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des Pferdes kennenlernen müsse. Erst bei Sonnenuntergang kehrte er zurück. Seine Haarbüschel waren verschwitzt, aus Mettes Windel tropfte es, und sie schrie aus vollem Halse, die Amme hielt sich jammernd ihre schmerzenden Brüste und ging breitbeinig durchs Zimmer, als hätte sie immer noch das Pferd zwischen den Beinen.

      Obwohl Anne umgehend dafür sorgte, daß zusätzliche Mägde sich um die Kleine kümmerten, war das zuviel für die Selbstbeherrschung von Ides Mutter. Sie deutete auf die Wiege mit einem Finger, der den Arm zu einer Linie von endlosen Anklagen verlängerte:

      »Und was soll daraus werden?« fragte sie und schnappte nach Luft, als hätte sie ihre ganze Kraft in dieser Frage verbraucht.

      »Ein ganz gewöhnliches Kind«, erwiderte Oluf lächelnd, und mit einer hilflosen Drehung des Kopfes gab Ides Mutter ihren Mägden den Befehl, zu packen.

      Als die Mutter am nächsten Morgen aufsaß, hingen die Füße und die steifen Beine wie Eimer und Seile eines Jochs an den Flanken des Pferdes herunter. Sie nickte kühl ihrer Tochter und dem Schwiegersohn zu und reichte versteckt unter der Hand eine kleine Tüte mit kandierten Früchten ihrer Enkelin Birgitte, die mit ihrem Schatz ins Haus rannte. Oben im Sattel schüttelte sie sich einen Moment bei dieser Offenbarung von Gefühlen. Sie gab dem Pferd die Sporen, und gefolgt von bewaffneten Männern und bedienenden Mägden, begann der Heimritt nach Viborg.

      Die übrigen Geburtshelferinnen verließen Vallø am selben Tag, und Oluf weilte nun stundenlang in der Schlafkammer. Er streichelte Ides Hand. Manchmal auch ihre Wange. Aber von der Seite, wie damals, als er mit dem Blick auf die Erde geheftet dastand. Er hätte genausogut den Bettpfosten oder den Vorhang streicheln können. Mette bekam sein Lächeln und seinen Blick, und wenn er das Kind vor den Spiegel hob und dem stummen Wesen jeden Gegenstand darin erklärte, griff Ide nach ihrem Stundenbuch, um das zu ertragen.

      Außerdem lag sie hier müßig herum. Das Vieh war längst auf die Allmende und in den Wald getrieben. Doch die Kälber, die Lämmer und die Ferkel – hatte man sie auch mit dem Eisen gekennzeichnet? Und wie stand es mit dem kleinen Acker und dem empfindlichen Weizen? Ohne ihn gab es für die Feiern im nächsten Winter kein weißes Brot.

      Über alles machte sie sich Sorgen. Olufs Schwermütigkeit war wie weggeblasen und hatte sich ihres Körpers und ihrer Seele bemächtigt. Sein Lachen, selbst sein Lächeln ließ sie zusammenzucken. Das Summen der Dienstmädchen hielt sie ebensowenig aus. Die monotonen Laute erinnerten sie an etwas Böses, längst vergessen, aber trotzdem aufgehoben, wie die Vorratstonnen des letzten Jahres, die nicht richtig leer gemacht worden waren.

      Olufs Welt war so groß. Sie erstreckte sich vom Königsbach im Südwesten bis zur Hallandhöhe im Nordosten. Sie beinhaltete die Regierung des Reiches, den Kampf gegen den Verfall des Glaubens und die schwere Verantwortung für Herzog Hans.

      Ide verstand wenig von Politik oder davon, warum dieser Luther alle Dämonen loslassen wollte. Aber sie konnte fast auf einen Fuß genau jeden Feldrain in den sieben Pfarrbezirken bestimmen. Sie wußte, daß ein heißer Mai die Ernte mager ausfallen ließ, und wenn der Rabe nordwärts flog, würde die Hitze bis Mittsommer andauern. Und an dem Tag, an dem ein reisender Prediger im Dorf das Abendmahl in beiden Gestalten austeilte, war die schlimme Lehre Vallø zu nahe gekommen.

      Sie mußten etwas tun für den armen Pater Niels. Natürlich nahm er drei Schluck Wein, wo einer reichen würde. Natürlich haperte es, wenn es darum ging, die Himmelfahrt Christi und die heilige Auferstehung zu unterscheiden. Aber er war trotzdem ein guter und gottesfürchtiger Mann, der stets die liturgische Ordnung genau beachtete, der nie den Abendmahlskelch mit dem Daumen säuberte und nie mit ausgefranstem Rock herumlief. Er hatte wegen der billigen Begräbnisangebote der Bettelmönche große Einbußen hinnehmen müssen, doch jetzt, nachdem sie endlich vertrieben waren, unterließ es die Gemeinde, den Zehnten zu geben, denn davon stand nichts in der Bibel.

      Oluf mußte zurück nach Nyborg und von dort weiter zum Reichstag nach Kopenhagen. Trotzdem fand er Zeit, dem armen Pfarrer zu helfen. Das war selbstverständlich. Er warf das Barett auf einen Stuhl, schleuderte die vielen Ellen Stoff des Glockenärmels über die Truhe und stellte sich seitlich zum Licht, so daß sich sein Bart zur Brust hin krümmte. Aber er betete nicht. Er schaute hinunter auf sein Kind, als wollte er sich an jedes Detail des kleinen eingepackten Gesichts erinnern, denn es war nicht möglich, Mette mitzunehmen auf den Reichtstag in eine Stadt, mit Epidemien verseucht und voller Ansteckungsgefahr.

      Von ferne hörte man den Lärm der schwatzenden Mägde, das Rumoren im Unterstock und wieder dieses nervtötende Summen. Unablässig dieselbe Melodie. Weit weg bellte ein Hund, und Olufs Körper schwankte hin und her – wie die Saat auf dem Feld an einem luftigen Augustabend. Hätte sie nur das Gold hergestellt, und er würde sie lieben als Wohltäterin. Jetzt liebte er statt dessen das Kind und vergaß die Mutter. Ide sehnte sich zurück zu der Zeit, als er büßend und um Vergebung der Sünden flehend kniete und sie mit ausgestreckten Fingern eine tröstende Hand auf seinen Nacken legte. Damals hatte er sie selbstverständlich gebeten, mitzukommen zu den Festlichkeiten des Reichstages in Kopenhagen. Und damals war nur einige Wochen her.

      Eine Geburt verändert vieles. Mettes Geburt veränderte alles. Bei Sonnenuntergang hatte Ide Listen gemacht, was in der Stadt mit den vielen fremdartigen Waren gekauft werden mußte. Sie selbst blieb und erfüllte ihre Pflichten auf Vallø.

      Ide hielt das eine Kind auf dem Arm und das andere an der Hand, als Oluf bei Tagesanbruch Abschied nahm. Ein kühler Morgenwind von Osten brachte den Geruch nach Tang auf den Hofplatz, wo Leder knirschte und Metall klapperte, als die Ritter und Burschen nacheinander zwischen flatternden Hühnern, schnatternden Gänsen und verwirrtem Gesinde aufsaßen.

      Fast wie bei einem Ritual fragte Oluf sie, ob man sich in Kopenhagen treffe. Sie sagte ihr Nein. Obwohl das keine Reaktion hervorrief oder nur Verwunderung, enthielt das Wort Stärke. Es war gleichsam die Festigkeit einer senkrechten Lanze im Rücken.

      Oluf wandte sich ein letztes Mal im Sattel um. Er schaute Mette an, und über seine Wange lief die Träne, die er nicht einmal über die Leiden der Allerseligsten Jungfrau vergossen hatte, die den entseelten Leib ihres Sohnes in den Armen hielt.

      Die Sonne stieg auf, doch nach der langen Trockenheit brachte die Erde keine Frucht hervor. Die Bäume warfen Schatten über das mit Pech bestrichene Fachwerk der Scheune und des Stalles. Das Licht streifte die gelben Punkte der Ringelblumen entlang der Mauer, und die vielen Pferdehufe wirbelten Staub auf, der in die Augen und den Rachen drang.

      Ide hustete einen Augenblick. Sie hielt sich mit dem um Mette geschlungenen Arm den Mund zu und murmelte bei sich:

      »Gebe Gott, daß Oluf an die Puppe für Birgitte denkt.«

      Und als sich die Staubwolke über den Hügeln erhoben, nahm der nächste Gedanke in ihrem Kopf Gestalt an:

      »Möge Gott verhüten, daß dieser Ketzer Herzog Christian zum König von Dänemark gewählt wird.«

      Als die Ritter außer Sichtweite waren, drehte sich Ide um, überließ Birgitte der Amme und begab sich in die Schlafkammer. Sie schob den Riegel vor, drehte den Schlüssel um und stellte den Tisch so, daß ein Streifen der Sonne vom offenen Fenster darauffiel. Gewohnheitsgemäß wanderte Ides Blick über den Horizont auf der Suche nach dem Schleier, aus dem Wolken entstehen konnten, die möglicherweise Regen brachten.

      Der Himmel war strahlend blau, und Ide legte die schlafende Mette auf ein Kissen auf den Tisch und machte die ganze Windel ab. Häubchen, Tücher und Nabelbinde wurden entfernt und ebenso das trockene Moos zum Aufsaugen der Flüssigkeit. Sie beugte sich über das nackte Kind, betrachtete eingehend seine Stirn und tastete mit den Fingern nach dem geringsten Hinweis, daß da etwas herauswuchs. Sie untersuchte sorgfältig jeden einzelnen der kleinen Nägel an Händen und Füßen, um festzutellen, ob sie die Form von Klauen annahmen.

      Ide drehte Mette auf den Bauch, verscheuchte die Fliegen und drückte ganz unten auf das Rückgrat, wo ein Schwanz seinen Anfang nehmen müßte. Es war weder etwas zu sehen noch zu spüren. Noch nicht. Doch der Teufel war gerissen. Vielleicht wartete er mit der Offenbarung der Beweise seiner Vaterschaft, bis ihr Muttergefühl so stark war, daß sie das Entsetzliche aushalten konnte.

      Mette

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