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Pavlenko (2014: 59) „development of voice and authoritative means of self-expression“ nennt, die unmittelbar mit dem Gedanken der Ermächtigung und in der Folge mit sozialer Transformation (vgl. Abschnitt 3) verbunden sind. Zum einen erlaubt die Perspektivierung von Themen, wie sie in den ausgewählten Romanen vorgenommen wird, den Rezipient*innen eine neue individuelle wie soziale Positionierung, zum anderen stattet der dort modellhaft repräsentierte Sprachgebrauch die Leser*in/Lerner*in mit neuen Ausdrucksmöglichkeiten (auch in der Fremdsprache) aus. Eine differenzierte Betrachtung macht allerdings deutlich, dass ein Teil der Romane zwar das binäre Gendersystem kritisiert, zugleich aber gesellschaftlichen Konventionen und dem damit verbundenen etablierten Sprachgebrauch (z.B. männliche vs. weibliche Pronomina) erliegt. Sowohl If I Was Your Girl als auch The Art of Being Normal verfolgen in gewisser Weise das Narrativ des Boy Meets Girl bzw. Girl Meets Boy, wenn auch unter veränderten Vorzeichen, da zunächst eine*r der Partner*innen eine Transition vollzogen hat. Allerdings reproduzieren die Darstellungen der jeweiligen Beziehungen vielfach Stereotype und perpetuieren so Verhältnisse, die das Weibliche als das schwache und passive Geschlecht darstellen. Die in der Sprache eingeschriebene Binarität ermöglicht somit zwar die Darstellung von Transition, aber nicht die Überwindung einer Zweiteilung an sich.

      Diese Überwindung denkt der Roman Symptoms of Being Human deutlich weiter. Als Ich-Erzähler*in stellt Riley binäre Geschlechterrollen immer wieder in Frage. Die Einsicht in Rileys individuelle Gefühlswelt – beispielsweise anhand der Blogposts, die Riley unter dem Pseudonym Alix veröffentlicht – bietet hierfür Reflexionsräume. Riley erklärt im allerersten Post metaphorisch, was es bedeutet, genderfluid zu sein, und welcher Stigmatisierung man sich ausgesetzt sieht:

      Anyway, it’s not that simple. The world isn’t binary. Everything isn’t black or white, yes or no. Sometimes it’s not a switch, it’s a dial. And it’s not even a dial you can get your hands on; it turns without your permission or approval.

      “Okay,” people say, “but you were born one way or the other. Like, biologically. Anatomically.”

      As if they have a right to know! As if, since I’ve so rudely failed to make it obvious, I ought to wear a sign.

      Well it’s none of their damn business.

      You think I am unaware that my gender isn’t immediately apparent to you? You think I didn’t choose these clothes and this haircut specifically to avoid being stuffed into one pigeonhole or another?

      I’m gender fluid. Not stupid.

      /rant1

      (Symptoms of Being Human: 28)

      Mit starker Stimme werden hier eine binäre Geschlechterordnung und -identität in Frage gestellt. Dabei beansprucht Riley keine Deutungshoheit in Genderfragen, denn auf die Definition, was es heißt, genderfluid zu sein, folgt der Satz: „I know it’s not like that for all gender fluid people – but that’s the best way I can describe how it is for me“ (ebd.: 29). Diese Darstellung kann als Aufruf zur Toleranz von Individualität und gegen ein vereinfachendes kollektivierendes und kategoriales Denken gelesen werden. Sie ist damit mehr als nur vereinbar mit der Hoffnungsbezogenheit kritischer pädagogischer Ansätze (vgl. Abschnitt 3).

      Rileys Geschichte bietet auch deswegen großes Identifikationspotenzial, weil die Leser*innen gemeinsam mit der Hauptperson den Weg des Erwachsenwerdens erleben. Riley ist eben nicht reduziert darauf, genderfluid zu sein. Im Gegenteil, der Fokus der Erzählung liegt auf den Höhen und Tiefen der jugendlichen Entwicklungsphase: zum ersten Mal verliebt sein, die Schule überstehen, neue Freunde finden, Hochgefühle oder tiefe Zweifel erleben. Gleichzeitig aber fordert Rileys fluide Geschlechtsidentität zur kritischen Reflexion eigener Handlungen auf, welche besonders effektiv sein kann, wenn eine Identifikation mit der Hauptfigur stattfindet. Habe ich mich vielleicht meinen Mitschüler*innen gegenüber (unwillentlich) fehlverhalten, wie Rileys Mitschüler*innen es taten? Falle ich selbst (unbewusst) in binäre Zuschreibungen zurück, die meine Mitschüler*innen verletzen können? Solche Fragen sind unmittelbar anschlussfähig an Prozesse des empowerment und dem kritischen Hinterfragen gesellschaftlicher Normen.

      Weiterhin diskussionswürdig ist die Frage, inwiefern die Aktualität der ausgewählten Romane zu einem kritischen Fremdsprachenunterricht beitragen kann. In Symptoms of Being Human stechen hier beispielsweise die prominente Rolle des Blogs hervor, die Jugendsprache Rileys und zahlreiche popkulturelle Referenzen (z.B. auf Star Wars). Sicherlich tragen diese zur Zugänglichkeit des Romans und einem erhöhten Identifikationspotenzial mit der Hauptfigur bei, vielmehr stehen unserer Ansicht nach jedoch die allgegenwärtigen anthropologischen Grundfragen – wie der Titel des Romans besagt, die Symptome des Menschseins – im Vordergrund. Auch der politische Fokus des Romans durch die Rolle von Rileys Vater als Kongressabgeordneter hat zwar in Zeiten Trumps und gesellschaftlicher Polarisierung einen besonderen Stellenwert, auch diesem Thema wohnt jedoch große Zeitlosigkeit inne.

      6. Fazit

      Die vorangehenden Abschnitte haben gezeigt, in welcher Weise die Materialauswahl für eine Kritische Fremdsprachendidaktik von Bedeutung ist. Vor allem literarische Texte haben in einem kritischen Ansatz ein großes Potenzial, wenn sie Erfahrungen und Werthaltungen der Leser*innen einerseits persönlich und emotional ansprechen, und diese andererseits vor intellektuelle Herausforderungen stellen und ein kritisches Hinterfragen eigener Haltungen oder Handlungen fördern. Alle der hier vorgestellten Jugendromane mit ihrer jeweils unterschiedlich perspektivierten Transgender-Thematik bieten Diskussionspotenzial für einen kritischen Englischunterricht. Vor allem Symptoms of Being Human sticht aufgrund seiner besonderen Erzählsprache und -perspektive hervor. Während George, If I Was Your Girl sowie The Art of Being Normal binäres Geschlechterdenken nur bedingt überwinden, da sie zwar einerseits Transgender-Erfahrungen thematisieren, aber andererseits in traditionellen Darstellungen von Beziehungen und Geschlechterstereotypen verhaften, verzichtet Symptoms of Being Human auf eine eindeutige Zuordnung und die definierende Verwendung von Pronomina. Auch lernen Leser*innen nie das biologische Geschlecht der Hauptperson kennen. Vielmehr erhalten sie die Gelegenheit zu reflektieren, wie sehr sie selbst einem Kategoriendenken anheimfallen können bzw. wie stark dieses in unserer Gesellschaft und Sprache verankert ist.

      Neue Perspektiven ergeben sich vor allem durch einen Vergleich der ausgewählten Romane untereinander oder im Vergleich zu anderen (multimodalen) Textangeboten; liest man ausschließlich Symptoms of Being Human, fällt ein Fehlen von binären Pronomina für die Hauptperson womöglich weniger ins Auge als im Vergleich mit anderen Transgender-Romanen. Die Materialauswahl im Sinne einer Kritischen Fremdsprachendidaktik nimmt somit gerade bei mehrdeutigen oder auch kontroversen Themen immer mehr als einen Text in den Blick und betrachtet die ausgewählten Texte so kontextspezifisch wie möglich. Dieses gilt insbesondere, wenn klassische Schulbücher sensible Themenbereiche nur am Rande oder gar nicht thematisieren. Lehrer*innen müssen in der Lage sein, zusätzliches Material auszuwählen und im Sinne kritischer Ansätze zu diskutieren. Sie müssen gemeinsam mit ihren Schüler*innen festlegen, welchen Stimmen sie in ihrem Unterricht größeren Raum geben, welchen weniger, welchen gar nicht. Hierfür braucht es ein Bewusstsein, dass die Materialauswahl eine politische Dimension beinhaltet und eine Kritische Fremdsprachendidaktik eine reflektiert-kritische Positionierung verlangt. Dem Ansatz inhärent ist die Vision einer – auch in Genderfragen – diverseren und gerechteren zukünftigen Gesellschaft.

      Literaturverzeichnis

      Adorno, Theodor W. (1971): Erziehung zur Mündigkeit. Vorträge und Gespräche mit Hellmut Becker 1959-1969. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

      Akbari, Ramin (2008): Transforming lives: introducing critical pedagogy into ELT classrooms. ELT Journal 62(3), S.276-283.

      Byram, Michael (1997): Teaching and Assessing Intercultural Communicative Competence. Clevedon u.a.: Multilingual Matters.

      Byram, Michael (2012): Language awareness and (critical) cultural awareness – relationships, comparisons and contrasts. Language Awareness 21(1-2), S.5-13.

      Crookes, Graham (2013): Critical ELT in Action. Foundations, Promises,

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