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werde ich Sie noch nach Hause bringen«, erbot er sich, als sie auf die Straße traten. »Das werden Sie mir doch erlauben?«

      Aha, dachte sie, jetzt kommt’s! Na, etwas anderes war ja auch nicht zu erwarten. Sie mußte sich zusammenehmen, um ihre Enttäuschung zu verbergen – er war so anders gewesen als alle anderen Männer, die sie bisher gekannt hatte.

      »Eigentlich wollte ich mir ein Taxi nehmen und meinen Wagen holen«, sagte sie.

      »Kommt gar nicht in Frage. Heute nacht lasse ich Sie nicht mehr ans Steuer«, erklärte er entschieden.

      Sie gab ihren Widerstand auf, ließ sich von ihm zu seinem Jaguar dirigieren, wies ihn an, wie er zu fahren hatte. Sie sprachen kein privates Wort miteinander, die Stimmung zwischen ihnen war plötzlich gespannt.

      »Halten Sie da vorn«, sagte sie, »ja, dort in dem neuen Appartementhaus wohne ich!«

      Er stoppte, zog die Handbremse, stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür. »Die Adresse«, sagte er lächelnd, »werde ich mir merken . . .« Er beugte sich über ihre Hand, sie spürte den sanften Druck seiner Lippen. »Ich danke Ihnen für diesen wundervollen Abend, Helga . . . Sie haben mich sehr glücklich gemacht!«

      Sie merkte, daß dies der Abschied sein sollte, und war wieder, diesmal auf andere Weise, enttäuscht. »Wollen Sie nicht noch eine Tasse Kaffee bei mir trinken?«

      Er schüttelte den Kopf. »Sehr lieb von Ihnen, Helga, aber es ist schon sehr spät. Ich möchte Sie nicht kompromittieren.«

      Für Sekunden verschlug es ihr den Atem. »Ja, natürlich«, stammelte sie dann, »daran habe ich gar nicht gedacht. Sie sehen, ich bin ein sehr unerfahrenes Mädchen.«

      Er sah ihr tief in die Augen. »Bleiben Sie, wie Sie sind, Helga!«

      Dann wandte er sich ab, als müsse er sich mit Gewalt losreißen, stieg in seinen Wagen, winkte ihr noch einmal zu und brauste davon.

      Sie sah ihm nach, fast schwindelig vor Glück. Dann trat sie entschlossen ins Haus.

      Als Kitty die Wohnungstür aufgeschlossen hatte, steckte sie, noch bevor sie die Tür aufstieß, die Hand durch den Spalt und knipste das Licht in der winzigen Diele an. Erst dann trat sie ein.

      So machte sie es immer, wenn sie nachts allein in ihre leere Wohnung kam. Sie hatte Angst vor der Dunkelheit, Angst vor einer unbekannten Gefahr, die sie aus einer finsteren Ecke heraus anspringen könnte.

      Schon oft hatte sie daran gedacht, sich eine Katze anzuschaffen, oder besser noch einen Hund, der sie schwanzwedelnd empfangen würde. Aber bisher hatte sie sich noch nicht dazu entschließen können. Ein Tier brauchte Pflege, darüber war sie sich klar. Vielleicht gab es auch Schwierigkeiten wegen der Kunden.

      Sie ging von Zimmer zu Zimmer, knipste sämtliche Lampen an und gab sich erst zufrieden, als auch der letzte Winkel erhellt war. Sie zog die Jacke ihres grünen Komplets aus, trat in das kleine Wohnzimmer, ließ sich in den riesigen, pompösen Ledersessel fallen, der zuviel Platz einnahm, aber ihrer Vorstellung von Luxus entsprach. Sie streckte die Beine aus, streifte die Pumps von den Füßen, legte sie auf den niedrigen Tisch.

      Ihr Blick fiel auf den blankpolierten Sekretär, eine teure, aber schlechte Chippendale-Imitation, den sie praktisch nie benutzte. Dort standen neben einer riesigen Muschel, einem Mitbringsel von der Ostsee, ein Eiffelturm en miniature und ein rotberockter Wachsoldat mit Bärenmütze, jeweils unter einer Plastikglocke. Diese Souvenirs hatten für sie seit jeher die Verbindung mit der großen weiten Welt bedeutet, jetzt erinnerten sie sie an Heinz Schlüter-van Dorn, und unwillkürlich seufzte sie sehnsüchtig auf.

      Sie fuhr sich mit beiden Händen in die Perücke, riß sie ab, warf sie auf einen Stuhl. Dann nahm sie die Beine vom Tisch, öffnete ihre Handtasche, zog das dicke Notizbuch heraus, schlug die Seite mit dem Datum von heute auf – sie war blank und leer, und das nach einer Nacht, in der sie so viel erlebt hatte.

      Sie zückte den Kugelschreiber, überlegte eine Sekunde, dann kritzelte sie quer über die Seite: »Ihn kennengelernt!« Das Wörtchen »ihn« malte sie in dicken Druckbuchstaben. In die Rubrik, in die sie sonst ihre Einnahmen einzutragen pflegte, machte sie einen dicken Strich.

      Die verspielte kleine Messinguhr über dem Sekretär holte schnarrend aus, um die volle Stunde anzuschlagen. Sie blickte auf. Es war genau zwei Uhr. So früh war sie schon seit langem nicht mehr zu Bett gekommen. Aber sie dachte gar nicht daran, noch einmal wegzufahren, ihren Mercedes zu holen und ihr Glück zu versuchen. Es war ihr, als ob sie einen Wendepunkt ihres Lebens erreicht habe, als würde von nun an alles anders werden.

      Sie klappte das Notizbuch zu, steckte es in die Handtasche zurück und ging auf Strümpfen ins Bad. Gerade als sie die Klinke in der Hand hatte, klingelte es an der Wohnungstür – einmal kurz, einmal lang, dann wieder kurz. Es war das Zeichen, das sie mit ihrer Freundin Irma verabredet hatte.

      Irma hatte die Wohnung im gleichen Stockwerk gegenüber. Sie war einige Jahre älter als Kitty und auch schon einige Jahre länger im Geschäft. Kitty verdankte ihr manchen Hinweis und einige Tricks, Irma war die einzige Kollegin, mit der sie wirklich befreundet war.

      Aber heute nacht hatte sie keine Lust, Irma zu begegnen. Trotzdem kam ihr gar nicht der Gedanke, die Freundin nicht hereinzulassen. Sie zog eine kleine Grimasse des Abscheus und ging zur Wohnungstür. Irma platzte herein wie eine Rakete.

      »Bist du allein, Kitty?« sprudelte sie los. »Das nenne ich Glück! Du, ich brauche dich dringend . . . Rate mal, wer drüben bei mir ist?«

      Sie hatte offensichtlich getrunken. Ihre weißblonde Perücke war etwas verrutscht, ihre hellen Augen unter den angeklebten Wimpern blickten verschwommen. Sie war kleiner als Helga, zierlicher und wirkte aus entsprechender Entfernung immer noch wie ein Teenager. Aber ihre Haut war schlaff und großporig, scharfe Falten hatten sich zwischen Nase und Mund eingekerbt. Sie trug einen schwarzseidenen Hausanzug, der ihren Körper wie eine zweite Haut umspannte.

      Kitty zuckte die Achseln. »Keine Ahnung«, sagte sie uninteressiert.

      »Bolle und Neumann! Was sagst du nun? Wir haben einen Riesenspaß zusammen . . . Komm doch auch rüber, dein Typ wird verlangt!«

      Kittys Gleichgültigkeit war wie weggewischt. »Bolle und Neumann«, sagte sie, »das sind doch die . . .«

      »Klar, mit denen wir damals die Gaudi hatten! Du, die lassen was springen, das weiß du doch! Anspruchsvoll sind sie zwar, das stimmt. Aber das ist endlich mal wieder ’ne Sache, die lohnt!

      Von einer Sekunde zur anderen war Heinz Schlüter-van Dorn zu einem bedeutungslosen Schemen verblaßt. In Kittys grüne Augen trat der Ausdruck kalter Gier. »Du, ich komme!« sagte sie und leckte sich mit der Zungenspitze über die Lippen.

      »Zieh dich erst um«, sagte Irma, »du willst dir doch nicht das gute Kleid ruinieren, und außerdem . . .« Sie zwinkerte vielsagend. »Wir müssen die beiden doch auf Touren bringen! Also, ich geh’ schon vor!«

      »Ich bin in fünf Minuten drüben«, rief Kitty ihr nach, riß an ihrem Reißverschluß und ließ das grüne Kleid zu Boden sinken. »Aber ich warne dich . . . laß dir nicht einfallen, vorher abzukassieren! Ich laß’ mich nicht von dir übers Ohr hauen, klar?«

      Irma blickte lächelnd über die Schulter zurück. »Nur keine Sorge, Kleines, wir machen halbe-halbe. Das versteht sich doch am Rande!« Die Wohnungstür fiel hinter ihr ins Schloß.

      Kitty stieg aus dem Kleid, warf es im Schlafzimmer über einen bunt bezogenen Sessel, trat – in Strümpfen und schwarzem Büstenhalter – vor den Spiegel und stülpte sich die Perücke mit den langen kupferroten Locken auf.

      Erst zwei Tage später hatte Paul Reimers Gelegenheit, das Kaufhaus Maak aufzusuchen. Es geschah in der Mittagspause, der einzigen Zeit, in der er sich freimachen konnte.

      Er hatte seine Selbstsicherheit wiedergewonnen. Schon im hellen Licht des nächsten Tages war ihm das nächtliche Erlebnis wie ein wüster Alptraum erschienen. Seine Tochter in einem weißen Mercedes auf der Kaiserstraße? Das war etwas, was es nicht geben durfte

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