Скачать книгу

entbehren oder von Büchern ferngehalten werden, wenn die Zeit kam und falls sie so lange lebte. Doch Ide wollte auf das kleinste Zeichen einer Teufelei an Mettes Körper und in ihren Handlungen achten. Sollte sich eine Neigung zeigen, auf Ziegen zu reiten, oder sollte sie nur ein einziges Mal das Kruzifix in der Kinderkammer auf den Kopf stellen, wollte Ide ohne lange zu zögern an den Bischof schreiben und ihm die grauenhafte Wahrheit mit allem, was sie beinhaltete, berichten.

      Das Kind war so schön geschaffen und schlief so friedlich. Aber Ide ließ sich nicht täuschen, denn woher rührte bei einem so schwermütigen Mann wie Oluf dieser Sinneswandel?

      Gehörte Mette der Hölle an, mußte sie hinunterfahren. Und das ohne Begleitung ihrer irdischen Mutter, Ide Munk.

      Der große eiserne Kronleuchter der Sommerstube wurde heruntergelassen. Ide überwachte, wie zwei Gesellen das Seil vom Mauerhaken lösten. Langsam senkten sie ihn herunter zu den Mägden, die mit steifen Hauben auf dem Kopf bereitstanden, die Spinnweben zu entfernen und den Talg aus den Schalen zu kratzen, um daraus neue Kerzen zu ziehen.

      Unten auf dem Boden glich der Kronleuchter eher einem halbverrosteten Monstrum, aber es war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, an kostbare Bronze zu denken. Die Nachbarn hatten jahrelang eine Menge Vieh verkauft, um roten Stoff für die Wände, flämische Spitzen für die Kleider und eine goldene Beleuchtung für die Decke zu kaufen. Doch Vallø war befestigt. Das hatte viel gekostet. Und eine Mark war eine Mark und ein Schilling ein Schilling und konnte nur einmal ausgegeben werden.

      Ide gab trotzdem den Gedanken an diese schimmernden Leuchter nicht ganz auf. Der Glanz würde die Wirkung der Flammen an langen Winterabenden verstärken, an denen sie verschwenderisch sein und alle sechs oder sieben Talglichter auf einmal anzünden wollte. Mit so einem Leuchter würde man meinen, die Sonne in der Stube zu haben, und vielleicht konnte sie sogar nach Einbruch der Dunkelheit lesen und nähen.

      Die Luft war drückend, und Ide ging zum Fenster, öffnete es und hielt Ausschau nach der Amme und den Kindern unter den abgeblühten Obstbäumen. Sie sah Birgitte nach einem Zweig greifen. Die Amme saß an einen Baumstamm gelehnt, Mette in einem geflochtenen Korb neben sich. Die Schatten waren scharf. Die Erde war grau. Das Gras hatte einzelne gelbe Flecken. Und plötzlich dieses Summen. Ganz leise. Aber deutlicher werdend. Kräftig und laut.

      Ide stützte sich mit den Händen an den Fensterrahmen und spürte die Wärme am Körper. Sie blieb stehen. Sie wollte den vergessenen Text zu dieser einfachen Melodie haben, beugte sich vor und tat, als blicke sie hinauf zum Himmel. Sie sollten Zeit haben und Mut. Die Worte kamen. Zuerst zögernd. Dann taktfest: »Und bis wir den Schatz verteilen, darf kein Mann dem Ting enteilen. Und in Sønder Herred stehen die Bauern zusammen im Ring.«

      Ein Reiher flog über den Hof. Der Eisvogel stieß wie ein blauer Blitz hinunter auf den dichten Teppich der Ampferblätter, während die Singstimme wuchs und sich entfaltete wie ein plötzlich aus dem Boden sprießender Pilz:

      »In Sønder Herred stehen die Bauern zusammen im Ring, Herr Tidmann darf nicht lebendig verlassen das Ting. Der erste Schlag den Alten traf.«

      Ide wurde jetzt von ihrer alten Kindheitsangst gepackt. Ihr Vater, ihre Mutter in einer Blutlache. Sie erinnerte sich an das ganze Lied. An jedes Wort:

      »Der erste Schlag den Alten traf. Herr Tidmann zu Boden warf. Er liegt in seinem Blute.«

      Nur eine hatte es gewagt, die letzte Strophe zu singen. Laut und gellend, und Ide fuhr herum.

      Die Mägde standen im Kreis. Jede hatte etwas in der Hand. Einen Besen. Einen Eimer. Eine Schale. Eine Bürste. Ein Messer. Sie sah die Augen unter dem Kreis der Hauben um den Eisenleuchter.

      Ide steuerte direkt auf Schuhmachers Karen zu mit dem hellblonden Haar, den leuchtenden blauen Augen und dem ewig besserwissenden Lächeln. Ide schlug ihr mit einer Kraft mitten ins Gesicht, als könnte sie eine zwanzigjährige Angst aus ihrem Bewußtsein prügeln.

      Dann kontrollierte sie die Talgschalen, befahl, den Leuchter wieder hochzuziehen, und stieg langsam die Treppe hinauf.

      Bei der Turmtür blieb sie stehen und lehnte sich an den Rahmen. Es war nicht nur die Wärme. Selbst nach dem harten Schlag hatte Karen ihr sicheres Lächeln und ihre stolze Haltung nicht verloren. Sie lachte beinahe; es war, als hätte diese Dienstmagd ein eigenes inneres Wissen von den Zeiten, die kommen würden.

      Keine noch so kräftige Ohrfeige vermochte die Erinnerung an den Aufruhr in Tofte Marked aus Ides Bewußtsein zu tilgen. Das war kein Traum gewesen und Ide kein Kind mehr, als die Bauern nur einige Zoll vor den Füßen ihrer Mutter eine Lanze in die Erde rammten und damit drohten, sie auf zwanzig andere Lanzen gespießt durch die Straßen und Gassen zu tragen. Und das, weil der Vater sein gesetzliches Recht auf Zollabgaben sowie die Buß- und Strafgelder der Stadt Viborg geltend gemacht hatte, und wäre der Ketzer Mogens Gøye nicht gewesen, der mit seiner besonderen Art die Bauern zur Ruhe gemahnt hatte, würden sie jetzt alle einen Klafter unter der Erde liegen.

      Über die Zugbrücke trabten drei Zinsbauern mit der Mütze in der einen und der Pacht in der anderen Hand. Aber in letzter Zeit wurden mehr faule Eier und verdorbene Hühner abgeliefert als je zuvor. Die Holzschuhe des Schusters spalteten sich schon nach einer Woche, und die Häute für die Strümpfe hatten Messerspuren und zerrissen beim Gerben.

      Das alles wegen der Sache mit dem gefangenen Christian II. Für den Adler, der seine Schwingen ausbreitete und die kleinen Vögel vor dem gierigen Habicht schützte. Aber die kleinen Vögel vergaßen offenbar völlig, daß sich der Adler wie ein Aasfresser gebärdete. Bloß das Töten überließ er den anderen.

      Nach Ides Einschätzung waren drei Bauern mit Spaten, Lanze und Heugabel genauso gefährlich wie ein feindlicher gepanzerter Ritter, und beim Obstgarten schaute sie zurück.

      Das Haus war nicht groß. Es war nicht wie die Prachtbauten, die es, wie sie wußte, im Ausland gab. Aber das rote Mauerwerk war beinahe vier Ellen dick. Die Schießscharten bildeten einen schönen Kranz um das untere Stockwerk. Sie zeigten nach Norden. Nach Osten. Nach Süden. Nach Westen. Der Burggraben war tief, und er war breit. Die Zugbrücke konnte hochgezogen und ein Fallgitter herabgesenkt werden, und ganz unten im Keller, unter einem geheimen Deckel, lag die Brunnenbohrung, die bei einer Belagerung die Versorgung mit Wasser sicherte. Ide freute sich, daß das Geld nicht für Schmuck und Flitter benutzt worden war.

      Birgitte lief ihr unter dem frisch sprießenden Laub entgegen. Ide fing ihr kleines Mädchen auf und dachte, wenn Gott einen jeden Menschen in seinem Stand zur Welt kommen ließ, mußte man die Himmelsmächte auch um Hilfe bitten dürfen, wenn diese Ordnung gebrochen wurde.

      Sobald sie Birgitte von der heiligen Dorothea erzählt hatte, von dem Korb mit Blumen und Früchten, die ihr Christus im Februar zur Richtstätte gesandt hatte, wollte Ide zur heiligen Anna beten.

      Die Mutter Gottes war so sehr beschäftigt, den vielen gebärenden Frauen zu helfen. Anna hatte mehr Zeit, sich eine Bitte um Erhaltung der von Gott gestifteten Ordnung anzuhören. Wie Gott die Sprachverwirrung einführte, weil ihm der Turm von Babel zu nahe kam, mußte er den Bauern auch ihre gefährliche Fähigkeit des Singens nehmen können.

      Birgitte begeisterte sich nicht sonderlich für die Bekehrung von Theophilius zum christlichen Glauben, erkundigte sich aber vorsichtig, ob wilde Erdbeeren in dem Korb waren, die der himmlische Bräutigam Dorothea sandte. Und Kirschen. Und obwohl es in Wirklichkeit Rosen und duftende Äpfel waren, durfte Birgitte selbst den Korb ausstatten. Der Glaube war schließlich für so ein kleines Kind wichtiger als die Flora. Die Rosen wurden ersetzt durch einen Strauß blauer Veilchen und die Äpfel durch Beeren des Waldes, während die Schwalben tief über die Wiesen flogen und Regen ankündigten.

      Doch gegen Abend verteilte sich die kreuzförmige Wolkendecke. Das Quaken der Laubfrösche hörte auf, und beim Läuten der Kirchenglocken ging die Sonne in roten Streifen hinter den Linden unter.

      Aus dem Untergeschoß ertönte kein Gesang mehr. Die Mägde und Weibsleute scheuerten die Töpfe mit geschlossenem Mund, und das Einsalzen des letzten Lammfleischs verlief schweigend. Vielleicht schwiegen sie, weil die heilige Anna ihr Flehen erhört und Gott gebeten hatte, ihnen Schweigen aufzuerlegen.

      Wenn

Скачать книгу