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Süß, schwer und fast wie Eckernfördebier. Je mehr sie daran arbeitete, desto öfter glückte es. Wenn dasselbe nur einmal mit einer Flasche Drachenblut zu einem Pfund Gold gelingen würde!

      Mette wartete weiter auf ihren Vater. Tag für Tag saß sie im Hof auf demselben Pflasterstein. Manchmal blieb Otte Rantzau stehen und nahm Mette hoch, offenbar gerührt von der Sehnsucht des Kindes. Ide sah es vom Fenster aus. Oder sie sah es vom Söller aus. Die kleinen Händchen des Mädchens am Hals des Ritters, die Finger halb geöffnet in seinem Haar – und trotzdem so selbstverständlich. Ide mußte eine Aufwallung von Zorn unterdrücken. Sie fühlte sich seltsam übergangen.

      Das Drachenblut war vielleicht doch falsch gewesen, fiel ihr ein. Der Franziskaner hatte sie möglicherweise beschwindelt. Eine Hasenscharte war ein Makel im irdischen Leben, und manche benutzten körperliche Mängel als Entschuldigung für das Übertreten der Gebote Gottes. Sie waren betrogen worden und behielten sich das Recht vor, selbst zu betrügen. Die Rechnung mußte aufgehen.

      Irgendwann zog sicher wieder Friede ins Land, und man würde kostbare und seltene Waren kaufen können. Ide wollte es noch mal probieren. Nur einmal. Nicht etwas mit Malz und Hopfen in einfachen Bottichen. Den anderen Prozeß. Den schwierigsten von allen. Sie sehnte sich nach den Dämpfen und dem starken, angebrannten Geruch nach schmelzenden Metallen. Hätte sie nur Gold, hätte sie alles.

      Ide kannte reihenweise heilige Männer und Frauen, jeder mit seinem Symbol über die anderen Sterblichen erhoben. Der Pfeil. Die Lilie. Die Rose. Die Kerze. Die Kugel. Der Bär. Keiner mit Gold in der Hand. Doch – der heilige Nikolaus von Myra. Aber er gab das Gold weg, um arme Mädchen vor der Schande zu retten. Er stellte es nicht her. Vielleicht war ein Wunder erforderlich, wie bei der heiligen Birgida, die durch die Macht des Wunders das erste Bier machte.

      Die elftausend Jungfrauen von Köln könnten nützlich sein. Ein plötzlicher Einfall. Unter so vielen Märtyrerinnen war es denkbar, daß eine einzelne Bescheid wußte und helfen wollte. Die Domkirche zu Lund besaß zwei der Jungfrauen in der Reliquiensammlung. Sogar zwei vollständige Körper, von Kopf bis Fuß. Es fehlte nicht ein Knochen. Dazu kamen die Skelette von Roskilde, schön und unbeschädigt und mit allen Zähnen. Sie waren physisch im Lande, einige dieser keuschen Frauen. Ide hatte immer etwas von Heiligen gehalten, bei denen man direkten Kontakt mit ihren irdischen Resten bekam. Die Idee mit den Jungfrauen war neu und vielleicht gar nicht so dumm, denn Hilfe von denen da oben brauchte es.

      Die Truppen Herzog Christians rückten in Nyborg ein. Eine Woche vorher setzten sie über den Kleinen Belt, jetzt kauerten die Soldaten mit blutigen Händen, Schwertern und Lanzen am Boden, kippten die Säcke aus und zählten ihre Kriegsbeute.

      Silberknöpfe vom Sonntagsstaat und Kinderrasseln, bestickte Hauben und kleine Spitzentücher für hohe Feiertage. Es wurde mit Rosenkränzen herumgeworfen, mit Heiligen Schriften Feuer gemacht, und die Perlen kullerten in den Staub.

      Die Frauenkirche brannte. Die Turmspitze glich einem Flammenschwert, spaltete die Rauchwolke über Helletoften und reichte bis zu den waagrechten goldenen Strahlen des Sonnenuntergangs, wie ein Pakt zwischen den Feuern des Himmels und der Erde. Das glühende Gitter der Dachkonstruktion sackte langsam in sich zusammen. Balken um Balken stürzte in einem Funkenregen hinunter in das Kirchenschiff. Hinunter auf den Hochaltar mit der Geburt des Heilands, der Krippe, dem Kind, Maria in faltenreichen Röcken und goldenem Heiligenschein. Die Schafe, die Hirten, die Könige. Hinunter auf die Seitenaltäre. Anna selbdritt als die schönste aller Figuren, vor allem in blauen Farben, aber auch ein bißchen Gold und Rottöne auf dem geschnitzten Holz. Und hinunter auf Ides Gebete, die demütigen, die verbitterten. Alle lagerten sie hier und warteten, bis sie an der Reihe waren. All ihre Tränen, ihre Hoffnungen, Beichten und Zornesausbrüche, Ave Marias und Vaterunser. Sie waren nicht weitergekommen und gingen nun in den Flammen verloren. Sie konnte von vorne anfangen.

      Ide schloß heftig das Fenster. Nicht nur die Kirche, ganz Helletoften brannte. Die Häuser der Krämer, Schmiede, Zimmerleute, das strohgedeckte Heim des Seilers. Die Hütten der Armen und ganz am Rand die Behausungen der Fischer. Alles, was diese Menschen besessen hatten, befand sich jetzt in zwei rußigen Wolken, die nach Osten über den Großen Belt trieben. Der dritte Stand erhielt seine Strafe, weil er glaubte, gebieten zu können, und vergaß, daß er gehorchen mußte. Aber wie vielen gelang die Flucht, ehe die Fackeln auf das Strohdach geschleudert wurden?

      Die Nächte wurden von Dämonen erobert. Dämonen setzten Kinder in Brand. Ihre Kleidung, ihr helles, leichtes, wehendes Haar. Ide erwachte mit einem Schrei und stellte fest, daß die Dämonen unten im Hof saßen und um in den Matratzen der Zelte verstecktes Diebesgut würfelten.

      Ide befestigte den Schlüsselbund an ihrem Gürtel. Da waren die Schlüssel für Speisekammern und Vorratsräume. Für Käse, Butter, Erbsen und Talg. Für Wein, Bier, Mehl und Brot. Für das Eingesalzene, das Geräucherte und anderes Fleisch.

      Sie hatte hier nichts mehr zu sagen. Sie wollte zurück nach Vallø, wo die Bienen jetzt zu Tausenden wie ein Chor heller Sirenen unter der blühenden Linde summten. Ide begann Nyborg zu hassen. Bei Ostwind schmeckte sie Salz auf den Lippen. In den Träumen segelte die Festung brennend ins Meer. Sie zog das Festland vor.

      Die Schlüssel besaßen Macht. Sie herrschten. Mit der Macht eines Heeres. Das Geräusch ihres Rasselns brachte selbst die abgestumpftesten Landsknechte in Bewegung, denn die Schlüssel bedeuteten Verpflegung. Sie grölten schmutzige Lieder unten im Schloßhof, diese deutschen Barbaren, während die Krüge mit ihrem edlen Gebräu die Runde machten.

      Die Sonne war noch nicht über den Dachfirst des Ostflügels gekommen, und zwei betrunkene Landsknechte warfen eine Puppe hin und her. Nicht so eine wie die von Birgitte, mit bemaltem Gesicht und feiner Perücke, aus dem Ausland importiert. Es war eine grobe, daheim genähte Puppe. Sie steckten die Puppe auf die Spitze einer Lanze und hielten sie übers Feuer.

      Ide drehte und wendete die Schlüssel zwischen ihren Fingern. Sie wußte genau, wofür jeder einzelne benutzt wurde. Sie hatten ihre Eigenarten. Der verrostete, wie ein M geschmiedete. Der mit der Scharte. Der abgewetzte, der schiefe, der neue, glatte und der fingerdicke. Jeder bedeutete den Zugang zu Essen und Trinken. Es gab nur den einen Schlüsselbund. Mit dem Blick auf die brennende Puppe gerichtet, fummelte sie den Schlüssel für die Brauküche vom Bund, ging zur Luke an der Ostmauer, schob sie beiseite und warf den Schlüssel direkt in den Burgteich. Zwei Enten flogen auf, und es bildeten sich neun Ringe im Wasser, wo der Schlüssel aufgeschlagen und untergegangen war.

      Ide zählte sie sorgfältig, genoß jeden einzelnen und dachte, daß ihre Mutter das nie getan hätte. Vielleicht kannte ihre Mutter keine wirkliche Erbitterung. Vielleicht drückte sie jeden Zorn mit diesen immer stramm unter der Brust gefalteten Händen zurück in den Körper bis in die feste Masse der Knochen. Von morgens bis abends. Vielleicht schlief sie auch so.

      Doch, einmal war da etwas, erinnerte sich Ide. Damals, als das Hökerweib in Hjerm mehrmals die Hostie in ihrem Mund aufbewahrte und wieder herausholte. Sie zermahlte das heilige geweihte Brot und streute dann sozusagen den Leib Jesu Christi in Pulverform über ihre neugepflanzten Kohlreihen. Die Sache kam ans Licht, weil man solche Kohlköpfe noch nicht gesehen hatte. Sie wurden groß wie Kürbisse, und das Weib konnte sich nicht verkneifen, mit ihrem Einfall zu prahlen.

      Da hatte Ides Mutter die Hände entflochten. Ihre Augen glitzerten wie der Vollmond im Winter, und alle zehn Finger waren in wilder Ohnmacht gespreizt, bis sie mit großer Kraftanstrengung das Zeichen des Kreuzes machte, bevor sich die Hände zurückkämpften in die gewohnte Position.

      Die Mutter rührte über ein halbes Jahr keinen Kohl an. Bis das Weib an einer bislang unbekannten Krankheit starb; sie wurde grünlich und spröde, und der ganze Körper knackste. Besonders um den Mund und am schlimmsten bei Frost, da klirrte die Haut wie venezianische Trinkgläser.

      Hier auf Nyborg wird einer der Schmiede das Schloß zur Brauküche abschrauben. Der Braumeister wird die Erlaubnis bekommen, allein für die Bierversorgung verantwortlich zu sein. Plötzlich freute sich Ide. Das Plumpsen des Schlüssels ins Wasser hatten so herrlich geklungen wie das Knallen des Kronleuchters auf die Tischplatte. Der Anblick der neun Ringe, die sich auf der Wasseroberfläche bildeten, so erhebend wie verbogene Löffel, verbeulte Becher,

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