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Friseur zu gehen, und zu Ehren des Tages den schwarzseidenen Unterrock, Helgas Geschenk, angezogen – nur schade, daß er unter dem guten geblümten Kleid gar nicht zur Geltung kam.

      Karin und Rolf beobachteten die Tätigkeit ihrer Mutter mit amüsierter Nachsicht. Sie fühlten sich erst betroffen, als Frau Reimers mit aller Entschiedenheit erklärte, daß beide heute abend zu Hause zu bleiben hätten.

      »Vater war eine ganze Woche fort«, sagte sie, »er hat bestimmt Sehnsucht nach euch gehabt. Und er hat das Recht, wenigstens an diesem einen Abend seine Familie beisammen zu finden!«

      Rolf, der aus Erfahrung wußte, was die Glocke geschlagen hatte, wenn seine Mutter diesen bestimmten Ton anschlug, ergab sich in sein Schicksal. »Schon gut, Mutter«, sagte er friedfertig. »Reg dich doch nicht auf . . . klar, wir bleiben. Ist ja Ehrensache!«

      Karin gab sich nicht so schnell geschlagen. »Ich denke ja gar nicht daran!« protestierte sie. »Das ist ja eine Zumutung . . . gerade heute, wo ich mit André verabredet bin!«

      »Wann bist du das denn nicht?« spottete Rolf und duckte sich eiligst, um einer Ohrfeige seiner Schwester zu entgehen.

      »Du hast die ganze Woche gewußt, daß Vater heute zurückkommt«, sagte Frau Reimers eisern, »du hättest eben für heute abend keine Verabredungen treffen sollen. Übrigens bin ich überzeugt, daß André durchaus versteht . . .«

      »Ich kann ihn doch nicht einfach versetzen!«

      »Warum nicht? Schließlich ist es doch auch schon mal vorgekommen, daß André nicht zu einer Verabredung erschienen ist!«

      »André ist ein Geschäftsmann, er hat viel zu tun . . . Das läßt sich doch gar nicht vergleichen . . .«

      »Doch«, widersprach Frau Reimers, »auch du hast Verpflichtungen deiner Familie gegenüber. Und du kannst erwarten, daß er das gleiche Verständnis dafür aufbringt wie du für –« Sie hielt mitten im Satz inne, denn sie hörte den Schlüssel in der Wohnungstür.

      »Da kommt Vati!« schrie Rolf und stürzte in den düsteren Flur hinaus.

      »Schon?« fragte Frau Reimers verwirrt. »Und ich dachte . . . na, um so besser!« Sie lächelte ihre Tochter an, sagte begütigend: »Vielleicht kannst du dann nachher doch noch fort, Karin, ich will dir ja nicht den Spaß verderben. Nun setz aber ein anderes Gesicht auf, ja?«

      Auch sie wollte zur Begrüßung auf den Flur hinaus, aber da kam Rolf schon zurück. »Dicke Luft!« flüsterte er mit Verschwörermiene, »Achtung, äußerste Vorsicht! Gefahrenstufe eins!«

      »Du machst Spaß«, sagte Frau Reimers ungläubig. Aber als ihr Mann eintrat, sah sie sofort, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie kannte ihn seit beinahe 25 Jahren, und sie wußte nur zu gut, was die verkniffenen Lippen, die steile, tiefe Furche auf der Stirn zu bedeuten hatten.

      Dennoch machte sie den zaghaften Versuch, die Situation zu überspielen. »Paul«, sagte sie, »wie schön, daß du endlich wieder da bist! Es . . . es war sehr einsam ohne dich und . . .« Sie bot ihm die Wange zum Kuß, spürte die flüchtige Berührung seiner kalten Lippen.

      Auch Karin begrüßte den Vater.

      »Du bist sicher hungrig, Paul«, sagte Frau Reimers. »Wir können in einer Stunde essen . . . oder soll ich lieber erst Kaffee machen? Wir könnten den Sonntagskuchen anschneiden.«

      Die Explosion kam ohne Vorbereitung. »Essen, essen, essen!« brüllte Paul Reimers. »Etwas anderes hast du nicht im Kopf! Kümmere dich lieber um deine Kinder, anstatt ein solches Theater mit deiner ewigen Kocherei zu machen!«

      Anna Reimers schluckte. »Natürlich, du hast recht, Paul, es war dumm von mir! Entschuldige, bitte, ich . . . ich bin einfach ein bißchen nervös . . .«

      »Von was denn, möchte ich wissen?«

      Unerwartet kam Karin der Mutter zu Hilfe. »Es war bestimmt furchtbar anstrengend für dich, Vati«, sagte sie schmeichelnd. »Nun setz dich doch mal erst . . . Erzähl uns, wie ist es mit dem Kurs gegangen?« Sie bugsierte den Vater in seinen Lieblingssessel, schwang sich selber auf die Lehne und legte den Arm um seine Schulter.

      Frau Reimers schöpfte neuen Mut. »Ja, und wie geht es Helga?« fragte sie. »Wart ihr mal zusammen aus? Du hast sie doch bestimmt getroffen und –«

      Er unterbrach sie hart. »Nein!«

      »Aber, Paul, ich hatte dich doch so gebeten . . .«

      »Ich war im Kaufhaus Maak, wenn du das meinst. Aber dort arbeitet sie nicht mehr. Sie ist entlassen worden, schon vor mehr als einem Jahr. Wegen Faulheit und Unfähigkeit.«

      Frau Reimers war totenblaß geworden. Sie rang nach Luft, ihre Lippen zitterten.

      »Und damit«, erklärte Herr Reimers mit Nachdruck, »ist dieses Thema endgültig erledigt. Ich wünsche Helga nicht mehr zu sehen, ich verbiete hiermit, daß sie meine Wohnung auch nur ein einziges Mal noch betritt. Sie ist für mich und für euch gestorben . . . Habt ihr mich alle verstanden?«

      »Aber, Paul, ich bitte dich . . .«

      »Schluß«, donnerte er, »Ende der Debatte. Ich habe zu arbeiten.«

      Karin stand auf. »Na, dann darf ich mich ja wohl zurückziehen«, sagte sie, nahm ihre Mutter rasch in die Arme und küßte sie auf beide Wangen. »Mach dir nichts draus, Mutti, so was Ähnliches habe ich seit langem kommen sehen!«

      »Bitte, geh du auch, Rolf«, sagte Frau Reimers tonlos. »Laß Vati und mich allein!«

      Paul Reimers sah seine Frau an, und sein Blick wurde milder. »Vielleicht ist es nicht allein unsere Schuld, Anna«, sagte er. »Wir hätten sie eben nicht nach Frankfurt gehen lassen sollen. Aber schließlich war sie groß genug. Jedenfalls läßt sich jetzt nichts mehr ändern. Du mußt dich damit abfinden.«

      In Anna Reimers’ Augen standen Tränen. »Aber, Paul, sie ist doch unser Kind, wir können sie doch nicht einfach . . . Wir müssen uns um sie kümmern! Vielleicht hat sie Sorgen, sie sah immer so blaß aus! Mein Gott, das arme, arme Mädchen!«

      Paul Reimers dachte an den weißen Mercedes und war nahe daran, alles zu sagen. Aber er tat es nicht. Es gibt Dinge, die der Mensch nicht einmal vor sich selbst wahrhaben will.

      »Sie hat uns belogen und betrogen«, sagte er, »begreif das doch endlich! Sie hätte ja unsere Hilfe haben können, jederzeit. Wir hätten ihr hier in Bingen bestimmt eine neue Stellung verschafft, wenn sie –«

      »Vielleicht hat sie sich geschämt«, sagte Frau Reimers leise.

      »Man schämt sich nur dann, wenn man etwas zu verbergen hat!« Herr Reimers stand auf. »Ich habe keine Lust, länger mit dir darüber zu reden. Das führt zu nichts. Ich will nichts mehr darüber hören. Der Fall ist für mich erledigt.«

      »Aber . . . sie war doch immer so ein gutes Kind!«

      »War sie das wirklich? Kennst du sie so genau?« Herr Reimers trat dich auf seine Frau zu. »Du hast dir doch immer etwas vorgespiegelt. Mach die Augen auf, sieh deine Tochter, wie sie wirklich ist!« Er zog einen kleinen Zettel aus der Jackentasche – den Zettel mit Helgas Adresse, die er sich beim Einwohnermeldeamt hatte geben lassen, ohne dann den Mut aufzubringen, weiter nach ihr zu forschen. »Da! Das schenke ich dir! Damit du wenigstens weißt, wo deine Tochter lebt!«

      3

      Für Anna Reimers war eine Welt zusammengebrochen. Sie war weit davon entfernt, die wirklichen Zusammenhänge auch nur zu ahnen. Es fiel ihr schwer genug, zu begreifen, daß Helga nicht mehr im Kaufhaus Maak arbeitete, und selbst diese Erkenntnis wollte weder ihr Herz noch ihr Verstand wahrhaben.

      Sie hatte keinen Grund, an den Worten ihres Mannes zu zweifeln, und dennoch . . . Immer wenn sie an ihre älteste Tochter gedacht hatte, und das war tagtäglich viele Male geschehen, hatte sie sie hinter dem Ladentisch der Schmuckwarenabteilung gesehen, adrett gekleidet, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, wie sie geduldig oder leicht gereizt – Helga war schließlich kein Engel! – schwierige

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