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dann Herr über die Ländereien des Adels?

      Vielleicht schwiegen sie, weil alle Vögel schwiegen, bevor ein Unwetter losbrach.

      Die Bauern feierten Sankt Zwiebel. Im besten Sonntagsstaat mit Hut, Silberknöpfen und Kuhmaulschuhen und um die Knöchel gebundenen Zwiebeln. Sie liefen herum und traten sich gegenseitig darauf. Dasselbe wurde gemacht, wenn die ersten Ladungen des fetten Herbstherings an Land kamen, und der Spaß hieß Sankt Hering.

      Diese Feste pflegte man auf der Gemeindewiese zu feiern. Nicht in der Kurve direkt vor der Kirche. Ide hielt das Pferd an. Mehrere Burschen und Mägde sprangen bereits zwischen den Grabsteinen herum. Der Pfarrer stand in der Tür der Vorhalle, seine kurzen Arme ausgebreitet wie der Gekreuzigte, und es erklang lautes, rohes Gelächter, als jemand grölte, daß es sicher ein Milchzahn Jesu sei, den er in dem Reliquienschrein aufbewahre.

      Es wurde getrampelt und getreten, gejohlt und geschrien. Leere Bierkannen häuften sich an der Kirchenmauer, und der Dorftrottel, Lange Lars, stolperte über zwei Spanferkel und landete kreischend auf dem Bratrost und verrenkte sich die Schulter.

      Ide betrachtete sie. Wer war gesetzestreu? Wer war aufrührerisch? Wer war rechtgläubig? Wer war ein Ketzer? Katrines großer, weißer Körper produzierte sich, vollbusig und mit Hohlkreuz, als präsentierte sie eine üppige Schale mit den Früchten des Jahres. Sie lebte in der Kate, kannte weder Kalk noch ein gedecktes Dach und hatte nie Getreide auf dem Speicher. An Mariä Verkündigung verlor sie bei einer Prügelei mit Äxten fünf Finger, und ihr Bruder wurde am Abend des Ambrosiustages gehenkt, weil er die Münzen gestohlen hatte, die die Gemeinde am Karfreitag unter das Kruzifix gelegt hatte.

      Lahme Janus schnarchte im Schatten des Kirchturmes, die spitze Nase in die Luft gestreckt und das kranke Bein im Feuerlöschteich. Morten der Riese verprügelte seine schweigsame, blasse Frau mit einem toten Aal, während sich der Küster im Schatten eines dreirädrigen Karrens die Finger leckte und vor Glück kicherte beim Zählen der Ablaßbriefe, von denen jeder wußte, daß er sie beim nächtlichen Würfelspiel mit einem stockbesoffenen Dominikaner gewonnen hatte.

      Ein Grasbüschel kam geflogen und machte Ides Pferd unruhig, und ein Huhn stakste mit einem dreijährigen Knaben hinter sich vor ihr über den Weg. Das war Katrines Zweitjüngster, ein verdreckter, rundlicher Bursche. Er fing das arme Tier und lachte; es war ein Grübchen in seinem Kinn. Als die kleinen Finger in die Federn griffen und das Tier hoch in die Luft hoben, wurde Ide an irgend etwas erinnert.

      Aber sie wollte nach Hause. Alle Zwiebeln waren platt getreten. Der Pfarrer stand immer noch mit ausgebreiteten Armen da, um sein Heiligtum zu schützen. Der Knabe stand immer noch mit dem Huhn in der Luft mitten in der Wagenspur, als Mikkel der Schmied die Trense ihres Pferdes packte, auf den Kleinen deutete und mit der Zunge halb aus dem Mund rief:

      »Diese Vaterschaft kann der Herr nicht verleugnen.«

      Ide schlug mit der Reitpeitsche nach ihm. Doch obwohl betrunken, war Mikkel zu schnell, er duckte sich und rief:

      »Es gibt noch mehr von der Art. Schau sie nur den Haarwirbel an.«

      »Mein Jüngster gehört dazu«, grinste Maren.

      Ide ritt im Galopp über die Hügel, aber die Worte klebten an ihrem Rücken wie ein großes, giftiges Insekt, und sie schob instinktiv die Schulterblätter zurück.

      Das war gelogen. Gemein gelogen wie das mit dem Milchzahn Jesu. Es gab gar keinen Wirbel in dem Haar des Buben.

      Doch sie hatte ihn nur von rechts gesehen. Olufs Wirbel saß über dem linken Ohr. Einen Augenblick dachte sie daran, umzukehren und sich den Knaben gründlicher anzuschauen. Davon konnte aber keine Rede sein. Außerdem war ein Wirbel keinerlei Beweis, ebensowenig wie ein Grübchen im Kinn. Und Birgittes Haar war ja völlig normal.

      Ide trat nach einer Ratte und ging in die Kinderkammer, um nach Mette zu sehen.

      Die Amme nahm die wöchentliche Überprüfung als Ausdruck der besonderen Sorge einer Mutter für die Gesundheit ihres Kindes und stand gerührt mit schräggelegtem Kopf da, als Ide, da nichts festzustellen war, sie bat, das Kind wieder zu wickeln.

      Oluf schickte Briefe. Er erkundigte sich eifrig nach Mette und berichtete, daß die Wahl des Königs um ein Jahr verschoben worden war, weil Einigkeit herrschen mußte mit den norwegischen Bischöfen.

      Ide war dreizehn, als Christian II. mit seiner Königin und seinen drei Kindern aus Land und Reich floh. Die Mutter war gerade damit beschäftigt, Tüten mit getrocknetem Lavendel gegen die Motten herzurichten, als die Botschaft kam. Ihre Hände fielen schwer in den Schoß, und sie lächelte. Es war das erste Mal, daß Ide das Lächeln ihrer Mutter sah. Es war das erste Mal, daß sie ihre Zähne sah. Sie waren breit und weiß. Es fehlte einer im Oberkiefer und einer im Unterkiefer, aber das war nicht viel nach neun Geburten.

      Seitdem verband Ide immer die Flucht des Königs mit dem Geruch nach getrocknetem Lavendel und dem Anblick der Zähne ihrer Mutter, die sie nie wieder sah. Auch nicht, als sich Kopenhagen endlich König Frederik ergab. Sie lächelte auch nicht, als Christian II. zurückkehrte und als Gefangener nach Sønderborg gebracht wurde.

      Beim Tode König Frederiks sagte sie, alle Sehnen ihres Halses gespannt:

      »Er lebt immer noch, und seine Töchter sind am Leben, und die sind gefährlich.«

      Politik war etwas für Männer. Nicht für Frauen, nicht einmal fürstliche. Doch wenn der Führerwolf stirbt, beginnt der Kampf im Rudel, und wenn es keinen König gibt, tauchen leicht sehr viele Könige auf. Ide schüttelte sich und legte Olufs Brief halb gelesen beiseite und schickte statt dessen nach der Person, die ganz genau wußte, wer der Vater von wem war und was im Dorf Valløby der Wahrheit entsprach und was nicht.

      Auch wenn sie den Keller von allem Gebräu und allem Wein leerte, würde es nicht möglich sein, Pater Niels eine einzige Beichte zu entlocken. Aber es gab andere Wege, etwas in Erfahrung zu bringen. Wenn der Geistliche zum Gutshof gebeten wurde, kam er stets mit schlingernden Wagenrädern und fliegender Kutte, froh, seiner aufmüpfigen Gemeinde, der mürrischen Haushälterin, dem dünnen Bier und den trockenen Schinken zu entkommen, und er hatte gewiß jedes Wort, das gesagt wurde, gehört.

      Ide wartete am offenen Fenster, um genau die Haltung des Mannes zu sehen, wenn der Karren über das Pflaster rollte. Aber das dauerte offenbar seine Zeit. Hinter den langen Streifen der Felder wurde der Horizont dunkel und die ganze Landschaft nach unten gedrückt. Das Licht über der mageren Saat verlöschte abrupt, als würde sich der Himmel der Erde bemächtigen, und ein Rauschen fuhr durch die gewaltigen Baumkronen, wie eine Meldung von Baum zu Baum, daß es nun geschehen würde.

      Der erste Donnerschlag erklang draußen im Westen, als der Pfarrer endlich in Sicht kam. Er rumpelte zum Scheunentor. Er schirrte ab. Er hatte offenbar keine Eile, unter Dach zu kommen. Bei der Zugbrücke schlurfte er dahin, als müsse er einen Pflug durch ausgedörrte Erde ziehen. Ide beugte sich noch weiter vor.

      Der Pfarrer blieb direkt unter ihr drei Schritte von der Tür stehen, so daß sie den tonsurierten Scheitel sehen konnte, und als er mit zitternder Hand das Zeichen des Kreuzes schlug, wußte sie ausreichend Bescheid über die vielen Beichten des frommen Oluf.

      Ide schlug heftig das Fenster zu, gab Anweisung, von einem Faß mit Klarett zu zapfen, und bereitete sich auf einen freundlichen Empfang vor.

      Ide erwachte beim ersten Morgengrauen. Draußen sangen die Vögel mit einer Kraft, als seien allein ihre Stimmen imstande, die Sonne über den Horizont zu ziehen. Sie hatte von dem Knaben geträumt, der hinter dem braunen Huhn herrannte. Er hatte Grübchen im Kinn und Wirbel im Haar, und in einer Ecke stand Katrine und lachte, während sie selbst eine Bilanz nach der anderen durchging und aufschloß und zuschloß. Schüsseln mit Ablaßbriefen und Wannen voller guter Taten hatten sich angehäuft, höher und höher, zusammen mit ihrer Mitgift an Leinen, Silberbechern und Besitzdokumenten von reichen Ländereien auf Tommerupsholm.

      Sie erhob sich im Bett. Oluf war nicht mit im Traum. Aber er gehörte in die Wirklichkeit. Er mußte einfach hineingehören. Die Ehe war ein Sakrament. Das war heilig. Es war unverbrüchlich und von Gott im Himmel eingesetzt, der in diesem Augenblick

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