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Zugriff ankommt. Aber die Themen- und Materialauswahl, an der der sich Bildungsprozesse vollziehen sollen, und der methodische Zugang, mit dem dieses geschieht, sind eben doch nicht trivial und transportieren bereits eine bestimmte Haltung der Lehrenden, die für einen kritischen Ansatz im Fremdsprachenunterricht eher förderlich ist – oder eben nicht. In jedem Fall ist diese Auswahl politisch, selbst wenn sie nicht als solche intendiert ist (vgl. Jeyaraj/Harland 2016: 6).

      In diesem Beitrag entfalten wir unsere Überlegungen daher am Beispiel ausgewählter, aktueller Jugendliteratur zu Transgender-Themen, die wir in unseren fremdsprachendidaktischen Seminaren in der Lehrer*innenbildung in Gänze oder auszugsweise wiederholt eingesetzt haben, und adressieren damit auch eine wichtige Frage kritischer Ansätze, nämlich wessen Stimmen (vermittelt über literarische Repräsentationen) im Unterricht hörbar gemacht werden. Vertieft betrachten wir den Roman Symptons of Being Human (Jeff Garvin 2016) und ziehen als Vergleichshorizonte George (Alex Gino 2015), If I Was Your Girl (Meredith Russo 2016) und The Art Of Being Normal (Lisa Williamson 2015) heran. Vielmehr als um die Begründung eines bestimmten Genres oder einer bestimmten thematischen Ausrichtung geht es uns allerdings um ein Plädoyer für eine Vielfalt der Textauswahl (vgl. hierzu auch Kirchhoff 2019), die kontext- und situationsspezifisch sehr unterschiedlich sein kann und die von Schüler*innen auch im emanzipatorischen Sinne mitbestimmt werden kann (vgl. Akbari 2008: 280). Wir wählen hier die genannten literarischen Texte zu Transgender-Themen, weil an ihnen Fragen der sprachlichen Repräsentation (z.B. die Verwendung von Pronomina oder spezifisch männlichen oder weiblichen Vornamen bzw. solchen, die eine schnelle und eindeutige Zuordnung unmöglich machen) und damit verbundene Machtstrukturen exemplarisch verdeutlicht werden können und sich hiermit zentrale Anliegen kritischer Ansätze besonders gut sichtbar machen lassen. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass nicht auch andere Genres und Textsorten, wie z.B. Film (vgl. Viebrock 2016 zu Spielfilmen; Leonhardt et al. 2020 zu Dokumentarfilmen) und Themen wie Werbung (vgl. Fehling 2010) oder die Repräsentation ethnischer oder genderbezogener Aspekte in Lehrbüchern und anderem Unterrichtsmaterial (vgl. Gray 2002) im Rahmen eines kritisch orientierten Fremdsprachenunterrichts ebenso geeignet sein können.

      Bevor wir im Folgenden dezidierte Überlegungen zu unseren ausgewählten Materialien anstellen (vgl. Abschnitte 4 und 5), nehmen wir zunächst eine kritische Perspektivierung der Gegenstände des Fremdsprachenunterrichts (Sprache, Literatur, Cultural Studies) vor (Abschnitt 2). Ebenso beleuchten wir die pädagogischen Perspektiven auf einen kritischen Fremdsprachenunterricht (Abschnitt 3) und leiten daraus grundsätzliche Implikationen ab, was Methoden, Materialien und Aufgabenstellungen betrifft. Diese exemplifizieren wir an einzelnen Aspekten aus den genannten Jugendromanen, bevor wir die Überlegungen in einem abschließenden Fazit (Abschnitt 6) zusammenführen.

      2. Kritische Perspektivierung der spezifischen Gegenstände des Fremdsprachenunterrichts: Sprache, Literatur, Cultural Studies

      Bereits im einführenden Kapitel zu diesem Band macht Gerlach auf die möglichen Bezugskontexte einer kritisch orientierten Fremdsprachendidaktik aufmerksam, die in der Kritischen Theorie nach Adorno (1971) und der Kritischen Pädagogik nach Freire (1976, 2014) liegen. Die Diskussion soll hier nicht wiederholt werden, wohl aber sollen einige Grundzüge kritischer Ansätze dargelegt werden, die besonders im Hinblick auf die in den sprachlichen Fächern verhandelten Inhalte und Gegenstandsbereiche, nämlich Sprache, Literatur und Cultural Studies, relevant sind.

      Sprache

      Für den Gegenstandsbereich der Sprache und Kommunikation ist zunächst die Critical Language Awareness (CLA) in der Tradition Faircloughs (2015 [1989], 1992) zu nennen, welche ein tieferes Verständnis sozialer, politischer und ideologischer Aspekte des Sprachgebrauchs beschreibt und als pädagogische Anwendung einer kritischen Diskursanalyse (Critical Discourse Analysis) verstanden wird. Die kritische Diskursanalyse bezieht sich auf Foucaults (1971) Diskursbegriff, der die Regelmäßigkeiten und Strukturen fokussiert, welche eine bestimmte Sprech- und Ausdrucksweise im gesellschaftlichen Kontext bestimmen. Dabei geht es nicht um linguistische Normen, sondern um ein Verständnis sozialer diskursiver Praktiken: Welcher Sinnzusammenhang wird durch eine sprachliche Darstellung erzeugt bzw. perpetuiert? Welche spezifischen Interessens- und Machtstrukturen liegen dieser Darstellung zugrunde?

      Im Rahmen der Critical Language Awareness bezeichnet insbesondere das Adjektiv ‚kritisch‘ (im Vergleich zur allgemeinen Language Awareness, die eher sprachspezifisches Wissen fokussiert) ein Bewusstsein für die systematischen Zusammenhänge von Macht und Sprache im gesellschaftlichen Kontext, das es zu entwickeln und in der Folge wiederum für das eigene gesamtgesellschaftlich relevante Handeln nutzbar zu machen gilt. CLA beschäftigt sich also ebenso mit der Frage, welche sprachlichen Merkmale Macht- und Dominanzstrukturen hervorbringen und verstärken oder auch herausfordern und hinterfragen. Ein zentrales Konzept in diesem Zusammenhang ist das der ‚Sprachideologie‘ (language ideology), die Razfar/Rumenapp (2012: 349) wie folgt definieren:

      Language ideologies, or the ideas and beliefs about language held by a group of people, are actively performed in society. It is an effective process in which the beliefs and views held by a group of people underlies the actions and behaviours of that social group. Language ideologies include the ideas society holds towards language and how these beliefs and ideas relate to the way society uses and acts towards language […]. They represent ideas of power and identity as construed by a society […].

      Auf der Basis von Sprachideologien lässt sich betrachten, wie Prozesse individueller Diskriminierung und gesellschaftlicher Marginalisierung sprachlich indiziert sein können, wenn sie nämlich auf einer Zuschreibung eines bestimmten Sprachgebrauchs zu einer ethnischen Gruppe, einer religiösen Gemeinschaft, einer sozialen Klasse oder einer Genderidentität basieren und diese somit die Grundlage diskriminierender bzw. marginalisierender Praktiken und Diskurse bildet. Ebenso zeigt sich, dass die pragmatische Frage, was eine angemessene Sprachverwendung ist, auf der Basis einer sprachideologischen Betrachtung nur dann sinnvoll zu beantworten ist, wenn zugleich mitreflektiert wird, wer auf welcher Grundlage diese Entscheidung trifft und was die Implikationen für die Sprecher*innen sind, die sich durch einen vermeintlich angemessenen Sprachgebrauch auszeichnen, und solche, die es nicht tun. Alles in allem ist es also das Anliegen der CLA zu analysieren, wie sich Gesellschaft und Diskurs gegenseitig formen und beeinflussen.

      Literatur

      Für den Gegenstandsbereich der Literatur findet sich kein vergleichbares Konzept, das sich beispielsweise mit einer kritischen literarischen Bewusstheit bezeichnen ließe. Wohl aber zeigen Überlegungen zur Literatur, dass diese neben einer gesellschaftsstabilisierenden Funktion, welche zwar nicht ausschließlich aber doch überwiegend affirmativ gegenüber bestehenden sozialen Ordnungen und gesellschaftlichen Praktiken ist, immer auch eine reflexive Funktion hat: „Diese Reflexion schafft im literarischen Zeugnis die Distanz zu den dargestellten Verhaltensweisen und Bewußtseinsformen und erlaubt damit dem Rezipienten die distanzierte Kenntnisnahme und Verarbeitung der Verhaltensstandards.“ (Wild 1982: 119) Mit ihrer subversiven Kraft ist diese Funktion als kritische zu bezeichnen. Literatur hat also immer schon die Fähigkeit, in gesellschaftliche Debatten einzugreifen, politisch wirksam zu sein und Diskurse zu beeinflussen. Diese Dimension der Literatur wird im Fremdsprachenunterricht allerdings eher selten zum Thema gemacht, wohl auch weil hier höchst komplexe Zusammenhänge zu erfassen wären und keine einfachen Kausalbeziehungen zwischen einem spezifischen literarischen Werk und übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklungen hergestellt werden können.

      Ein kritischer Ansatz, der hingegen bereits auf textimmanenter Ebene zu erfassen ist, ist Bestandteil literarästhetischer Bildung. Das Lesen literarischer Texte wird hierbei als dialektisches Zusammenwirken von persönlicher Involvierung mit dem literarischen Text, also einer Identifikation mit oder Alterität zu Hauptfiguren oder Inhalten, sowie kritischer Distanzierung zum Gelesenen verstanden (Delanoy 2002: 65). Das Kritische bezieht sich hier weniger auf die Dimension gesellschaftlicher Kritik als vielmehr auf eine Befähigung, die Merkmale und Wirkungsweisen der stilistischen Gestaltung und damit die Produziertheit literarischer Texte zu erfassen. Delanoy (2002: 63) sieht die Rolle der Leser*innen als aktiv, kritisch mitschaffend

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