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hierher! Er soll mir das persönlich sagen, wenn er den traurigen Mut dazu aufbringt!«

      Der alte Ober war ganz beleidigte Würde. »Aber ich bitte Sie, seien Sie doch nicht so laut!« mahnte er. »Die anderen Gäste werden ja schon aufmerksam! Sie werden doch keinen Skandal erregen wollen!«

      Der blonde junge Herr vom Nebentisch hatte sich langsam erhoben. Er zog mit einer mechanischen Bewegung die weißen Manschetten, an denen Platinknöpfe schimmerten, aus den Ärmeln seiner Jacke und trat näher. »Würden Sie die Freundlichkeit haben, die Dame zu bedienen, Herr Ober«, sagte er scharf. »Sie steht unter meinem Schutz!«

      »Ich bedauere außerordentlich, Herr Direktor.«

      »Tun Sie, was ich Ihnen sage!«

      Der Ober wand sich vor Verlegenheit. »Bitte, verstehen Sie mich doch nicht falsch, Herr Direktor, aber ich habe strikte Anweisung . . .«

      Der Blonde fiel ihm ins Wort. »Auch gut«, sagte er, »dann muß ich Sie bitten, meine Bestellung zu streichen!« Er warf mit lässiger Bewegung einen Geldschein auf den Tisch, verbeugte sich vor Kitty. »Gnädiges Fräulein, darf ich mir erlauben . . .«

      Kitty war aufgesprungen, raffte ihre Handschuhe und ihre Tasche zusammen. »Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte sie, »gehen wir irgendwohin, wo die Luft besser ist!«

      Sie sah alle Blicke auf sich gerichtet, als sie und ihr Beschützer das Lokal verließen, aber das machte ihr nichts aus. Sie mußte an sich halten, sich nicht umzudrehen und jedem einzelnen der Gaffer die Zunge herauszustrecken. Sie fühlte sich nicht gedemütigt, sondern sie war ehrlich empört, und das Eingreifen des ritterlichen Fremden erfüllte sie mit Triumph.

      Er eilte ihr nach, warf der Garderobenfrau seinen Schein auf den Tisch, riß ihr den Mantel fast aus der Hand. Dann öffnete er Kitty die Tür und ließ sie vorausgehen. Auf der Straße schob er seine Hand unter ihren Ellenbogen. »Bitte, gnädiges Fräulein, wohin darf ich Sie bringen? Sie werden mir doch die Freude machen, mit mir zusammen zu essen?«

      »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte sie geziert. »Das alles ist mir . . . so furchtbar unangenehm!«

      »Dieser Ober hat sich einfach unglaublich benommen!« empörte er sich.

      »Wahrscheinlich hat er nur seine Pflicht getan«, widersprach sie heuchlerisch. »Ich . . . es ist sonst auch nicht meine Art, allein auszugehen. Aber . . . mir ist vorhin etwas Furchtbares passiert. Ich hätte beinahe einen Menschen angefahren, und da . . .«

      Er war einen guten Kopf größer als sie und mußte sich etwas herabneigen, um ihr in die Augen zu sehen. »So etwas Ähnliches habe ich mir gleich gedacht. Sie wirkten vorhin ganz verstört.«

      »Man hat es mir angesehen?« fragte sie erschrocken.

      »Keine Angst, Sie sahen blendend aus.« Er lächelte. »Aber unter diesen Umständen kommt es natürlich gar nicht in Frage, daß Sie Ihren Wagen benutzen. Meiner steht gleich da vorn. Ich schlage vor, wir fahren ins ›Bukarest‹. Übrigens . . . ich hatte bisher keine Gelegenheit, mich vorzustellen . . .« Er verbeugte sich formell. »Heinz Schlüter-van Dorn.«

      »Ich heiße Helga Reimers«, sagte sie und wußte selbst nicht, warum sie ihren bürgerlichen Namen nannte.

      Eine gute Stunde später waren Kitty und Heinz Schlüter-van-Dorn bei französischem Champagner angelangt und nannten sich bei den Vornamen. Sie hatten Schaschlik am Spieß und Pilaw gegessen, zum Nachtisch kleine, sehr süße Honigkuchen und dazu würzigen roten Wein getrunken. Ein Zigeunergeiger spielte schmachtende Weisen, und Kitty fühlte sich glücklich und wie berauscht – nicht durch den Alkohol, sondern durch das Bewußtsein, von einem so gutaussehenden und finanzkräftigen Mann umworben zu werden.

      Heinz Schlüter-van Dorn hatte ihr erzählt, daß er Industriemanager sei, von seinen großen Reisen quer durch Europa und die ganze Welt berichtet. Kitty war beeindruckter, als sie zugeben wollte. Von einem Mann wie Heinz Schlüter-van Dorn hatte sie ihr ganzes Leben geträumt.

      »Zu schade, daß wir uns heute erst kennengelernt haben«, sagte er und spielte mit dem Stiel des Champagnerglases. »Morgen früh muß ich nach Paris und von dort aus auf einen Sprung nach London. Es ist noch nicht abzusehen, wann ich wieder in Frankfurt sein werde.«

      Sie zwang sich zur Zurückhaltung. »Sie führen ein beneidenswertes Leben, finde ich.«

      »Wie man’s nimmt. Wenn man eine gewisse Höhe erreicht hat, dann umweht einen eine kalte Luft. Man fühlt sich manchmal recht einsam.« Er sah sie an, stellte zum erstenmal eine direkte Frage: »Sie leben immer in Frankfurt?«

      »Ja.« Sie spürte, er wartete darauf, daß sie etwas von sich erzählte, aber sie wußte nicht, was sie sagen sollte.

      »Ich will nicht indiskret sein«, versicherte er sofort, »wenn Sie nicht über sich sprechen möchten . . .«

      »Doch natürlich, nur . . . von mir gibt es nicht viel zu berichten.« Sie lächelte zaghaft. »Ich führe das langweilige Leben einer Tochter aus reichem Hause.«

      Er hob die hellen Augenbrauen. »Ist das wirklich so langweilig?«

      »Doch.« Sie seufze. »Bis zum Abitur war ich in einem sehr strengen Internat, und dann, als ich nach Hause durfte . . .« Sie rechnete blitzschnell nach, machte sich um zwei Jahre jünger. »Das war vor einem Jahr, ich war gerade neunzehn, mußte ich feststellen, daß Papa schon ganz feste Pläne mit mir hatte. Ich sollte den Sohn eines Geschäftsfreundes heiraten, André Colbert. Er war ein netter Junge, ich kannte ihn schon von Kindheit an. Aber ohne Liebe, nein, das war nicht das Richtige für mich. Ich weigerte mich, Papa wurde sehr böse, drohte mir mit Enterbung. Da bin ich bei Nacht und Nebel aus meinem Elternhaus fort.«

      »Und jetzt sind Sie ganz auf sich allein gestellt?«

      »Doch nicht ganz«, erwiderte sie. »Ich habe ein kleines Vermögen von meiner Großmutter geerbt, und dann . . . Ich stehe immer noch mit meiner Mutter in Verbindung. Aber sie hat wenig Zeit für mich. Gesellschaftliche Verpflichtungen, Sie kennen das ja sicher . . .« Sie zuckte die Schultern. »Nicht nur Sie sind einsam, Heinz . . .«

      »Man sollte glauben, daß ein Mädchen wie Sie von Verehrern geradezu umwimmelt wäre.«

      »Wo sollte ich jemanden kennenlernen? Ich gehe fast nie aus. All diese Parties . . . natürlich werde ich oft eingeladen, seit ich in Frankfurt bin . . . langweilen mich nur, dieses ganze verlogene gesellschaftliche Getue. Und in ein Lokal kann man ja als alleinstehende Dame nicht gehen. Sie haben selber miterlebt, was mir heute passiert ist.«

      »Es gibt auch andere Gaststätten.«

      »Ja, sicher. Da haben Sie recht. Aber unter zweifelhafte Mädchen möchte ich mich natürlich auch nicht gerade mischen.« Sie blickte ihn lächelnd an. »Sie sehen, es ist alles gar nicht so einfach für mich.«

      Er streichelte sanft ihre Hand. »Nachdem ich das weiß, bin ich dem Zufall doppelt dankbar, der uns zusammengeführt hat.«

      »Vielleicht sollte ich arbeiten«, sagte sie, »aber ich habe ja keinen Beruf gelernt. Und wenn man’s finanziell nicht nötig hat, fehlt eben auch der nötige Antrieb . . .«

      »Das verstehe ich sehr gut, Helga!« Er hob sein Glas. »Trinken wir den letzten Schluck darauf, daß wir uns gefunden haben . . . und darauf, daß Sie von nun an nie mehr ganz allein sein werden. Das verspreche ich Ihnen!«

      Sie sah in sein männliches, ein wenig kantiges Gesicht. Seine blauen Augen waren von überzeugender Ehrlichkeit.

      »Ich danke Ihnen, Heinz«, sagte sie benommen.

      Sie tranken. Helga spürte noch keine Müdigkeit. Sie war es gewohnt, nachts auf zu sein, für sie hatte der Abend gerade erst begonnen. Aber sie erhob keinen Einwand, als er zahlte und zum Aufbruch drängte.

      »Sie ahnen nicht, wie leid es mir tut, daß wir schon Schluß machen müssen. Aber kurz nach sechs Uhr startet mein Flugzeug, das heißt für mich, um fünf Uhr aufstehen . . .«

      Sie hielt die Hand

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