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ja nur ein Monat sein. Das hier würde für ihn wie ein Urlaub werden. Und nach einem Monat würde er ihnen seinen Anteil des Unternehmens verkaufen und nach New York zurückkehren. Zurück in die Realität. Aber … »Sie kannte mich doch gar nicht«, sagte er. »Warum wollte sie, dass ich einen Teil ihres Unternehmens erbe?«

      Zane schob den Salzstreuer auf dem Tisch herum. »Sie kannte dich nicht, aber du bist trotzdem ein Teil unserer Familie. Sie hat immer gehofft, dass du eines Tages zurückkehrst.« Der Salzstreuer fiel um. »Sie wollte, dass wir das hier tun.«

      Jaden bezweifelte das. Und er bezweifelte auch, dass er diese unbekannten Erwartungen erfüllen konnte. Doch eigentlich war es egal, die Situation blieb die gleiche. »Also gut«, sagte er und versuchte, sich nicht berühren zu lassen. Weder von Elliots und Phoenix‘ begeistertem Grinsen noch von Zanes forschendem Blick.

      Kleinstädte waren seltsam. Jaden, ganz der Stadtmensch, hatte das schon immer gedacht, obwohl er Kleinstädte nur aus Büchern oder aus dem Fernsehen kannte. Serenity war nicht rückständig, wie er es sich vorgestellt hatte. Es gab Einkaufszentren und asphaltierte Straßen, und Phoenix wollte ihn zu einem Supermarkt fahren, aber trotzdem war das nicht das, woran er gewöhnt war. Es gab so viel Platz. Und alles war flach, die Gebäude zogen sich in die Breite, nicht in die Höhe. Nur eine Handvoll Leute war auf den Bürgersteigen zu sehen. Wenn es überhaupt Bürgersteige gab. Viele Straßenabschnitte wurden nur von Wiesen und Bäumen gesäumt, es gab keinen Platz für Fahrradfahrer und Fußgänger. Phoenix musste mehr als einmal einem Jogger ausweichen. Und es gab Kühe. So viele Kühe. Ganze Felder voller Kühe, ab und zu auch ein paar Pferde. Jaden entdeckte sogar Ziegen, als sie an einem Haus vorbeifuhren. Winzige Ziegen, wie die, die er aus dem Streichelzoo kannte. Er hatte sich immer gefragt, was Leute mit diesen winzigen Ziegen anstellten, und nun wusste er es: Anscheinend waren es Haustiere. Die ländliche Alternative zu Hunden.

      »Wo fahren wir hin?«, fragte er schließlich. Phoenix fuhr eine kurvenreiche Straße entlang, die von schattigen, moosbedeckten Eichen gesäumt war. Es schien, als würden sie sich immer weiter vom Stadtzentrum mit den Läden entfernen, um direkt in die Wildnis zu fahren.

      »Wenn wir da sind, wirst du verstehen, warum Leute hier wohnen«, sagte Phoenix. Es klang ziemlich kryptisch, wie Jaden fand.

      Er trommelte mit den Fingern auf der Sitzlehne herum und sah hinunter zu seinem iPhone, das auf seinem Schoß lag. Nun wäre ein guter Zeitpunkt, um eine Nachricht zu bekommen. Aber natürlich schrieb ihm niemand.

      Die Bäume vor dem Autofenster verschwammen ineinander. Wenn Jaden dachte, die Straße nach Serenity würde mitten im Nirgendwo liegen, dann führte diese Straße im Vergleich dazu wohl direkt in die Everglades. Oder durch die Everglades hindurch.

      Phoenix wurde langsamer, um eine unglaublich kurze Holzbrücke zu überqueren, die über einen kleinen Bach führte Jaden erblickte gerade noch den schwarz-gelben Panzer einer Schildkröte, die sich auf einem Ast sonnte. »Bist du das erste Mal in Florida?«, fragte Phoenix.

      Jaden riss sich von der Betrachtung der Tierwelt los. »Das erste Mal, an das ich mich erinnere«, antwortete er. »Die anderen Male war ich noch zu klein. Meine Mom ist aus Serenity. Na ja, das heißt, sie hat eine Weile hier gelebt. Ursprünglich kommt sie aus Los Angeles.« Sie hatte ihm nie etwas über Serenity erzählt. Nichts außer: Ich versuche, so zu tun, als sei diese Zeit meines Lebens nie passiert. Ich bin eben kein Kleinstadtmädchen. Dann, ein paar Minuten später, als ihr klar geworden war, wie das geklungen hatte, hatte sie jedes Mal hinzugefügt: Von dir natürlich abgesehen. Du bist passiert und das war gut. Sie war nicht sonderlich gut darin, über Gefühle zu reden.

      »Ah, cool.« Die Bäume wurden spärlicher, man konnte den strahlend blauen Himmel besser erkennen. »Zane und ich sind aus Montana. Unsere Mom wohnt immer noch dort.«

      »Zane und du, ihr seid also …?«

      »Ja, wir sind zu hundert Prozent Brüder. Mom hatte so eine Art wilde Phase. Sie hat unseren Vater kennengelernt, als sie auf einer Pferderanch in Wyoming gearbeitet hat. Zane und ich sind nur ein Jahr auseinander. Ein paar Monate, nachdem Zane geboren wurde, haben sie sich getrennt. Sie hat uns zurück nach Montana gebracht. Sie ist Cheyenne, also haben wir im Reservat gelebt. Sie haben es recht gut aufgenommen, wenn man die Umstände bedenkt.«

      Jaden wusste nicht, was das hieß. »Was gut aufgenommen?«

      »Unsere käseweißen Hintern«, sagte Phoenix, lachte und deutete auf sich selbst. »Mom ist ganz dunkel. Aber Zane und ich wurden mit schwarzem Haar geboren, das war’s. Wir waren das Zeichen ihrer Rebellion. Anders als die anderen. Es hat ein bisschen gebraucht, bis die Gemeinschaft uns akzeptiert hat.«

      Phoenix und Zane hatten beide sonnengebräunte Haut, und auch, wenn sie nicht unbedingt dunkel waren, waren sie sicherlich nicht käseweiß. Diese Ehre fiel Jaden zu. Nur sein Gesicht und seine Unterarme sahen ab und zu die Sonne. »Oh«, sagte er, nicht sicher, was man darauf antworten sollte.

      Phoenix grinste. »Alles gut. Unsere Familie … Es ist ihnen sehr wichtig, wo man herkommt. Also sind wir neugierig geworden. Mom wusste genug, um uns nach Serenity zu schicken. Also sind wir hierhergekommen. Um uns selbst zu finden, schätze ich. So irgendwie.« Er zuckte mit den Schultern. Es schien ihm nichts auszumachen, seine Vergangenheit mit jemandem zu teilen, der, technisch gesehen, ein Wildfremder war. »Wir haben unseren Samenspender aber noch immer nicht getroffen. Er ist noch nicht aufgekreuzt, seit wir hier sind. Ab und zu hat er Lily-Anne angerufen, aber das war es auch schon. Beim Begräbnis war er auch nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt von ihrem Tod weiß.« Er schilderte es völlig sachlich. Es schien ihn nicht mehr zu kümmern, dass der Mann, wegen dem er hergekommen war, nicht da war.

      Das Auto wurde langsamer und Jaden sah auf, immer noch überfordert von all den neuen Informationen. Vier Kraniche stolzierten über die Straße, seelenruhig und ungerührt. Sie ignorierten das Auto einfach. Einer blieb stehen, um nach irgendetwas auf der Straße zu picken. »Ist das normal?«, fragte Jaden. Der New Yorker in ihm wurde bereits ungeduldig.

      »Oh, ja«, sagte Phoenix und lachte. »Wenn es keine Kraniche sind, dann ist es ein Alligator, eine Schildkröte, eine Hirschfamilie … Die Liste geht endlos weiter. Wenn Touristen nach den Tieren hier fragen, sagen wir immer: ›Egal, welches Tier dir einfällt, das gibt es hier sicher‹.« Endlich hatten die Kraniche die Mitte der Straße erreicht und der Weg war frei. Phoenix fuhr vorsichtig an ihnen vorbei. »Das macht meinen Job recht interessant.«

      Jaden versuchte, sich das Gespräch mit Chase ins Gedächtnis zu rufen. Er hatte erwähnt, was Phoenix beruflich machte. Aber er erinnerte sich nur vage an die Fahrt. Alles verschwamm ineinander. Nur die Erinnerung an Chase war noch glasklar. Die hervorstehenden Adern an seinen Unterarmen, die Länge seiner Finger, die Art, wie er mit der Zungenspitze über die Zähne fuhr, wenn er nach Worten suchte … Hitze flammte in seinem Bauch auf und Jaden räusperte sich. Für das hier war jetzt wirklich nicht der geeignete Zeitpunkt. »Was machst du denn beruflich?«, fragte er.

      »Ich leite ein Rehabilitationszentrum für Wildtiere. Aber wir nehmen auch andere Tiere. Im Prinzip sammle ich Streuner auf. Die Leute bezahlen Eintritt, um mehr über Tiere zu erfahren. Mein Tierheim ist nur klein, aber in Miami gibt es ein großes Schutzzentrum, die machen großartige Arbeit. Wenn du mal die Gelegenheit hast, sieh es dir an, das wird dein Herz zum Schmelzen bringen. Ich nehme hauptsächlich die Tiere, die sonst keinen Platz bekommen, dringende Fälle und so weiter. Angefangen habe ich mit Hunden.«

      Richtig. Nun erinnerte er sich wieder an Chases Worte. »Also, du rettest Waschbären und so?«

      »Und so«, sagte Phoenix und grinste breit. »Ah, wir sind da.«

      Jaden sah aus dem Fenster und erwartete … Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Jedenfalls nicht einen klaren Himmel und blaues Wasser, so weit das Auge reichte. Sie fuhren aus dem Wald heraus und bogen in eine Straße ein, die sicher viele Kilometer weit am Strand entlang führte. Das Gelände fiel schräg ab, wackelige hölzerne Fußwege führten über wildes Gebüsch hinweg zum goldenen Sandstrand.

      Phoenix parkte das Auto neben der Straße am Waldrand. »Ich empfehle dir, deine Schuhe im Auto zu lassen«, sagte er und begann

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