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Besuch in die Hand gedrückt hatte, war für einen neuen Anzug für Rolf draufgegangen – der Junge sollte doch im Gymnasium nicht hinter den anderen zurückstehen müssen.

      Mit einem tiefen Seufzer strich sie ihre Notgroschen wieder zusammen. Dann holte sie ihr Portemonnaie und zählte das Wirtschaftsgeld nach. Aber sie konnte rechnen, soviel sie wollte, es ließ sich einfach nicht genug abknapsen. Selbst wenn sie darauf verzichtete, Rolfs Schuhe, die er so dringend brauchte, vom Schuster zu holen, selbst wenn sie die Milchrechnung anstehen ließ, es reichte nicht.

      Es gab nur eine einzige Möglichkeit: Sie mußte Karin um Hilfe bitten. Karin, die als Sekretärin in einer Weingroßhandlung arbeitete, verdiente gut. Sie legte seit Jahren fleißig für eine Aussteuer beiseite. Karin würde helfen können. Wenn sie nur wollte.

      Anna Reimers nahm es als ein gutes Zeichen, daß sie allein in der Wohnung war, als Karin am Spätnachmittag nach Hause kam. Der Vater war noch nicht zu Hause, und Rolf hatte seine Schulaufgaben schon erledigt und war wieder fort.

      »’n Abend, Mutti!« rief Karin und guckte in die Küche.

      »Gibt’s was Neues?«

      Frau Reimers stand am Bügelbrett. »Ich habe dir deine weiße Bluse geplättet«, sagte sie, »die gute! Sie ist wieder wie neu geworden.«

      »Aber Mutter, ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, das sollst du nicht tun! Das kann ich genausogut selber.«

      »Ich weiß, Karin!« Frau Reimers glättete das feuchte Tuch über der Hose ihres Mannes. »Aber ich wollte dir eine kleine Freude machen.«

      Karin lachte. »Ist dir auch prächtig gelungen!« Sie ging um das Bügelbrett herum, legte ihren Arm um die Schulter der Mutter, gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Ich protestiere auch nur anstandshalber!«

      Frau Reimers setzte das heiße Eisen auf das feuchte Tuch. Zischend entwichen Dampfwolken. »Karin«, sagte sie, ohne ihre Tochter anzusehen, »du könntest mir einen großen Gefallen tun . . .«

      »Ja? Was denn?«

      »Könntest du mir . . . zwanzig Mark leihen?« Sie sah, daß Karins Gesicht sich verfinsterte und fügte hastig hinzu: »Nur bis Ende des Monats, Karin, dann kannst du es von deinem Wirtschaftsbeitrag abziehen.«

      »Ich verstehe nicht, wieso dir das helfen soll«, erwiderte Karin. »Im nächsten Monat fehlt es dir dann wieder.«

      Frau Reimers blickte angestrengt auf das Bügeleisen, wie es über das feuchte Tuch glitt – hin und her, her und hin. q»Ich möchte gern Tante Bertha in Hilden besuchen, sie hat doch Geburtstag und –«

      Karin fiel ihr ins Wort. »Warum siehst du mich nicht an, Mutti?«

      »Ich? Ja, aber . . . ich bügle doch«, verteidigte sich Frau Reimers, aber sie konnte nicht verhindern, daß sie rot wurde.

      »Nein, es ist nicht deswegen!« Karin nahm der Mutter mit energischem Griff das Bügeleisen aus der Hand und stellte es auf den Drahtuntersatz. »Du beschwindelst mich, Mutti!«

      »Aber Karin . . . warum sollte ich denn . . .«

      »Weil du nicht zu Tante Bertha nach Hilden, sondern zu Helga nach Frankfurt fahren willst!«

      Eine Sekunde lang sahen sich Mutter und Tochter fast feindselig in die Augen.

      Frau Reimers senkte als erste den Blick. »Bitte, Karin«, sagte sie, »verrat mich nicht bei Vater! Er . . . du weißt, wie er ist . . . er würde kein Verständnis dafür haben, aber . . . ich muß zu Helga! Ich muß, Karin!«

      »Warum?« fragte Karin nüchtern und glich in diesem Augenblick ihrem Vater.

      »Das fragst du? Ich muß mich doch um Helga kümmern! Du hast gehört, was Vater erzählt hat, sie arbeitet nicht mehr bei Maak . . . Vielleicht geht es ihr schlecht, vielleicht ist sie in Not . . .«

      »Nein«, sagte Karin hart, »das glaube ich nicht, Mutti! Helga geht es besser als uns allen zusammen.«

      »Du weißt etwas von ihr?« fragte Frau Reimers, halb hoffnungsvoll, halb erschrocken.

      »Nein«, antwortete Karin, »aber ich kann zwei und zwei zusammenzählen. Und du auch, Mutti . . . wenn du nur willst! Mach dir doch nichts vor! Ich habe schon seit Monaten gemerkt, was mit Helga los ist.«

      »Ich habe gar keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Anna Reimers.

      »Helga hat einen reichen Freund. Das ist für mich so sicher wie das Amen in der Kirche. Denk mal nach, Mutti . . . Helgas Geschenke! Du weißt doch, wie geizig sie immer war. Schon als Kind hat sie ihre Schätze immer gehortet, hat ihre Ostereier lieber verschimmeln lassen, als mir oder Rolf was abzugeben. Als sie zum erstenmal mit Geschenken ankam, da wußte ich gleich, was los war.«

      Frau Reimers ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Der Mensch kann sich ändern, Kind.«

      »So nicht. Wenn Helga uns etwas schenkt, dann nur, weil sie ein schlechtes Gewissen hat und weil sie so viel Geld hat, daß es ihr kein Opfer bedeutet! Und woher soll eine stellungslose Verkäuferin schon Geld haben, wenn nicht von einem Mann?«

      »Wußtest du früher schon, daß sie ihre Stellung bei Maak verloren hat?«

      »Natürlich nicht. Damals ahnte ich ja auch nur, daß irgend etwas nicht stimmt. Aber jetzt weiß ich es, ich weiß es ganz genau. Hast du nicht gemerkt, wie sie sofort wieder versucht hat, mit André Colbert zu flirten? Obwohl sie wußte, wie ich zu ihm stehe? Aber so ist Helga, sie schreckt vor nichts zurück. Sie will alles haben, was ihr gefällt. So war sie immer schon. Und ausgerechnet um dieses Biest machst du dir Sorgen!« Karin lachte schrill.

      »Bitte, Karin«, mahnte Frau Reimers, »ich wünsche nicht, daß du in diesem Ton von Helga sprichst! Schließlich ist sie deine Schwester . . .«

      »Eine feine Schwester, die keine Skrupel haben würde, mir André auszuspannen! Die sich von irgend so einem alten Kerl aushalten läßt, nur, um nicht arbeiten zu müssen . . .«

      »Aber das weißt du doch alles gar nicht, Karin!« rief Frau Reimers. »Das sind doch nur Behauptungen . . . völlig aus der Luft gegriffene Behauptungen!«

      Karin stemmte die Hände in die Hüften. »So? Und warum hat sie uns dann alle belogen?«

      Da war sie wieder, die Frage, die Anna Reimers Tag und Nacht keine Ruhe ließ und auf die sie keine Antwort geben konnte.

      »Weil sie etwas zu verbergen hat«, fuhr Karin fort, »und wie ich Helga kenne, kann es sich dabei nur um einen Mann handeln! Mach dich doch nicht verrückt, Mutti, laß Helga in Ruhe. Sie lebt das Leben, das sie sich selbst ausgesucht hat, sie braucht dich ja gar nicht.«

      Frau Reimers schüttelte wie betäubt den Kopf. »Das kannst du nicht wissen.«

      »Na schön, wenn du dir nichts sagen läßt, dann fahr zu Helga!« rief Karin aufgebracht. »Sie hat dir ja immer schon mehr bedeutet als wir alle zusammen. Immer war sie dein Liebling, immer hast du sie verwöhnt und vorgezogen . . .«

      »Das ist doch nicht wahr!«

      »O doch! Für Helga hattest du immer eine Entschuldigung, für ihre Faulheit, ihren Leichtsinn, ihren Egoismus. Das kam ja alles von der Flucht, die sie als kleines Kind mitgemacht hatte! Wenn Helga eine schlechte Note in der Schule hatte, dann hast du sie bedauert und vor Vater in Schutz genommen . . . und ich, ich bin für meine guten Zeugnisse nicht einmal gelobt worden! Bei mir war ja alles immer selbstverständlich!«

      Anna Reimers stand auf, wollte Karin in die Arme nehmen. »Liebling, das kommt dir alles nur so vor . . .«

      Karin wich vor ihr zurück. »So? Ich leide wohl an Wahnvorstellungen? Und daß ich immer nur Helgas abgelegte Fetzen tragen durfte, das bilde ich mir wohl auch nur ein?«

      »Es ist doch ganz natürlich, daß die jüngere Schwester –«

      »Völlig natürlich! Besonders dann, wenn die ältere viel hübscher ist! ›Ist sie nicht ein süßer blonder Engel?‹ Wie oft hast du das gesagt,

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