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schwang sich von der Sessellehne, und während Frau Reimers das junge Paar zur Tür begleitete, stellte sie den Koffer auf den Tisch und öffnete ihn.

      »Hier, Mutti«, rief sie und schwenkte einen Unterrock – Schwarz mit cremefarbener Spitze – hoch in die Luft, »das ist für dich!«

      Frau Reimers ließ das zarte Gewebe fast andächtig durch ihre abgearbeiteten Hände gleiten. »Wunderbar, Helga . . . aber wann kann ich denn so etwas anziehen?«

      »Immer, wenn es dir Spaß macht!«

      »Ich weiß nicht, aber ich habe das Gefühl, so was schickt sich nicht für mich!«

      »Unsinn! Eine Frau in deinem Alter sollte sich so hübsch wie möglich anziehen! Sieh mal, was ich für die anderen mitgebracht habe . . . einen Fußball für Rolf, eine Strickweste für Papa, und für Karin zwei Paar hauchdünne Strümpfe. Eigentlich hat sie die nicht verdient, das Biest, aber immerhin ist sie ja meine Schwester!«

      Frau Reimers war überwältigt. »Du sollst dich nicht so für uns in Unkosten stürzen, du weißt, daß ich das nicht mag . . .«

      Helga gab ihrer Mutter einen raschen Kuß. »Aber ich habe dir doch schon oft erklärt, daß ich alles viel billiger bekomme . . . zum Einkaufspreis! Es ist wirklich nicht der Rede wert! Und da wir gerade so schön allein sind . . .« Sie öffnete ihre Handtasche, drückte der Mutter einen Hundertmarkschein in die Hand. »Für dich! Aber steck’s nicht in den Haushalt, gib’s auch nicht für Rolf oder Papa aus, sonst werde ich ernstlich böse.«

      »Du bist ein gutes Kind, Helga«, sagte Frau Reimers gerührt, »ein so gutes Mädchen . . . Ohne deine Hilfe, glaube ich, wären mir in den letzten Jahren schon manchmal die Dinge über den Kopf gewachsen. Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll, mein Kind!«

      »Ist ja schon gut, Mammutschka . . .«

      Frau Reimers küßte ihre Tochter mit Tränen in den Augen. »Aber jetzt«, sagte sie mit einem tiefen Seufzer, »muß ich in die Küche, sonst verbrutzelt mir der Braten und das Essen kommt nicht rechtzeitig auf den Tisch!«

      Helga folgte ihrer Mutter. »Kann ich dir helfen?« fragte sie, als Frau Reimers die Kartoffelklöße vorsichtig in das siedende Wasser legte.

      »Danke, das brauchst du nicht. Ruh dich nur ein bißchen aus und erzähl mir was . . . von dir, Liebling! Wie es mit der Arbeit geht und was du abends tust und von deinen Freundinnen. Du weißt ja, Mütter sind neugierig, sie möchten alles wissen.«

      Helga biß sich auf die Lippen. Sie sah zu Boden. Es war immer dasselbe: Kurze Zeit durfte sie glauben, wieder zu Hause zu sein, bei den Menschen, zu denen sie gehörte. Und dann war es schon wieder vorbei. Die unüberbrückbare Schranke fiel zwischen ihr und der Mutter nieder, und eine Sekunde lang empfand sie geradezu Haß auf diese ahnungslose Frau, die nicht einmal spürte, wie sehr sie sich voneinander entfernt hatten.

      »Oder hast du etwas zu verbergen, Helga?« fragte Frau Reimers. »Liebeskummer? Du weißt, daß du immer alles erzählen kannst.«

      Helga schluckte. »Aber nein, Mutti, wie kommst du darauf . . . Ich weiß nur nicht, wo ich anfangen soll!«

      »Irgendwo.«

      Und Helga log munter drauflos, baute eine Welt auf, wie sie sich Anna Reimers für ihre Tochter erträumte, eine Welt voll Arbeit und Vergnügen, die mit dem wirklichen Leben, das sie führte, nicht das geringste zu tun hatte.

      Paul Reimers kam zum Mittagessen nicht nach Hause. Auch nicht zum Nachmittagskaffee. Er erschien erst, als Rolf, der seine Schwester herzlich begrüßt und den Fußball mit Begeisterung in Empfang genommen hatte, schon wieder zu seinen Freunden gerannt und Helga bereits auf dem Weg zum Bahnhof war.

      Anna Reimers hatte sich mit einem Buch ans Fenster gesetzt. Aber sie hatte keine Ruhe zum Lesen, sondern beugte sich immer wieder vor, um die enge Straße besser überblicken zu können. So sah sie ihn schon, als er um die Ecke bog – den hageren Mann, der sich sehr aufrecht hielt, als wenn er dadurch eine Größe vortäuschen wollte, die er tatsächlich gar nicht besaß. Anna Reimers bemerkte sofort, daß er heute noch steifer ging als sonst. Ein sicheres Zeichen dafür, daß er nicht mehr ganz nüchtern war.

      Sie eilte sofort in die Küche, um Kaffeewasser aufzusetzen. Als Paul Reimers die Wohnungstür aufschloß, lief sie ihm entgegen.

      »Paul . . . da bist du ja endlich!«

      Er hing seinen grauen Hut mit Präzision auf den Garderobenhaken und wandte sich ihr dann zu. »Tut mir leid, daß ich nicht eher kommen konnte«, erklärte er. »Aber ich hatte Gelegenheit, mit Stadtdirektor Münzelmann zu sprechen, sozusagen privat, unter vier Augen, das war mir wichtig genug . . .«

      »Aber natürlich, Paul, ich mache dir ja keinen Vorwurf!« beeilte sich Frau Reimers zu versichern. »Nur . . . Helga war da. Sie war ganz unglücklich, daß sie dich verpaßt hat.«

      Herr Reimers runzelte die Stirn, als wenn er sich erst besinnen müßte, von wem seine Frau sprach. »Helga? Ach so. Geht es ihr gut?«

      »Ja, Paul . . .« Sie half ihm aus dem Mantel. »Eine Sekunde, ich will nur eben rasch den Kaffee aufgießen . . . Du trinkst doch eine Tasse? Oder möchtest du dich lieber hinlegen?«

      »Wie kommst du darauf?« Auf dem grauen Gesicht von Paul Reimers brannten rote Flecke.

      »Nur so . . .« Sie lief eilig in die Küche.

      Während das Wasser durch den Filter sickerte, legte sie einige Schnitten Streuselkuchen auf einen Teller. Tassen und Untertassen klirrten in ihren Händen. Sie ärgerte sich über ihre eigene Nervosität.

      Paul ist gar kein Tyrann, redete sie sich selber gut zu, er ist nur unzufrieden, das ist alles. Aber diese Unzufriedenheit hat doch mit mir und seiner Familie nichts zu tun!

      Sie wußte genau, was ihrem Mann zusetzte. Seit zwanzig Jahren lebten sie nun in Bingen, aber immer noch gehörten sie nicht ganz dazu. Gerade deshalb waren der Frühschoppen, der Gesangverein, der Kegelklub für ihn so wichtig, gerade deshalb hatte es ihn so gekränkt, daß Helga keinen Sohn der Stadt geheiratet hatte, sondern nach Frankfurt gezogen war. Paul Reimers ging es um Anerkennung, und deshalb war er immer, wenn er sonntags zeitig vom Frühschoppen zurück war, niedergeschlagen und schlecht gelaunt.

      Aber heute, dachte Frau Reimers, muß doch alles gutgegangen sein, sonst wäre er nicht so lange geblieben!

      Paul Reimers hatte es sich in dem mächtigen, reichlich abgewetzten Polstersessel bequem gemacht, als seine Frau mit dem Tablett hereinkam.

      »War es nett?« fragte sie unsicher. Sie gab Sahne und Zucker in den Kaffee und setzte sich ihm gegenüber.

      »Nett? Nein, absolut nicht. Aber ich habe etwas erreicht! Ich denke dabei nicht in erster Linie an mich, sondern an dich und die Kinder. Wenn ich in die gehobene Beamtenlaufbahn aufsteige . . .«

      »Hat der Stadtdirektor dir das versprochen? O Paul, das wäre ja wunderbar!«

      Er hielt es für nötig, ihre Begeisterung zu dämpfen. »Noch ist es nicht soweit«, sagte er, »aber immerhin, ich werde an einem Arbeitskurs in Frankfurt teilnehmen, und das ist doch entschieden ein Schritt vorwärts, der –«

      Sie ließ ihn gar nicht erst aussprechen. »Du fährst nach Frankfurt, Paul?« rief sie. »Aber dann mußt du Helga besuchen! Versprich mir das! Mein Gott, wird das Mädel sich freuen!«

      Paul Reimers nahm einen Schluck Kaffee, zündete sich eine Zigarette an. »Es handelt sich nicht um eine Privatreise, Anna . . .«

      »Ja, ich weiß! Aber trotzdem – eine Stunde wirst du doch irgendwann mal freihaben.«

      »Na schön, gib mir Helgas Adresse, ich werde mal sehen, was sich machen läßt!«

      »Helgas Adresse?« Für eine Sekunde wurde Anna Reimers Gesicht fast töricht vor Verwirrung. »Tut mir leid, Paul, aber die habe ich nicht!«

      »Nimm dich zusammen, Anna! Es ist doch einfach nicht möglich, daß wir nicht wissen, wo unsere eigene Tochter

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