Скачать книгу

auf das Bügelbrett. »Hier, da hast du dein Reisegeld, an mir soll es nicht liegen. Aber beklag dich nachher nicht, wenn du eine unangenehme Überraschung erlebst. Und vergiß nicht, Helga einen schönen Gruß zu bestellen! Von mir aus kann sie tun und lassen, was sie will . . . Aber André bekommt sie nicht, und wenn sie sich auf den Kopf stellt! André gehört mir!«

      Als der erste Schrei durch die nächtliche Stille des Appartementhauses gellte, fuhr Kitty hoch. Kerzengerade saß sie im Bett und starrte mit weit offenen Augen in das schummrig beleuchtete Schlafzimmer. Das Blut stockte in ihren Adern, ihr Herzschlag setzte aus.

      Beim nächsten Schrei duckte sie sich, schlang die Arme über den Kopf, als erwarte sie, daß Wände und Deck im nächsten Augenblick über ihr zusammenstürzten. Für Sekunden vergaß sie völlig, daß sie nicht allein war.

      Erst als der Mann an ihrer Seite sie zu sich herabzuziehen suchte, erinnerte sie sich wieder. Mit einer geschmeidigen Bewegung löste sie sich von ihm. »Nein, laß mich, bitte . . .«

      In diesem Augenblick schrillte auch schon die Türglocke. Fast gleichzeitig hämmerten Fäuste gegen die Füllung. Kitty raste zur Tür, ergriff im Laufen ihren violetten Hausmantel, schlüpfte hinein, während sie die Tür aufriß.

      Irma taumelte in die kleine Diele. Ihr schwarzseidener Hausanzug war über der Brust zerrissen. Sie schrie wimmernd, mit weit geöffnetem Mund.

      Kitty schlug die Tür hinter ihr zu, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. »Was ist, Irma? Um Gottes willen, nimm dich zusammen! Was ist denn geschehen?«

      Aber Irma war außerstande etwas zu erklären. Sie brachte nur stöhnende, unverständliche Laute heraus. Kitty schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht.

      Die keuchenden Töne verstummten, Irma schluckte schwer, fuhr sich mit beiden Händen zum Hals, auf dem sich rote Flekken abzeichneten. »Ein Kerl«, stieß sie hervor, »er will mich umbringen . . . in meiner Wohnung!«

      Kitty hatte es schon in jener Sekunde gewußt, als der erste Schrei ertönte, und dennoch überfiel sie panisches Entsetzen. In ihrer nächsten Nähe war geschehen, was sie und alle anderen, die ihr Glück auf der Straße suchen, in jeder Phase ihrer Tätigkeit zu fürchten hatten. Die Angst, die mit ihr aufstand und sie selbst im Schlaf nicht einen Atemzug verließ, hatte plötzlich greifbare Gestalt angenommen.

      Irma klammerte sich an ihr fest. »Du mußt mir helfen, Kitty! Allein traue ich mich nicht mehr zurück . . .«

      »Dann bleib hier!«

      »Nein, ich . . . mein ganzes Geld ist drüben, mein Schmuck . . . bitte, Kitty, laß mich nicht im Stich!«

      Der Mann kam aus dem Schlafzimmer. Er hatte die Jacke unter den Arm geklemmt, stopfte sich mit fahrigen Händen das Hemd in die Hose; seine Krawatte hing ihm aus der Tasche.

      Irma stürzte zu ihm hin. »Bitte, kommen Sie mit! Sie sind ein Mann, Sie können leicht –«

      »Nichts zu machen!« Der Kunde schlüpfte in seine Jacke.

      »Feigling!«

      Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Du hast gut reden, Mädchen, du hast keinen Ruf zu verlieren. Aber ich kann es mir einfach nicht leisten, in einen Skandal verwickelt zu werden!«

      Er riß seinen hellen Mantel vom Garderobenhaken. »Also dann, bis bald mal . . .« Ohne Kitty anzusehen öffnete er die Tür und drückte sich ins Treppenhaus hinaus.

      Irma rieb sich den Hals, sie mußte husten. »Da geht er hin«, sagte sie verächtlich.

      »Und kommt nicht wieder! Den hast du mir vertrieben, Irma!« Kitty hatte ihre Kaltblütigkeit wiedergewonnen, sie drehte sich um und ging in ihr Wohnzimmer.

      Irma folgte ihr. »Was willst du tun, Kitty? Doch nicht etwa . . . Sie schob sich zwischen Kitty und das Telefon.

      »Die Polizei? Ich bin doch nicht blöd. Warte nur, mit dem Kerl werden wir schon allein fertig.« Sie riß die linke Schublade des Chippendale-Sekretärs auf, holte eine Pistole hervor.

      Irma riß die Augen auf. »Du hast . . . eine Waffe?«

      »Eine Gaspistole. Aber immerhin! Das wird genügen, um den Kerl einzuschüchtern.«

      »Er hat ein Messer«, sagte Irma, »ein Fallschirmmesser, ein Riesending, damit hat er mich bedroht. Ich bin nicht hysterisch, Kitty . . .« Irma schluchzte auf. »Er wollte mich wirklich umbringen!«

      »Wir dürfen ihn eben nicht an uns herankommen lassen. Gehen wir!«

      Hintereinander schlichen sich die beiden Mädchen aus der Wohnung. Kitty, die Gaspistole in der vorgesteckten Hand, ging voraus. Die Tür von Irmas Appartement stand halb offen.

      Kitty schob die Pistole durch den Spalt. »Hände hoch!«

      Von drinnen kam keine Antwort.

      Mit einem Fußtritt ließ Kitty die Tür aufspringen, durchquerte die winzige Diele. Irmas Appartement war kleiner als ihres. Es gab nur einen einzigen Raum, der Irma zum Wohnen, Schlafen und zur Ausübung ihres Berufes diente.

      Das große Zimmer war leer.

      »Er ist fort«, sagte Irma unendlich erleichtert.

      Kitty senkte die Gaspistole. Ihre Hand zitterte, die Knöchel waren weiß vor Anstrengung. »Sollten wir nicht doch vorsichtshalber im Bad und in der Küche –«

      Irmas Aufschrei schnitt ihr das Wort ab. Erst in diesem Moment sah sie, was geschehen war. Die Türen des eingebauten Kleiderschranks standen weit offen. Einige Kleider waren von den Bügeln gerutscht und lagen auf dem Teppich. Irma war hingelaufen, um sie aufzuheben. Sie hielt ein langes weißes, mit goldenen Pailletten besticktes Abendkleid in der Hand – es war von oben bis unten aufgeschlitzt.

      Sie warf es über das Bett, hob das nächste auf. Es war genauso zugerichtet. Sie ließ es fallen, als hätte sie sich verbrannt, stürzte auf den Schrank zu, fuhr mit beiden Händen durch Kleider und Mäntel – alle, alle waren sie zerschlitzt.

      »Nein«, wimmerte sie, »o nein, nein, nein!«

      Kitty wurden die Knie weich. Sie ließ sich in einen Sessel sinken. Sie fühlte die grauenhafte Bedeutung dieser Entdeckung mehr, als sie sie verstand. »Der muß verrückt gewesen sein«, stammelte sie. »Das ist ja . . . Wahnsinn!«

      Irma brach – eine aufgeschlitzte Breitschwanzjacke in den Händen – über dem Bett zusammen und schluchzt hemmungslos. Von der Straße herauf tönten die Signale der Funkstreife, ohne daß die Mädchen darauf achteten.

      »Der gute Pelz«, wimmerte Irma, »der gute, gute Pelz . . .«

      »Aber der läßt sich doch reparieren!« Kitty erhob sich, sie hatte immer noch das Gefühl, als wären ihre Knie aus Gummi. Langsam ging sie zum Bett hinüber und beugte sich über die Freundin. »Hör auf zu heulen, das nutzt jetzt auch nichts mehr . . . besser die Kleider als du!«

      Es läutete an der Wohnungstür. Irma und Kitty schraken hoch. Beiden fiel gleichzeitig ein, daß sie die Tür nicht hinter sich abgeschlossen hatten, um sich den Rückzug frei zu halten. Dann hörten sie auch schon Schritte.

      Zwei Beamte der Funkstreife traten ins Zimmer. Es waren stämmige junge Männer mit glatten, selbstbewußten Gesichtern und hellen, wachsamen Augen. Auf der Schwelle blieben sie stehen. Der eine, kleiner als sein Kamerad, mit blondem Bürstenhaar, zog zischend die Luft durch die Zähne.

      Der andere, ein Schwarzhaariger, hob die Augenbrauen. »Na, hier scheint’s ja wirklich was gesetzt zu haben, meine Damen! Kleine Prügelei?«

      »Ein Kerl mit einem Fallschirmmesser«, stammelte Irma. »Er hat mich bedroht, er wollte mich umbringen! Da bin ich zu meiner Freundin rüber, und als wir wiederkamen . . .« Die Stimme versagte ihr.

      Der Kleinere hob das zerfetzte weiße Abendkleid vom Boden.

      »Scheint eine Mordswut gehabt zu haben, der Knabe!« Er sah Irma an. »Warum? Was hat es gegeben?«

      »Nichts!

Скачать книгу