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      Auf das Urteil des Bischofs pfiff Maren, denn sie hatte schon lange freitags Fleisch gegessen. Bei Sonnenaufgang saß das Weib umgekehrt und rittlings auf einem Ochsen, das eine Ohr abgebissen. Das Blut lief ihr den Hals hinunter, und sie schleuderte johlend eine nach der anderen von den fünfundfünfzig Perlen des Rosenkranzes in den stinkenden Sumpf des Dunghaufens.

      Maren war eine Ketzerin und Gotteslästerin. War nur eine von vielen Ketzern und Gotteslästerern. Es wimmelte in diesen dunklen Zeiten von neuen Predigern, weggelaufenen Mönchen, vagabundierenden Pfaffen und der Brut der geweihten Pfarrer.

      Ide kehrte in die Gegenwart zurück. Sie schaute in den Spiegel an der Wand. Er war rund, gewölbt und aus blankpoliertem Metall und spiegelte wie ein gewaltiges Auge den ganzen Raum.

      Dieser sah mit all dem Kalk, der von den Wänden und der Decke gerieselt war, wie nach einem Schneesturm aus. Der Riß in der Mauer glich einem Blitzschlag. Die Instandsetzung würde einiges kosten, und all die Kerzen, die das verschwenderische Gesinde angezündet hatte, waren teuer.

      Plötzlich ein Laut. Ide blickte sich um. Seit den laufenden Schritten über die Zugbrücke war es vollkommen still gewesen. Nicht ein Windhauch rührte sich in dieser klaren Mondnacht.

      Wieder dieser Laut. Sie schaute für einen Augenblick direkt vor sich auf den Boden und beugte sich langsam vor, um zu sehen, was da zwischen ihren Füßen lag. Sie betrachtete das Kind.

      Es bewegte sich ein wenig. Es war ein Mädchen. Lang und schmal und ohne Klauen oder Hörner auf der Stirn. Gesprenkelt von Blut und Kalk lag sie da und schaute sich um in der Welt, wo sie dazu ausersehen war, ihre bösen Taten zu vollbringen.

      Aber noch hatte das Kind nichts Böses getan, stellte Ide fest, legte die Ellbogen stützend auf die Oberschenkel und umfaßte es. Vielleicht war es nur ein gewöhnliches Hexenbalg, und seine Teufelsaustreibung und das Besprengen mit Weihwasser würden das Böse wegnehmen. Das Kind war feucht und warm, und Ide wickelte ihre wollenen Röcke um die Kleine, denn jeder weiß, daß kleine Kinder frieren, wo sogar Butter zerläuft.

      Wie schön sie war mit großen Augen und die Ohren schön am Kopf. Und die Hände waren länglich und schmal. Viel feiner als die von Birgitte. Und ihre.

      Plötzlich schloß es die Augen. War eingeschlafen. Vielleicht schlief sie hinein in den Tod, um einen Platz im schmerzlosen Himmel der ungetauften Kinder zu bekommen.

      Die Allerseligste Jungfrau mußte verstehen, daß Ide ihr Kind nur schützte, um ihm irdische Kälte zu ersparen. Das Mädchen würde sicher nicht leben. Je kürzer die Schwangerschaft, um so kürzer das Leben, und die Geburt erfolgte zwanzig Tage zu früh. Deshalb waren keine edlen Frauen anwesend, nur unzuverlässige Weibsleute und Gesinde. Obwohl Boten in die nächsten Nachbarhöfe geschickt worden waren, erschien niemand vor Einbruch der Dunkelheit, in der Räuber, Mörder und Wölfe unterwegs waren und ein Fortgehen lebensgefährlich machten.

      Birgittes Geburt dauerte drei Nächte und zwei Tage. Diesmal vergingen nur ein paar Stunden seit dem Beginn der Wehen in dem geheimen Labor im Keller.

      Ide hatte mit ihrem Brenner und den Kolben mit Pyrit, Quecksilber und Arsensulfat gearbeitet, mit Kalium und Nitrat, dem Urin eines Wolfes und der kleinen Flasche grünen Drachenblutes, das sie einige Tage vorher von einem spanischen Franziskanermönch mit Hasenscharte gekauft hatte, der auf heimlicher Durchreise nach Vadstena war.

      Sie hatte den Mönch in Køge an der Ecke zur Nørregade getroffen. Ein Umhang verbarg seine Kutte, doch er hatte seine wahre Identität offenbart und geschworen, daß sie in der Nacht des Schwertes reinstes Gold herstellen würde. Sie bezahlte eine ganze Mark für das Fläschchen, weil Drachenblut der beste Ersatz war, den es für das einzig sichere Mittel in dem Prozeß gab: ein konzentrierter Absud von der Leiche eines gesalbten Königs.

      Ide hatte die Anweisungen des Mönches befolgt, als sie die kostbaren Tropfen, die angeblich von Ameisen stammten, beimischte und gewaltige Dämpfe vor ihrem dicken Bauch aufstiegen.

      Oluf hielt Alchemie für ausgemachten Schwindel, aber sie wollte das Gegenteil beweisen. Sie wollte Gold herstellen. Als Ersatz für das, was Oluf an Silber und Edelsteinen als Bezahlung für seine eingebildeten Sünden verschenkte. Und wenn sie ihm das Gold überreichte, würde dessen Glanz in seinen Augen widerstrahlen. Und zum Dank würde sie die Glut der Liebe empfangen. Von dem Augenblick an würde er sie lieben und anbeten, wie er immer die Allerseligste Jungfrau geliebt und angebetet hatte.

      Plötzlich verstand Ide alles. Gott hatte eingegriffen. Gott hatte die Geburt in Gang gebracht, um das Kind zu töten. Es war trotzdem die Tochter des Teufels persönlich. Und unten in der Tiefe, umgeben von den Schreien der Gemarterten, saß der Teufel und ärgerte sich, denn er hatte endlich die richtige Braut gefunden. Er hatte die Frau gefunden, die das Ungeheure wagte. Sie hatte der Himmelskönigin Olufs Liebe mißgönnt. In all ihrer Jungfräulichkeit besaß Maria mehr belebende Wärme als Olufs irdische Gattin.

      Ide war verdammt. Sie und das Kind würden beide in dieser Nacht sterben. Gemeinsam würden sie auf direktem Weg in das gigantische Flammenmeer kommen, wo Schlangen die Körper von hinten und von vorne auffraßen, von innen und von außen.

      Es wurde dunkel um sie. Das Schwert des Kalenderstabes zeigte die Sankt-Markus-Nacht des Jahres 1533 an. Sie hörte Hufgetrappel auf der Zugbrücke. Sie war eine hochgeborene Frau und sollte als letztes Zeichen der Würde ihre letzte Reise zu Pferd antreten.

      Kommandorufe. Unterteufel, die die armen Seelen musterten. Ihre körperlose Seele wurde von den Dämonen dem endgültigen Urteil zugeführt, gepeinigt und gequält, bis sie wieder mit ihrem Körper vereinigt wurde und die Tortur ernsthaft begann.

      Doch Ide empfand keinen Schmerz. Sie hörte auch kein Wehklagen anderer Seelen, und sie kannte die Stimme.

      Es war Anne Meinstrup, Holgers Mutter. Ide öffnete die Augen. Sie lag in ihrem Bett, mit Decken über und unter ihrem Körper. Der völlig am Leben war. Von oben bis unten. Sie wackelte mit den Zehen, beugte Ellbogen und Knie.

      Sie hob vorsichtig einen Finger bis zum Gesicht. Guckte ihn an. Versuchte hineinzubeißen. Er war weder tot noch kalt. Um sie war der gelbe Stoff des Himmelbettes und die geschnitzte Truhe und der runde Spiegel an der Wand und Anne, die mit dem harten, präzisen Schlag eines Dreschflegels die Köpfe von drei Dienstmägden herumdrehte. Sie fegte durchs Zimmer und griff nach einem Weib, das das Kind in ein Tuch wickelte, als drehe sie die Handkurbel einer Senfmühle.

      Annes Stimme klang wie der sanfte Engelschor des Himmels, als sie das verdutzte Gesinde anbrüllte, daß es sich hier um ein gesundes, normales Kind handle, so sicher, wie ein Hund ein Hund sei und eine Katze eine Katze. Das graue Haar stand strähnig unter dem Witwenschleier hervor, und die Wangen waren noch rot von der Kälte, als sie in ihren Lederbeutel mit der mitgebrachten Medizin griff.

      Die Schlüssel. Ide sah sie vor sich, wie sie im Türschloß des Labors steckten. Sie hatte sie dort vergessen, obwohl noch Feuer unter dem Schmelzofen brannte. Sie hatte ihre Schlüssel um einiger Wehen willen im Stich gelassen. Und das Drachenblut. Und das Gold für Oluf. Nun bekam er statt dessen noch eine Tochter und einen Keller, der in die Luft geflogen war, und Anne Meinstrup als Langzeitgast.

      Eine Stunde später hielt Ide ihr Kind in den Armen. Bottiche mit warmem, mit Essig und Wein versetztem Wasser hatten die geschwollenen Beine kuriert. Die Brüste waren mit Annes Absud aus der Zwiebel des Märzbechers eingeschmiert, um die Spannung wegzunehmen, und Ide hatte zerriebenen, trockenen Rhabarber gegen die gefährliche Verstopfung geschluckt.

      Draußen graute der Tag, von dem sie nicht mehr geglaubt hatte, daß sie ihn erleben würde. Ein grünlicher Schein fiel durch die kleinen, zerbrochenen Scheiben. Der Kalk war zusammengekehrt, der Boden gewischt worden, die Wiege stand bereit, und das hysterische Gesinde war, nachdem es nichts mehr zu tun gab, hinausgeworfen worden. Nur die rasch herbeigerufene Amme, eine Frau und Anne saßen im Zimmer.

      Anne schlummerte auf einem Stuhl. Der Kopf hing herunter bis zur Brust unter dem gestärkten Leinen, und die Wangen waren die eines Bluthundes. Zwei Ehemänner hatte sie zu Grabe getragen, und von den Söhnen lebte nur noch Holger. Sie hatte wohl die Erfahrung gemacht, daß alles, was man nicht

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