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dem anderen. Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht wie eine Pflanze, die sich zusammenrollt und in Sekunden verwelkt. Seine Augen zuckten vom Pfau zum Silber, hinauf zu den sechzehn brennenden Talglichtern, hinüber zu den Schaugerichten und den Weinkannen. Seine Wangen wurden hohl. Er gab langsam Mette weiter an die Amme, faltete die Hände, beugte das Haupt und rief Gott den Allmächtigen an, gnädig herabzusehen auf die sündige, gotteslästerliche Verschwendungssucht und Prasserei seiner Gemahlin.

      Das Gesinde stand mit offenem Mund da. Man hörte keinen Laut.

      Es begann mit einem schwachen Kribbeln an Ides Fußsohlen. Daraus wurde ein Stechen. Das breitete sich über den ganzen Körper aus. Bis in die Fingerspitzen. Bis in die Haarwurzeln. Das pochte und das hämmerte. Als würden ihre Adern in diesem Augenblick mit dem grünen, dampfenden, brodelnden, maurischen Drachenblut gefüllt.

      Er, Oluf, betete um ihre Seele. Das wagte er. Das unterstand er sich. Vier Jahre hatte er sich durch ihre Ehe gequält, als sei sein Inneres wie das zerrissene Gewand. Hatte sich ins Ehebett gelegt, als sei es der kalte Stein Golgathas. Hatte ihre Lippen geküßt, als seien sie der mit Essig getränkte Schwamm. Hatte ihren Leib umarmt, als würde er ans Kreuz genagelt. Fünfzehn Vaterunser am Tag. Ave Maria – und das einhundertfünfzigmal am Tag. Beten, Flehen und Wallfahrten und bei den Mahlzeiten das demütigende Grünfutter, Kohl und Rüben. Aber für die Horde der wirbelhaarigen Hurenbälger und das nächtliche Gelüst nach breitarschigen Weibern, nach der fünffingrigen Katrine und der einohrigen Maren, hatte er in der Kirche mehr Kerzen aufgestellt als für die fünftausendvierhundertsechsundsechzig blutig klaffenden, nässenden Wunden des gemarterten entseelten Leibes Jesu. Jetzt betete er also für ihre Seele!

      Es war ein saugendes Geräusch, als Ide das Schwert aus Olufs Scheide zog. Sie ging damit rückwärts, Schritt für Schritt, hob es dann mit beiden Händen und zerschnitt mit einem Hieb das Seil für den Kronleuchter genau an der Stelle, wo es am Mauerhaken befestigt war.

      Mit sechzehn wie senkrecht herabsausenden flammenden Kometen stürzte der Leuchter vom Deckenbalken. Knallte mit einer Gewalt auf den Tisch, daß alle Böcke zusammenbrachen. Eine rotgetigerte Katze fuhr kreischend unter dem Tischtuch hervor. Der Pfau wurde in seiner ganzen Pracht zwanzig Ellen hoch in die Luft geschleudert, um gleich darauf von den Hunden apportiert zu werden. Das Gesinde schrie auf vor Schreck, und die Amme verschwand eilig mit Mette und zog Birgitte hinter sich her.

      Ide empfand eine tiefe, leidenschaftliche Befriedigung, als sie den Schwertschaft zwischen ihren Händen spürte und die auf den Boden gekrachte Tischplatte erblickte. Sie genoß jedes Detail. Die Silberbecher waren verbeult. Messer und Löffel verbogen und zerbrochen und nach allen Seiten verstreut. Das goldbestickte Geschlechtswappen der Munks schwamm im kostbaren roten Alicantewein, der aus den umgekippten Zinnkannen gluckerte, und das andere Ende des Tischtuches hatte Feuer gefangen und fraß sich hinein in das Wappen der Rosenkrantz’ mit seinen Balken, Fahnen und Federbüscheln.

      Ide drehte sich um. Sie schmiß triumphierend Oluf das schwere Schwert vor die Füße. Es schlitterte über die Steinfliesen und durch Seen aus Honig und Senfsoße. Wieder hatte sie zuerst die Hand ausgestreckt. Doch diesmal zog sie sie rechtzeitig zurück.

      Oluf stand noch genau dort, wo er das Haupt zum Gebet neigte. Er war keinen Zoll vom Platz gewichen. Das verklebte und besudelte Schwert zu seinen Füßen ließ er liegen und starrte Ide an.

      Es waren helle Ringe um seine Pupillen, und um seine Nasenlöcher zuckte es. Diesen Ausdruck in seinen Augen hatte sie noch nie gesehen.

      »Aufräumen!« herrschte er das Gesinde an, ohne den Blick abzuwenden, und um sie begann ein hastiges Gerenne.

      »Reitet den Gästen entgegen, und sagt ihnen, sie mögen umkehren«, befahl er, trat vor und umfaßte Ides Schulter. Die Fingerspitzen tasteten zu ihrem Ausschnitt und um den Hals. Ide blieb stumm und bewegungslos stehen, während Oluf eine einzelne Rose aus ihrem Haar zog und damit eine Locke löste. Sowohl die Locke wie die Rose führte er an seine Lippen und küßte beide, bevor er sie zur Tür geleitete.

      Am nächsten Morgen erwachte Ide in einer Wolke aus Federn und Daunen. Es regnete sie förmlich. Sie lagen überall – im Bett, auf dem Fußboden und auf den geschnitzten Rändern der Möbel. Oluf schnarchte laut an ihrer Seite, und jedesmal, wenn er ausatmete, stoben erneut Daunen hinauf zum mit Damast verkleideten Betthimmel.

      Ide schob das zerfetzte Plumeau aus dem Bett, streckte sich und stellte fest, daß der eine Vorhang halb abgerissen war. Das war nun aber nicht sie, die das gemacht hatte.

      Das goldene Kleid lag über dem einen Stuhl, und die ersten Sonnenstrahlen blitzten im Harnisch, der auf der Truhe stand.

      Hätte Oluf ihn nicht angehabt, hätte Ide ihm ebensogut das Schwert quer durch sein Herz bohren können. Damit wäre seine Reise hinunter ins Fegefeuer beschleunigt worden, wo der Schmerz eines Tages schlimmer war als das, was man einem menschlichen Körper in einem Jahr an Peinigungen zufügen kann. Falls Olufs Weg nicht direkt in die Hölle führte.

      »Was er verdient hätte«, dachte Ide. Sie faltete die Hände um die Nachthaube und grübelte, woher sie die Kraft genommen hatte, das Schwert hochzuheben. Es wog soviel wie ein Ochse.

      Als sie als Kind einmal schreiend auf einem wilden Hengst saß, hatte der Vater gerufen:

      »Laß die Finger von Dingen, die du nicht kannst!« Sie wurde damals fertig mit dem Pferd. Gestern schwang sie ein Schwert. Und sie wünschte sich, es wieder zu tun.

      Der Wirbel über Olufs Ohr war vom langen Schlafen plattgedrückt worden und glich einer Spirale. Eine graue Entenfeder schwebte aus der Draperie herunter. Ide folgte ihr mit den Augen, blies sie an und fühlte sich selbst so leicht wie die zu Hunderten herumfliegenden Daunen.

      Sie war von einer unmenschlichen Bürde befreit. Auch wenn sie den Stein der Weisen fand und im geheimnisvollen Prozeß der Alchemie kostbares Gold herstellte, auch wenn sie acht rotwangige, lebenstüchtige Söhne gebären und Gerichte auf den Tisch bringen würde, die sogar den extravaganten Hunger des Lucullus befriedigen könnten, so ließ sich Olufs Lebensbahn auf seinem Weg zum Jüngsten Gericht nicht ändern.

      Gott im Himmel bestimmte, wann Oluf diese Erde zu verlassen hatte. Erst im Jenseits fand der Kampf statt mit schwankenden Ölzweigen und zugespitzten Holzgabeln, der Kampf der göttlichen Gnade gegen die heimtückische Bosheit des Teufels, der Kampf um diese schmutzige, besudelte Seele.

      Bis dahin sollte sich Olufs fleischlicher Körper genau da aufhalten, wo sie sich befand. Zu ihrem Vergnügen. Zur Freude vieler Nächte, und wenn er in fünf Tagen nach Nyborg aufbrach, beabsichtigte sie, auf die Frage nach ihrer Begleitung ja zu sagen.

      2. Kapitel

      An einem Novembertag auf Schloß Nyborg entdeckte Ide den Wirbel in Mettes Haar. Die Dienstmagd hatte ein Fenster geöffnet, um eine Katze hinauszujagen. Die Sonne hing herbstmüde hinter einer ausgefransten Wolke, als die Strahlen durchbrachen und in einer blitzschnellen Drehung die Spirale über das linke Ohr des Kindes zeichneten.

      Es war nur eine winzige Andeutung in den Haarspitzen, und alles wurde wieder grau. Aber es genügte. Das war kein Kind des Teufels. Es stammte von keinem anderen als von Oluf.

      Als Mutter hätte Ide überirdische Erleichterung empfinden müssen. Sie hätte auf die Knie fallen müssen, hätte den Rosenkranz nehmen und Perle um Perle durch die Finger laufen lassen müssen, ein Mariengebet nach dem anderen, ein Vaterunser nach dem anderen in tränenreicher Danksagung an Gott den Allmächtigen, ob seiner unsäglichen Gnade. Statt dessen streckte sie die Hand nach einem Kamm aus.

      Ide kämmte den Wirbel aus, wo sie ihn gesehen hatte. Das Haar sollte begradigt werden. Behutsam natürlich. Aber wie von selbst wurde der Griff bestimmter. Die Hand packte fester und fester zu und kämmte gegen die Richtung der Spirale. Mettes Augenfarbe wechselte zwischen blau und braun. Jetzt wurde der Blick dunkel wie bei einem Eichhörnchen, und plötzlich schrie sie, wie sie nicht geschrien hatte, seit sie zum ersten Mal bei stundenlangen Ritten die harten Stöße eines Pferdes spürte. Mette riß ihr den Kamm aus der Hand und schleuderte ihn auf den Boden.

      Erst sieben Monate und wagte

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