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Salzlake zu dünn, das Bier zu bitter, die Würste zu mager und das Gesinde zu verfressen sei, war Anne Meinstrups Einzug auf dem Hof stets ein Vorgeschmack auf das tausendjährige Rösten im Fegefeuer gewesen.

      Vor Jahren sagte Anne König Christian II. ins Gesicht, er sei das Flittchen der Dyveke, und sie büßte mit einem Leben im Exil. In dieser Nacht hatte sie als einzige ein Pferd satteln lassen und einen vierstündigen gefährlichen Ritt auf sich genommen, um ihrer jungen Verwandten zu Hilfe zu kommen.

      Irgendwo begann eine Taube ihr monotones Gurren. Ide hatte diesen Laut nie gemocht. Ein Vogel mit so wenig Phantasie in der Stimmführung mußte von Natur aus dumm sein.

      Ide wandte ihre Aufmerksamkeit dem Kind in ihren Armen zu. Die Kleine war gesegnet und bekreuzigt, jede Teufelei war ausgetrieben, und sie schlief ordentlich gewickelt mit dem Mützchen auf dem Kopf, wie sie auch während Annes Herumkommandieren geschlafen hatte.

      Die Haut des Mädchens war noch rot, weil sie nach altem Brauch mit Salz abgerieben worden war. Aber so zart. So fein. So ganz anders als sie selbst. Und als Oluf. Was wird er beim Anblick dieses Kindes sagen, wenn er von Nyborg zurückkommt? Was wird seine fromme Seele denken bei der Vorstellung, daß der trockene Schoß seiner Frau nie das brachte, was er erhoffte, als er ihr am Kirchenportal von Hjerm seine Hand reichte? Zwei Töchter kamen zustande und für sie langweilige Nächte unter mächtigen, mit Entenfedern und Gänsedaunen gefüllten Säcken.

      Es war jetzt ganz hell. Die Sonne flimmerte durch einen Eichenwipfel und warf Flecken auf den Boden und die Wiege. Ein einzelner Sonnenstrahl traf Ides Auge. Sie verschob das Gesicht ein wenig. Drehte den Kopf und schaute wieder hinunter auf ihr Kind.

      Das war keine Satansbrut, gewiß nicht, und kam nur zufällig gerade in dem Augenblick zur Welt, als es den Ofen zerriß.

      Die Kleine erwachte plötzlich und begann zu weinen. Nicht kreischend wie andere Kinder, sondern ganz leise. Ein stilles, rufendes Weinen, als wollte sie etwas erzählen.

      Ide hatte noch nie ein Neugeborenes gesehen, das mit Tränen weinte. Sie schaute sich erschrocken um. Die Amme hatte nichts bemerkt. Anne schlief noch. Ide legte rasch das Kind hinunter in die Wiege.

      Drei Fässer Speiseöl, vier Fässer Salz, davon eines mit dem weißen Hubertussalz, sechzehn Vollmilchkäse und ein Teil des Hopfens und des Malzes waren der Explosion zum Opfer gefallen, außerdem Töpfe mit Honig und die letzten getrockneten Erbsen. Dazu kam ein verbrannter Kellerbursche, der rundweg abstritt, auch nur in der Nähe des Labors gewesen zu sein. Der Kerl schwor bei der Seligkeit seiner verstorbenen Mutter. Er legte schluchzend einen Eid darauf ab, daß er sich dem Teufel verschreiben wolle, wenn er jemals einen Kolben oder eine der Chemikalien der Herrin berührt habe, die für ihn zeit seines Lebens die reine Teufelei gewesen seien.

      Oluf kehrte von Nyborg zurück. Mit einem ganzen Stapel neuer Ablaßbriefe steuerte seine schwarze Gestalt direkt zur Schlafkammer, und er beugte sich über die Wiege, während Ide voller Schreck die Finger in die Decke bohrte, bis sie die Federn unter ihren Nägeln spürte. Nicht wegen seines Zornes. Nicht wegen der Vorwürfe über den wirtschaftlichen Schaden oder das verkehrte Geschlecht des Kindes. Oluf machte nie jemandem irgendwelche Vorwürfe. Ide fürchtete die Enttäuschung, gegen die er kämpfen würde, um sie nicht zu zeigen. Dieses Lächeln, das stets nur ein Ziehen war und das sie verschonen sollte vor dem Wissen um sein Leiden.

      Doch in dem Moment, in dem Oluf die Kleine erblickte, gab er einen Laut von sich, als wäre er selbst ein Säugling, eine Art Wimmern. Immer noch mit den Ablaßbriefen in der einen Hand, nahm er das Kind und hob es hoch und hielt es, als sei es eine vom Himmel gefallene und im Flug aufgefangene Frucht. Die kostbaren Papiere flatterten auf den Boden, sein Nacken streckte sich, und er hob die Schultern.

      Der verlorengegangene Vorrat war ihm gleichgültig und was es kostete, Wände und Decke zu reparieren, daß Töpfe und Fässer ersetzt werden mußten und man gezwungen war, für klingende Münze auf dem Markt einzukaufen, was das Feuer vernichtet hatte.

      Begleitet von jungen Rittern und einer Horde von Knechten, der Amme und der zweijährigen Birgitte, die auf ihren kleinen, dicken Beinchen wie eine Nachhut hinterhertrippelte, führte Oluf sein Neugeborenes hinaus in die Welt. Nur wenige Tage alt, wurde dem Kind der blühende Obstgarten gezeigt und der Kohlgarten bei der Pflanzung, die sprießende Frühjahrssaat und übermütige Fohlen auf der Weide. Der Säugling befand sich unablässig auf dem Arm des Vaters, und wenn er nach Hause kam, hingen die Windeln in nassen Lappen herunter, die Gesellen warfen sich Blicke zu, die Amme jammerte, und Birgitte heulte laut vor Eifersucht. Nur Oluf selbst strahlte und war vollgepackt mit Erlebnissen, als hätte man ihm seine eigene Kindheit wiedergegeben.

      Ide begriff nichts. Es war ja nur ein Mädchen. Oluf hätte doch enttäuscht sein müssen. Und woher kam die Freude und das Lachen?

      Mitten in dem ganzen Durcheinander kamen Ides Mutter, die Schwester und die Nachbarsfrauen an und zogen ein wie die selbstverständlichen Helfer bei einer Geburt, die bereits stattgefunden hatte. Sie gruppierten sich im Halbkreis um das Bett, die Mutter als Zentralfigur direkt bei Ides Füßen, eingerahmt von dem gelben Damast. Die alternde Dame hielt die Hände straff gefaltet unter der flachen Brust, und die wenigen Sätze, die sie von sich gab, wurden einfach in die Luft gesagt, als hätte sie nie erlebt, jemals auf irgend etwas eine Antwort zu bekommen.

      Die anderen Frauen legten los. Sie jagten das Gesinde durch die Gegend. Sie kommandierten und kritisierten, und ihr Eingreifen verhinderte, daß das Neugeborene auch an Fronleichnam den neunmaligen Umgang um die Felder mit der auf einem Kissen vorangetragenen Reliquie mitmachen mußte, das Sprengen des Weihwassers, das Schwingen des Weihrauchfasses und das darauf folgende Trinkgelage, bei dem aus dem Gebrauten im Keller des Hausherrn gezapft wurde.

      Mette sollte das Kind heißen. Das bestimmte Oluf souverän. Das ist Mette, sagte er, als sei damit ein höherer Sinn verbunden. Dazu Rosenkrantz, das hatte Oluf gewählt, als einige Jahre vorher die Verordnung kam, daß alle Adeligen einen Geschlechtsnamen haben mußten. Damit war sie eine Mette Rosenkrantz und keine Mette Olufstochter, die Pater Niels taufte, als er sein feierliches: In Nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti sprach und den nackten Kinderkörper bis auf den Grund in das Taufbecken senkte.

      Das kleine Mädchen stieß bei der Berührung mit dem kalten Wasser einen Schreckensschrei aus, beruhigte sich aber sofort, als Oluf – nachdem der Weg des Kindes zur Seligkeit gesichert war – zufaßte und mit einem schnellen Ruck seine Tochter aus dem Schoß der Mutter Gottes in seinen beförderte.

      Die Frauen im Halbkreis schwatzten. Über Olufs ungehöriges Benehmen in der Kirche. Über die Verrücktheit, die den sonst so besonnenen Mann gepackt hatte, und sein völliges Desinteresse am Tode des Königs. Oluf war schließlich Reichsrat, die Regierung des Reiches lag in den Händen des Rates, und am Tag der zehntausend Märtyrer sollte in Kopenhagen Reichstag gehalten werden. Aber es war offenbar wichtiger, der erst einige Tage alten Mette zu zeigen, wie ein Baum an zwei Stellen durchgesägt wurde, um einen Bienenstock heimzubringen.

      Die Amme wurde fortgeschickt, nachdem sowohl Ides Schwester, Anne Meinstrup und ihre beiden Töchter davon überzeugt waren, daß das Haar der Frau einen roten Schimmer aufwies – ein sicheres Zeichen dafür, daß die Milch schlecht schmeckte. Die schwarzen Flecken auf den Zähnen hielt man für ansteckend, und außerdem war sie Mutter eines Knaben, was die zarte Mette männlich machen konnte.

      Eine neue Amme wurde geholt. Die Brüste strotzten nach der Geburt eines toten Mädchens, und nach gründlicher Betrachtung im scharfen Sonnenlicht wurde sie akzeptiert.

      Währenddessen lag Ide im Bett und dachte an den toten König. Nicht daß sie ihm jemals begegnet wäre. Oder sich für ihn interessiert hätte. Er war nur der Mann, den ihr Vater in Viborg ernannt hatte, und seine Seele befand sich nun dort, wohin ihn seine Taten geführt hatten. Aber als Ide mit den Füßen die Decken lüpfte, um etwas Kühlung zu bekommen, erinnerte sie sich ganz genau, wie teuer sich der spanische Mönch für die kleine Flasche grünes Drachenblut bezahlen ließ, das doch nur als ein Ersatz für die bessere Ware galt.

      Es war so weit nach Holsten. Die königliche Leiche lag sicher schon in einem versiegelten Sarg, bis der Sarkophag fertig war. Und dort blieb sie in alle

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