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Die Fähigkeit ihres Vaters, zu lachen, war doch ein bißchen vererbt worden.

      Jetzt werden sie kein Herrenbier trinken. Auch kein Gesellenoder Dünnbier oder nur Schiffsbier. Der Schurke von einem Braumeister wird den teuren Hopfen unter der Hand verkaufen, Wasser auf die gequälte Maische kippen, mit Porst oder Wermut würzen, und wenn das blasse, bittere Dünnbier aus den Kannen floß, würde die Stimmung bei diesem Diebes- und Mördergesindel vielleicht eine andere. Sie hatten einen Stadtteil, die Kirche, ihren Lagerbestand an Gebeten und sogar die Puppe eines Kindes in Brand gesteckt.

      Ide freute sich darauf, mit eigenen Augen zu sehen, was geschah, wenn das schwere, berauschende Herrenbier versiegte und statt dessen Dünnbier kam. Sie war so eingenommen von dem Gedanken, daß sie erst einige Tage später Mettes Wechsel auf einen neuen Pflasterstein bemerkte.

      Das Mädchen hatte sich woanders hingesetzt. Sie schaute nicht mehr nach Süden, sondern nach Osten. Direkt zur Küste Seelands. Ide wunderte sich ein bißchen. Sie hoffte auf eine Veränderung im Verhalten des Kindes, aber nichts geschah. Der leere, abwesende Ausdruck in ihren Augen blieb derselbe. Die Ablehnung jeder Zärtlichkeit ebenso.

      Ide überlegte, der Mutter über das Problem zu schreiben. Oder vielleicht eher Anne Meinstrup. Trotz ihres losen Mundwerks hatte sie eine gute Hand im Umgang mit Kindern. Alle Kinder mochten sie. Wenn sie nur hier wäre. Wenn Ide nur nach Vallø zurückkehren könnte. Sie wollte weg von all den Soldaten.

      Aber das Heer, das im Namen Christians II. kämpfte, verwüstete Seeland. Horden von Männern, die auf Befehl mordeten, für Sold Fahnen hißten, nach Bedarf plünderten und gegen Bezahlung für die andere Seite stritten.

      Mettes Starren nach Osten beeinflußte Ide und verstärkte ihre Sehnsucht nach den dunklen Räumen auf Vallø. Was machte es, daß man nur ganz am Fenster sitzend lesen konnte; ein Stuhl war leicht zu verrücken. Es war sicher auch keine große Sache, einen Eimer im Brunnen mit Wasser zu füllen. Die Rohrleitungen froren ohnehin Winter für Winter ein und zerbarsten.

      Seeland hatte Buchenwälder, rauschend und rostbraun im November. Es hatte kleine, geduckte, rote Häuser, Rosenhöfe, Obstgärten, Kräutergärtchen und die grünen Kohlreihen und Pater Niels, der ihre Sünden kannte.

      Nyborg war Gold. Der Galgen wurde aufgestockt, so daß für acht auf einmal Platz war. Vier oben, vier unten. Ein schwergewichtiger Süddeutscher, verurteilt wegen Vergewaltigung einer Küchenmagd, hatte eine Messerklinge im Mund versteckt. Es gelang ihm, sie zwischen die Zähne zu nehmen und dem Henker die Wange aufzuschlitzen, ehe der Schemel weggestoßen wurde und der Strick seinen fetten Nacken brach, daß man es hören konnte. Die umstehenden Jungen grinsten und warfen Steine nach der Leiche, um sie in der windstillen Sommerhitze zum Pendeln zu bringen.

      Endlich Neues von Oluf. Der Herzog war auf Als in Sicherheit gebracht worden, und Wochen später war Oluf mit dem Schiff weitergereist nach Seeland, um Vallø einen Besuch abzustatten. Er war Gefangener der lübischen Landsknechte.

      Ide war stolz. Die anderen Gutsherren und Reichsräte in Schonen und auf Seeland verrieten einer wie der andere ihren Eid und retteten ihre Haut, indem sie einen neuen auf den Grafen von Oldenburg ablegten. Aber nicht ihr Oluf.

      So hatte sie noch nie an ihn gedacht. Als »ihr« Oluf. »Mein« Oluf, versuchte sie zu sagen, doch es klang nicht ganz echt. Plötzlich mußte sie an Mette denken und an ihren Wechsel von Stein und Blickrichtung auf dem Schloßhof. Der Zeitpunkt stimmte. Nur ein Zufall natürlich. Das war nicht weiter bemerkenswert, und außerdem hatte Ide ohnehin genug um die Ohren.

      Nichts half gegen die mangelnde Disziplin, und vom Söller schaute Ide hinunter auf den Pfeilerwald aus Lanzen. Kugeln flogen herauf, und Dachziegel nahmen den umgekehrten Weg. Mette und Birgitte mußten drinnen bleiben. Bei der Hitze klebten die Röcke an Ides Schenkeln, und die brannten wie eine ganze Schlangenbrut.

      Das Gesinde wurde von der Stimmung angesteckt und gaunerte, wo es möglich war. Sie stahlen Fässer mit frisch eingesalzenem Lammfleisch und stibitzten Talglichter von den Leuchtern. Birgitte lief mit fleckiger Haube und Schnürleibchen herum, und die Wäsche wurde grau, weil die Mägde keine Lust mehr hatten, auf den Bleichplatz zu gehen.

      Der einzige auf der Festung gebliebene Pfarrer war unbrauchbar. Er war von Ørkel gekommen, nachdem die Rebellen die Festung des Bischofs angezündet hatten. Nach eigener Aussage war er den ganzen Weg gelaufen. Jedenfalls waren Schuhe und die Hosen bis zu den Knöcheln zerrissen, als er sich klagend und jammernd über die Zugbrücke schleppte und jeder notleidenden Seele seine Dienste anbot. Aber er hatte einen Sohn produziert, wie Ide wußte, einen gewöhnlichen Hurenbalg, der auf dem Skanderborg-See über Bord gefallen war, während er die neue Lehre predigte, denn dort gab es kein Zölibat. Drei Tage suchten sie ihn mit dem Schleppnetz, ohne eine Leiche zu finden. Der Teufel hatte ihn mit Haut und Haar, Geschlecht und Knochen geholt.

      Wie konnte sie einem solchen Pfarrer ihre Sünden beichten?! Wie konnte sie bekennen, daß Otte Rantzau ihre Blicke auf sich zog, wenn er mit der geschmeidigen Bewegung eines Hermelins über das Kopfsteinpflaster schritt?! Es war wirklich etwas Katzenartiges an dem jungen Ritter, stellte Ide fest, wenn er fast ohne Anlauf auf den Rücken eines ungesattelten Pferdes sprang. Und sie hatte auch selbst die Kontrolle verloren, eingesperrt in die Hitze und den Gestank mit den Flüchtlingen und ihren Scheusalen von Kindern, mit Nonnen, Landsknechten und dem abendlichen Wetterleuchten, das nicht von fernem Kanonenfeuer zu unterscheiden war. Das war nur in stillen Augenblicken möglich.

      Der Kanonendonner wurde an einem frühen Augustmorgen hörbar. Die Truppen des Christoffer von Oldenburg hatten Nyborg erreicht. Sie waren eingeschlossen. Die Festung befand sich im Belagerungszustand.

      Ides erste Reaktion war eine Freude über die plötzliche Disziplin der Soldaten. Die nächste war eine Sehnsucht nach Oluf. Sie hätte nie gedacht, daß er ihr so fehlen könnte.

      Beim Lärm des ersten Schusses warf das Gesinde alles, was es in Händen hielt, weg und stürzte in den Keller. Die Kugeln trafen mit einem großen Platsch ins Wasser. Ide fing die beiden Dienstmägde ein, beorderte sie hinauf ins obere Stockwerk und achtete im übrigen darauf, sich nichts anmerken zu lassen. Keine Kanone konnte über die Burggräben schießen; nur der schmale Weg zum Tor mußte durch Sperrfeuer abgeschirmt werden, und Munition war genügend vorhanden.

      Mit verschlossener Schlafkammertür, den Riegel vorgeschoben, und beim Rumpeln der Kanonen, die im unteren Stockwerk in Stellung gebracht wurden, rückte Ide den Stuhl in die tiefe, mittlere Fensternische und begann, einfach zu erzählen.

      Zuerst die vierzehn Nothelfer. Eine Krähe kam mit Nahrung zum heiligen Erasmus geflogen, und der Engel befreite ihn aus dem Gefängnis. Der Wanderstab des heiligen Christophorus setzte Blüten und Blätter an und trug Früchte. Die heilige Katharina vermochte ganz allein fünfzig gelehrte Männer des Reiches zur Umkehr zu bewegen, und ein kleiner Junge trieb sowohl bei einer römischen Kaisertochter als auch bei der Tochter des Königs von Persien Dämonen aus.

      Die Mauern erbebten unter dem Kanonenfeuer. Der scharfe Geruch des Pulverschleimes drang zu den Fenstern herein, doch Birgitte lauschte den Geschichten. Sogar Mette schien manchmal zuzuhören. Ide saß von morgens bis abends in der Fensternische. Jeden Nachmittag, wenn sich der Zeiger auf der goldenen Uhr der Vier näherte, lag der erste Lichtstreifen auf dem Boden. Gegen sechs Uhr abends spürte sie die Sonnenstrahlen deutlich zwischen den Schulterblättern. Die Zeit und der Lauf der Sonne wurden nicht von den Soldaten beherrscht.

      Als nächstes die Prediger in der Wüste. Die Apostel. Und die Tierfabeln. Und dann das Gewimmel der gewöhnlichen Heiligen. Wunder über Wunder betäubten die Geräusche auf dem Burghof. Manchmal fügte Ide ein wenig auf eigene Rechnung hinzu. Die heilige Scholastica bekam ohne weiteres blondes Haar und eine helle Haut, weil die Seele der heiligen Frau den Körper in Gestalt einer wunderschönen weißen Taube verließ. Ide war einfach gezwungen, mit den Händen zu schlagen, als sie davon berichtete, obwohl gleichzeitig das Geschütz des Knudsturms donnerte und der Kalk von der Decke bröselte.

      Birgitte stellte am Ende des Tages immer Fragen. Warum fast alle weiblichen Heiligen nein zur Ehe sagten. War es denn edler und feiner, nicht zu heiraten? Ob nur fremde Länder heilige Städte hatten – Rom, Venedig, Köln, Assisi.

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