kapitel Harald Meyendorf ist abgeschlossen. Wir müssen einen neuen Anfang machen. Allmählich bezweifle ich, ob du das überhaupt willst.«

      Beinahe hätte sie erklärt: »Doch, ich will! Nur nicht so schnell!« Denn der Gedanke, ihn zu verlieren, schreckte sie. Doch dann zwang sie diesen Anflug von Feigheit nieder und gab zu: »Das ist es eben, Bernhard. Ich weiß es nicht. Ich weiß es selbst noch nicht.«

      »Wie lange kennen wir uns schon, Sabine?«

      »Das hat damit nichts zu tun. Ich war all die Jahre die Frau eines anderen. Aber jetzt hat sich alles völlig verändert. Ich weiß nicht mehr, wo ich stehe.«

      »Ich denke, niemand hat mehr Rücksicht auf deine Gefühle genommen als ich«, sagte er steif.

      »Bitte, sei mir nicht böse!« flehte sie. »Bitte, laß uns nicht streiten!« Noch eben hatte sie sich geborgen gefühlt, in seinen Armen jetzt plötzlich überkam sie Hilflosigkeit. Sie wagte nicht einmal, ihn zu drängen, sie nach Hause zu fahren, denn dann hätte er erwartet, daß sie ihn mit hinaufbitten würde, und genau das wollte sie nicht.

Скачать книгу