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Kritische Fremdsprachendidaktik. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kritische Fremdsprachendidaktik
Год выпуска 0
isbn 9783823302735
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Cultural Studies
Für den Gegenstandbereich der Cultural Studies finden sich wiederum Konzepte, die sich analog zu Faircloughs Konzept der kritischen Sprachbewusstheit mit Critical Cultural Awareness bezeichnen lassen (vgl. Moncada Linares 2016, Krulatz et al. 2018). Sie beziehen sich in erster Linie auf die Arbeiten von Byram (1997, 2012) und damit auf den Nexus Sprache-Kultur. Critical Cultural Awareness ist die zentrale Kategorie in Byrams Modell interkultureller kommunikativer Kompetenz und wird dort definiert als „an ability to evaluate critically and on the basis of explicit criteria perspectives, practices and products in one’s own and other cultures and countries“ (Byram 1997: 53). Während man Byrams Arbeiten durchaus eine ähnliche Wirkmächtigkeit wie den Arbeiten Faircloughs attestieren kann und es sicher ihr Verdienst ist, die relationale Positionierung eigener und fremder kultureller Erfahrungen in den Fokus zu stellen, sind sie vor allem deswegen zu kritisieren, weil sie auf einem wenig entwickelten, Binaritäten verstärkenden, länder- bzw. nationenbasierten Kulturbegriff basieren, wie es bereits in der Definition deutlich wird. Byram selbst verhehlt dieses nicht und macht deutlich, dass es ihm (zunächst) um ein praktikables und praxisbezogenes Konzept für Fremdsprachenlehrer*innen zur Vorbereitung von Begegnungen (z.B. in Form von Studienreisen oder Schüler*innenaustauschen) geht (für eine ausführlichere Kritik vgl. Viebrock 2018). Zugleich ist aber unbestritten, dass mit dem Konzept die Möglichkeit der Reflexion kulturell diverser und komplexer Gesellschaften und deren Relation zur individuellen sozialen Identität ermöglicht und gar eingefordert wird: „[…] thus, it has become imperative to approach learners to explore cultural complexity and multiplicity, so that they face a different social identity while questioning their own“ (Moncada Linares 2016: 130). Critical Cultural Awareness hat auf einer Metaebene also immer auch die eigenen begrifflichen Voraussetzungen in den Blick zu nehmen.
Eine kritische Diskussion des Kulturbegriffs (einschließlich der Konzepte der Inter- und der Transkulturalität) wird in der Fremdsprachendidaktik bereits seit über zwei Jahrzehnten geführt. Sie oszilliert zwischen Positionen, die davon ausgehen, dass eine kritische Bewusstheit, eine begriffliche Offenheit und reflexive Dimension bereits im Begriff des Interkulturellen eingeschrieben sind und dieser daher ausreichend ist (vgl. Delanoy 2014), bis hin zu Forderungen, den Kulturbegriff gänzlich zu ersetzen, z.B. durch den Diskursbegriff im Foucault’schen Sinn, womit eine ‚fremdsprachige Diskursbewusstheit‘ (Plikat 2017) zum zentralen Anliegen eines kritischen Fremdsprachenunterrichts werden würde. Auch wenn Plikat sein Konzept selbst nicht ‚kritisch‘ nennt, rückt es mit der Aufnahme von Foucaults Diskursbegriff und einer Bezugnahme auf die oben zitierten Arbeiten Faircloughs in die Nähe der Critical Language Awareness und verdeutlicht auf diese Weise die enge Verbindung von Sprache und Kultur bzw. Diskurs. In gewisser Weise fallen Critical Language Awareness, Critical Cultural Awareness und fremdsprachige Diskursbewusstheit damit zusammen bzw. bezeichnen eine ähnliche konzeptionelle Vorstellung aus etwas unterschiedlichen Perspektiven.1
3. Pädagogische Perspektiven auf einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht
Neben den fachlichen Gegenständen des Fremdsprachenunterrichts und den dort verwobenen Machtstrukturen sind vor allem pädagogische Perspektiven auf einen kritisch orientierten Fremdsprachenunterricht zu betrachten. Auch diese sollen eher unter Bezugnahme auf fachspezifische Quellen präsentiert werden. Als zentrale Konzepte einer kritischen Pädagogik im Fremdsprachenunterricht nennen Phipps und Guilherme (2004: 3): „reflection, dissent, difference, dialogue, empowerment, action and hope“, die im Folgenden knapp umrissen werden sollen. Im Gegensatz zum Ansatz der Analyse und Interpretation, zumal wenn diese sich auf vermeintliche sprachlich-kulturelle Gewissheiten oder Kollektive beziehen, ermöglicht der Ansatz der Reflexion einen expliziten Rückbezug auf individuelle persönliche Erfahrungen und deren Implikationen in der fremdsprachlichen Interaktion. Eine kritische Reflexion kann somit als grundlegende Strategie zur Schaffung einer umfassenden kritischen Diskursbewusstheit dienen. Kritische Reflexion ist über das Moment des Dialogs mit der Dimension des Handelns verbunden. Den Begriff des ‚kritischen Handelns‘ definieren Phipps und Guilherme nicht im Detail, aber aus ihren Ausführungen wird deutlich, dass sie damit ein politisches Handeln mit dem Ziel gesellschaftlicher Erneuerung und sozialer Transformation meinen (vgl. auch Jeyaraj/Harland 2016). Ihren Ansatz sehen sie als somit als praktische, ethische und intellektuelle Notwenigkeit:
It […] publicly and determinedly articulates the problems that persist in accepting the world as it now is. It refuses to place faith in the status quo of relations forged only in the dominant interests of global capitalism, of white hegemonic power, of world English as a supreme or first language, of a so-called ‘first world’, of patriarchal power and of heterosexuality. (Phipps/Guilherme 2004: 2)
Dieser Ansatz ist vollumfänglich kompatibel mit der Zielvorstellung einer (critical) citizenship bei Byram (1997), der Kombination aus kritischer Haltung bzw. Analyse und hieraus entspringender Handlung, die auch bei Fairclough (1992) schon eine wichtige Rolle spielt. Er erkennt – in Übereinstimmung mit dem im vorigen Abschnitt Gesagten – zudem an, dass Lerninhalte niemals neutral sein können, sondern durch ihre soziale, historische oder politische Situierung und Kontextualisierung bestimmt und damit immer schon ideologisch oder politisch perspektiviert sind. Dieses zu erkennen ist Teil einer Ermächtigung (empowerment) der Lernenden, die damit zu selbstbestimmten, autonomen und verantwortlich handelnden Subjekten werden. Vor diesem Hintergrund sind kritische, pädagogische Ansätze auch als ‚pedagogy of responsibility‘ (Giroux 1983) bezeichnet worden. Jeyaraj und Harland (2016) verweisen auf eine Reihe weiterer im akademischen Diskurs verwendeter Begriffe (z.B. ‚pedagogy of possibility‘, ‚empowering education‘, ‚pedagogy of resistance‘ der ‚emancipatory pedagogy‘) und machen auf das gemeinsame Anliegen aufmerksam: „[…] at the heart of all these varieties is the desire to provoke students to go beyond the world they know and feel comfortable in, to expand their understanding of a range of social possibilities and achieve a more equal and just future “ (ebd.: 4).
Um dieses zu erreichen, sind durchaus Dissens und Differenz auszuhalten. Während bei Phipps und Guilherme (2004: 3f.) der Dissensbegriff auf Meinungsverschiedenheiten abzielt und auch Konflikte nicht ausschließt, die es ehrlich und möglichst ausgewogen zu lösen gilt, geht der Differenzbegriff von einer größeren Diversität als Basis aller Überlegungen aus. Mit der sich ergebenden Perspektivenerweiterung ist auch ein Plädoyer für die Erweiterung von Bildungsinhalten und Lerngegenständen verbunden, das sich beispielsweise in der Zurückweisung kanonischer Literatur zugunsten anderer Stimmen ausdrückt oder in einem riskanteren Unterrichtsansatz, der beispielsweise auch PARSNIP-Themen oder die Darstellung negativer Aspekte nicht auslässt. Das Akronym bezeichnet politics, alcohol, religion, sex, narcotics, isms1 und pornography und damit Themen, die oft als unangemessen angesehen und in (kommerziellen) Unterrichtsmaterialien bereinigt werden, die dann zwar „sanitized“ (Gray 2002: 159) sind, also in gewisser Weise „keimfrei“, damit aber insbesondere in einem kritisch orientierten Ansatz bedeutungslos.
Aus dieser knappen Darstellung der Konzepte einer kritischen Pädagogik im Fremdsprachenunterricht wird deutlich, dass sie eine Reihe sehr positiv konnotierter Eigenschaften und Zielvorstellungen umfasst, die sich um weitere, ebenfalls positiv konnotierte Begriffe (wie z.B. Autonomie, Emanzipation, Demokratie) ergänzen ließe. Damit wird ein kritischer Ansatz durchaus zu einer „utopian imagination in education“ (Crookes 2013: 197), der gleichsam alle gesellschaftlichen Probleme zu thematisieren und möglicherweise zu lösen vermag. Ein solcher Anspruch dürfte einerseits im Zentrum vieler pädagogischer Bemühungen stehen und andererseits zugleich ihre Überforderung bedeuten (vgl. hierzu