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überrascht die beiden Schiffe ein schwerer Sturm; die „Tula“ wird 240 Kilometer nach Westen zurückgetrieben. Dennoch gelingt es Biscoe, noch einmal in Sicht des Landes zu kommen, zahlreiche Skorbutfälle an Bord aber zwingen ihn, schleunigst nach Norden zu gehen. Als er in Hobart auf Tasmanien am 7. Mai ankommt, sind zwei Matrosen gestorben und die übrigen so krank, dass die „Tula“ nur von ihren drei Offizieren, einem Matrosen und einem Schiffsjungen in den Hafen gesteuert wird. Dennoch hat sich Biscoe noch bis zum 81. Längengrad innerhalb des 60. Breitengrades behauptet. Den Kutter hat Kapitän Smith nach Port Phillip an der Südküste Australiens retten können; im August trifft auch er in Hobart ein.

      Am 10. Oktober gehen beide wieder unter Segel, zunächst auf Robbenfang nach Neuseeland und westlich davon an den Chatham- und Bounty-Inseln, aber was sie dort erwischen, lohnt kaum den Aufenthalt, und an neuen Fangplätzen haben sie noch nicht einen gefunden. Vielleicht winkt ihnen auf der andern Seite der Antarktis mehr Glück. Also steuern sie am 4. Januar 1832 nach Südosten, und aus der geschäftlichen Erkundungsfahrt wird die dritte Weltumsegelung im antarktischen Südmeer, nur dass Biscoe vom Glück weit stärker begünstigt ist als seine beiden Vorgänger Cook und Bellingshausen. Er hat die erste unzweifelhafte Landküste am Südpol gefunden, nach seinem Auftraggeber nennt er sie Enderby-Land, und der zweite Teil der Fahrt beschert ihm eine noch viel wichtigere Entdeckung. Am 14. Februar ist er schon auf dem Meridian von Feuerland, und am 15. segelt er auf eine hohe Insel zu, der er den Namen der Königin Adelaide von England gibt. Daran schliesst sich eine ganze Kette weiterer Inseln, die seitdem als Biscoe-Inseln auf den Karten der Antarktis stehen. Im Hintergrund dieser von Eis blockierten Inseln aber zeichnen sich die gewaltigen Umrisse eines hohen Festlandes ab, das sich weiter östlich nach Norden in den Ozean vorschiebt, wie Biscoe wenigstens glaubt; denn das Eis lässt ihn nicht so nahe heran, dass er festzustellen vermag, ob diese ungeheuren Landmassen ein zusammenhängendes Ganzes bilden oder sich in einen Archipel grosser Inseln auflösen, was sich erst zweiundvierzig Jahre später offenbart. An der Westecke dieser vermeintlichen Festlandküste findet Biscoe eine grosse Bucht, die von zwei hohen Bergen überragt wird, dem Mount William und dem Mount Mowerby; die Lage des ersteren stellt er mit 64° 45′ s. B. und 63° 51′ w. L. richtig fest. Er landet am Strande dieser Bucht und betritt als erster eine Küste in diesen Breiten. Dem ganzen Landkomplex gibt er den Namen des damaligen Chefs der englischen Admiralität, und Graham-Land spielt von nun an in der Geschichte der antarktischen Forschung eine Hauptrolle. — Von da segelt Biscoe nach den Süd-Shetland-Inseln, wo der Sturm die „Tula“ auf die Küste wirft; ihr Steuer zerbricht, dennoch gelingt es dem Kapitän, wieder flott zu werden und die Falkland-Inseln zu erreichen. Dort scheitert der Kutter „Lively“, die Mannschaft aber wird gerettet.

      Die ausserordentlichen Erfolge Biscoes, dem an einwandfreien Entdeckungen mehr gelungen ist als allen bisherigen Forschern in der Antarktis zusammen, erregen mit Recht grosses Aufsehen, und die Geographischen Gesellschaften von London und Paris erkennen ihm ihre grosse goldene Medaille zu. Auch das Haus Enderby ist stolz auf diesen Kapitän und rüstet gleich zwei neue Schiffe aus, mit denen er seine Entdeckungsreise fortsetzen soll; ein Vertreter der Admiralität, Leutnant Rea, wird als Teilnehmer an der neuen Expedition abkommandiert. Daraus ergeben sich anscheinend Streitigkeiten über die Führung des Oberbefehls, Biscoe ist offenbar nicht geneigt, seine Selbständigkeit aufzugeben, und tritt zurück. Irgendein Neuling übernimmt sein Amt und fährt so tollkühn drauflos, dass schon auf der ersten Etappe das Schicksal dieser zweiten Expedition besiegelt ist. Eines der beiden Schiffe wird bei den Süd-Shetland-Inseln vom Eis zermalmt, das andere entgeht nur mit knapper Not dem Verderben.

      Es sind nur dürftige Runenzeichen, die sich bisher auf der weissen Karte der Antarktis als Landkonturen abzeichnen. Im Januar 1833 kommt noch eines hinzu, Kemp-Land östlich von Enderby-Land, das wiederum ein Kapitän dieses Handelshauses gesichtet hat, doch weiss man über dessen Fahrt nichts Näheres. Nun endlich beginnt aber auch die wissenschaftliche Forschung, ihre Aufmerksamkeit dem Südpol zuzuwenden. Weniger die eigentlichen Geographen, die noch gar nicht neugierig darauf zu sein scheinen, welche Geheimnisse sich unter der Eiskappe des Südpols verbergen, wohl aber die Geophysiker, die den rätselvollen Kräften des Universums nachspüren und ihre Rechnungen nicht zum Abschluss bringen können, solange der Posten Südpol noch offensteht.

      Wo ist der magnetische Südpol?

      Im alten Berlin der dreissiger Jahre des 19. Jahrhunderts ist Alexander von Humboldts „Kupferhäuschen“ stadtbekannt. Es steht im grossen Mendelssohnschen Garten an der Leipziger Strasse, da wo heute noch das „Herrenhaus“ an die sozialen Missverständnisse der wilhelminischen Zeiten erinnert. Der berühmte Gelehrte und Weltreisende hat es sich 1827 bauen lassen, um darin erdmagnetische Beobachtungen zu machen, die zeitlebens zu seinen Lieblingsstudien gehören. Aus reinem rotem Kupfer musste das Häuschen sein, weil jeder Eisennagel den mitten im Raum an einem ungedrehten Faden hängenden Magneten abgelenkt hätte. Alle bedeutenden Physiker und Mathematiker der preussischen Hauptstadt, Encke, der Direktor der Sternwarte, Dove, Dirichlet und andere, beteiligen sich an diesen Untersuchungen. In einem Bergwerksschacht zu Freiberg in Sachsen, 70 Meter unter der Erde, macht Professor Reich, Lehrer an der dortigen berühmten Bergakademie, an der auch Humboldt studiert hat, zu genau verabredeten Zeiten ganz die gleichen Versuche wie die Berliner, und an einer dritten Stelle, in Columbien, nahe dem Äquator, nimmt der französische Chemiker Boussignault, der sich damals in Südamerika aufhält, auf Humboldts Bitte dieselben Beobachtungen vor. Denn ein vereinzeltes Experiment dieser Art bedeutet wenig für die Erkenntnis der rätselhaften Launen der Magnetnadel, die seit Erfindung des Kompasses im 11. Jahrhundert die Seefahrer ebenso wie die Gelehrten beunruhigt und beschäftigt haben. Der grosse Magnet Erde hat sein eigenes kosmisches System, seinen eigenen Äquator und seine eigenen Pole, die sich mit den gleichnamigen astronomischen und geographischen Begriffen keineswegs decken. Die Verteilung der erdmagnetischen Kraft, ihre verschiedenartige Stärke, die Gesetze ihrer Wirkung und die durch sie verursachten Erscheinungen, die Abweichung der Magnetnadel vom geographischen Meridian, Erdströme und magnetische Störungen, Nord- und Südlichter, ihr Zusammenhang mit der Sonne usw., sind noch heute ungelöste Probleme. Ihre Erforschung setzt ein über das ganze Erdenrund gespanntes Netz von Beobachtungsstellen voraus, die möglichst mit denselben überaus komplizierten und empfindlichen Apparaten und unter gleichen örtlichen Einflüssen nach einem einheitlichen Programm Jahrzehnte hindurch arbeiten müssen, also eine vielleicht übermenschliche, entsagungsvolle Tätigkeit und eine kostbare wissenschaftliche Organisation, die auch im 20. Jahrhundert noch immer fern von ihrer Vollendung ist. Alexander von Humboldt war es, der zu ihrem Aufbau die beispiellose Macht seines wissenschaftlichen Ansehens erfolgreich eingesetzt hat.

      Auf der Rückreise von seiner Forschungsexpedition durch das asiatische Russland (1827—1829) gelingt es ihm, durch einen mitten im Trubel geräuschvoller Festlichkeiten improvisierten Vortrag in der Petersburger Akademie der Wissenschaften die russische Regierung zu bestimmen, durch das ganze Zarenreich von Nikolajew bis Peking eine grosse Reihe magnetischer Stationen einzurichten. Zwei wichtige Ereignisse kommen diesem Unternehmen zu Hilfe. Der berühmte englische Polarfahrer John Ross entdeckt die Nordspitze Amerikas, und dort, auf dem äussersten Zipfel, auf Boothia-Felix-Land, dringt sein ihn begleitender Neffe James Ross Anfang Juni 1831 bis zu dem Punkte vor, der — wenigstens damals, denn dieser Punkt ist nicht beständig — als das nördliche Zentrum der erdmagnetischen Kraft zu gelten hat. Der magnetische Nordpol — richtiger Südpol, denn gleiche Pole stossen sich bekanntlich ab — liegt zu jener Zeit auf 70° 5′ 17″ nördlicher Breite und 96° 46′ 45″ westlicher Länge, also fast zwanzig Breitengrade vom geographischen Nordpol entfernt. In der ganzen wissenschaftlichen Welt erhebt sich damit die Frage: „Wo ist der magnetische Südpol?“ — Gleichzeitig beginnt der Göttinger Mathematiker Karl Friedrich Gauss seine grundlegenden erdmagnetischen Arbeiten, die in seiner epochemachenden „Allgemeinen Theorie des Erdmagnetismus“ gipfeln, und erfindet in seinem Manometer (1833) ein Instrument, das an Sicherheit und Genauigkeit der Messungen das bisherige Handwerkszeug der Physiker weit überholt und alsbald überall eingeführt wird. Die Berliner Sternwarte erhält ein magnetisches Observatorium nach Gaussschem System; Humboldts Kupferhäuschen ist damit veraltet. 1836 bildet sich in Göttingen ein „Magnetischer Verein“, der die Errichtung solcher Observatorien in zahlreichen Städten Deutschlands durchsetzt; die schon bestehenden russischen Stationen schliessen sich an, ebenso die in

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