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seiner Tochter gegenüberstehen und auch der letzte Schatten aus seinem Bewußtsein schwinden würde.

      Was sein eigenes Verhalten in jener Nacht betraf, so verschanzte er sich hinter der Ausrede, daß es sich ja nur um einen Versuch gehandelt hatte, einen Spaß, den er bestimmt nicht bis zum Ende ausgekostet hätte. Vor sich selber war er schon wieder der brave und treusorgende Gatte und Familienvater geworden, für den er sich seit jeher hielt. Das Bollwerk seiner Rechtschaffenheit hatte geschwankt, aber es war stark genug, um auch ein Erdbeben zu überdauern.

      Sehr gerade, mit steifem Rücken und hochgerecktem Hals, marschierte er zwischen den Verkaufsständen dahin, fest entschlossen, sich von dem überwältigenden Angebot an Waren aller Art – Handtücher, Bettwäsche, Strümpfe, Socken, Küchengeräte, Sportartikel und Parfümeriewaren –, über die sein Blick hinwegflog, nicht verwirren zu lassen.

      »Alles Schund«, redete er sich ein, »mit so etwas zieht man nur den Leuten das Geld aus der Tasche!«

      Aber er war dennoch und ganz gegen seinen Willen beeindruckt. Immerhin, daß Helga hier arbeitete, hieß schon etwas. Sie hatte mehr erreicht, als er nach ihren miserablen Schulzeugnissen erwartet hatte.

      Es war schwer für ihn, sich zwischen all den Ständen mit Angeboten und Sonderangeboten zurechtzufinden. Aber sein Stolz verbot es ihm, jemanden zu fragen – auf keinen Fall wollte er für einen unbeholfenen Provinzonkel gehalten werden.

      Endlich fand er, gleich neben der Rolltreppe, einen Hauswegweiser, der ihm weiterhalf. »Schmuckwaren, Parterre«, las er und wußte jetzt wenigstens, wo er suchen mußte.

      Er marschierte weiter, die Hände auf dem Rücken. Kinder liefen ihm zwischen die Beine, Frauen stießen ihn an mit ihren Paketen. Dann entdeckte er den Stand mit den Schmuckwaren – einen gläsernen Ladentisch, unter dessen Platte auf schwarzem Samt glitzernde Broschen, Ringe, Ketten und Colliers ausgebreitet lagen. Auf einem Ständer hingen vielfarbige Ketten.

      Hinter dem Ladentisch standen zwei Mädchen und unterhielten sich. Die eine war groß, schwarzhaarig, sie lachte mit breitem Mund und kräftigen weißen Zähnen. Von der anderen sah er nur den Rücken. Sie war schmal, mit kurzgeschnittenem aschblondem Haar.

      Helga! durchfuhr es ihn, und die ungeheure Erleichterung, die er in dieser Sekunde empfand, erfüllte ihn fast mit Scham. Er unterdrückte das Lächeln, das schon auf seinen Lippen lag-nein, er durfte Helga auf keinen Fall überschwenglich begrüßen. Dazu lag wirklich kein Grund vor. Immerhin blieb die unerhörte Tatsache, daß sie es nicht für nötig gehalten hatte, ihren Eltern ihre Adresse anzugeben.

      Er trat auf die beiden Mädchen zu. Die Schwarzhaarige mit dem breiten Mund wurde auf ihn aufmerksam und stieß ihre Kollegin an. Beide fuhren auseinander und wandten sich ihm zu. Paul Reimers erkannte, daß er sich wiederum geirrt hatte. Die blonde Verkäuferin war nicht Helga, sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit seiner Tochter.

      Das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Mit Anstrengung hielt er die Worte zurück, die ihm schon auf der Zunge gelegen hatten. Einen Atemzug lang war er aus dem Konzept gebracht.

      »Sie wünschen, mein Herr?« fragte die Blonde mit einem berufsmäßigen Lächeln.

      »Ich . . . ich suche meine Tochter«, brachte Paul Reimers mühsam heraus.

      Die beiden Mädchen wechselten einen raschen Blick.

      »Sie heißt Helga Reimers«, erklärte er mit Nachdruck, »und sie muß hier arbeiten.«

      »Im Verkauf?« fragte die Schwarze.

      »Natürlich im Verkauf«, sagte er gereizt. »Wo denn sonst?«

      Das Lächeln der Blonden wurde amüsiert. »War ja nur ’ne Frage«, sagte sie. »Hier bei Maak gibt es auch jede Menge Büropersonal, Packerinnen, Dekorateurinnen und so weiter. Aber Sie sind ganz sicher, daß Ihre Tochter als Verkäuferin arbeitet?«

      »Ja, und zwar hier . . .« Paul Reimers trommelte auf die gläserne Theke. »Sie verkauft Schmuckwaren!«

      Wieder wechselten die beiden Mädchen einen Blick.

      »Aber das müßten wir doch wissen«, sagte die Schwarze. »Kennst du eine Helga Reimers, Susi?«

      Die Blonde schüttelte den Kopf.

      »Vielleicht gibt es noch einen anderen Stand mit Schmuckwaren im Haus?« fragte Paul Reimers.

      »Ausgeschlossen«, erwiderte Susi entschieden.

      »Und wenn Sie sich nun in der Adresse geirrt haben?« gab die Schwarze zu bedenken. »Vielleicht arbeitet Ihre Tochter bei Karstadt oder bei . . .«

      »Nein. Im Kaufhaus Maak. Ich bin ganz sicher.«

      »Ja dann . . .« Die Schwarze legte ihre Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. »Dann erkundigen Sie sich doch am besten mal bei der Personalabteilung! Die ist da hinten, im Seitenflügel, hinter der Milchglasscheibe, wo steht: Für Unbefugte ist der Eintritt verboten!«

      »Warten Sie, da vorn kommt die Abteilungsleiterin«, rief die Blonde und lief ein paar Schritte vor. »Fräulein Lichnowsky!«

      Fräulein Lichnowsky war eine Frau Anfang der Dreißig. Sie hatte das selbstbewußte Auftreten einer Junggesellin, die etwas erreicht hat und sich ihres Wertes bewußt ist.

      »Der Herr da«, erzählte Susi, während sie neben ihr zurücktrippelte, »möchte eine Helga Reimers sprechen! Er behauptet, sie hätte ihm gesagt, sie würde hier bei uns arbeiten . . . bei den Schmuckwaren!«

      Fräulein Lichnowsky musterte Paul Reimers durchdringend aus scharfen grauen Augen. »Guten Tag, mein Herr«, sagte sie ohne Wärme.

      Paul Reimers beeilte sich, sich noch einmal vorzustellen.

      »Ach so«, sagte Fräulein Lichnowsky, »Sie sind der Vater . . .« Sie scheuchte die beiden Mädchen mit einer Handbewegung an ihren Stand zurück, trat ein paar Schritte beiseite und wartete ab, bis Paul Reimers ihr nachgekommen war.

      »Tut mir sehr leid, Herr Reimers«, sagte sie dann mit leiser Stimme, »Ihre Tochter arbeitet nicht mehr bei uns. Schon lange nicht mehr. Sie ist . . . also, das war vor etwa einem Jahr . . . entlassen worden. Nicht daß etwas Besonderes gegen sie vorgelegen hätte. Aber sie kam meist unausgeschlafen zur Arbeit, war hochfahrend und interesselos. Bei dem derzeitigen Personalmangel verzichten wir nicht gern auf eine Kraft, aber schließlich müssen wir auch auf den Ruf unseres Hauses Rücksicht nehmen. Sie werden verstehen.«

      »Ja«, sagte Paul Reimers und fühlte sich zutiefst gedemütigt.

      »Ich habe keine Ahnung, wo sie jetzt arbeitet und was sie tut«, sagte Fräulein Lichnowsky. »Vielleicht können Sie bei der Personalabteilung ihre alte Adresse erfahren. Aber ich bezweifle, ob Ihnen das etwas nützen wird. Mädchen dieser Art sind ja meist nicht sehr seßhaft.«

      Paul Reimers zuckte zusammen, als habe er eine Ohrfeige bekommen. »Danke.«

      »Am einfachsten ist, wenn Sie sich ans Einwohnermeldeamt wenden«, erklärte Fräulein Lichnowsky, »dort können Sie jederzeit erfahren, ob . . .«

      Paul Reimers ertrug es nicht länger. Er wartete nicht ab, bis die Abteilungsleiterin ausgesprochen hatte, sondern drehte sich brüsk um, mitten im Satz, ließ sie stehen und ging davon.

      Er glaubte, die Blicke der beiden Verkäuferinnen und ihrer Vorgesetzten geradezu in seinem Rücken zu spüren, aber er hielt sich kerzengerade, den Kopf erhoben. Wenn er schon ein geschlagener Mann war, so sollte ihm doch niemand anmerken, wie hart ihn diese Niederlage traf.

      Paul Reimers wurde am Samstagabend zu Hause erwartet, und seine Frau hatte alle Vorbereitungen getroffen, die sie für diese Gelegenheit notwendig hielt. Sie hatte seine Abwesenheit zu einem gründlichen Hausputz benützt. Die alten Möbel waren auf Hochglanz poliert, die Gardinen gewaschen. Ein Strauß Frühjahrsblumen stand auf dem Wohnzimmertisch. Ein Kartoffelauflauf, Vaters Lieblingsessen, wartete nur darauf, in das Backrohr geschoben zu werden. Bestimmt hatte er in der ganzen Zeit in Frankfurt nichts Anständiges zu essen bekommen. Man wußte ja, was man in den billigen

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