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erdmagnetischen Erscheinungen, die sie ergründen helfen wollen, treten am stärksten und klarsten gerade in den unzugänglichsten Gegenden unseres Globus auf, in den beiden Polarzonen. Die nördliche Halbkugel ist mit Observatorien ziemlich reich versehen, und die überaus rege Nordpolforschung hat auch im äussersten Norden wertvolle Aufklärungsarbeit verrichtet. Auf der südlichen Halbkugel aber ist überhaupt noch nichts geschehen und das Zentrum der dortigen erdmagnetischen Kräfte, das gesamte Gebiet der Antarktis, noch so gut wie unbekannt. Hier kann nur Grossbritannien mit seinen die Welt umspannenden Kolonien helfen. Da ist es wiederum Humboldt, der im April 1836 durch einen glänzenden diplomatischen Brief an den Herzog von Sussex, den Präsidenten der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu London, den Ehrgeiz auch Englands zu wecken versteht, das, wie Humboldt schreibt, „im Besitze des grössten Welthandels und der ausgedehntesten Schiffahrt, bisher keinen Teil an jener grossen wissenschaftlichen Bewegung seit 1828 genommen“ habe. Der Erfolg seines Briefes überrascht selbst ihn: schon im Juli erhält er die Nachricht, dass sich die Königliche Gesellschaft für Errichtung magnetischer Observatorien in Kanada, Ceylon, St. Helena, Tasmania, Mauritius oder auf dem Kap der Guten Hoffnung und sogar für die Entsendung einer Expedition zur Erforschung der magnetischen Phänomene in den hohen südlichen Breiten zwischen den Meridianen von Australien und Kap Hoorn (Südamerika) einsetzen werde.

      Damit ist ein Stichwort gefallen, das plötzlich drei Nationen wetteifernd in Bewegung setzt: Entdeckungsfahrt in hohe südliche Breiten, Erforschung des Südpolgebietes innerhalb des südlichen Polarkreises, den bisher nur Cook, Bellingshausen, Weddell und zuletzt Biscoe überschritten haben. Was verbirgt sich dahinter? Von drei Seiten zugleich soll jetzt versucht werden, diese Frage zu beantworten.

      Drei Expeditionen haben ein Ziel!

      Am 18. Mai 1836 bewilligt der Kongress der Vereinigten Staaten von Nordamerika die Ausrüstung einer geographischen Expedition, die fünf Segelschiffe, darunter zwei Kriegsschiffe, um die ganze Welt führen und fünf Jahre dauern soll. Es ist die erste wissenschaftliche Expedition, die von Amerika ausgeht, und wie die Zeitungen melden, erfolgt der Kongressbeschluss „ohne Rücksicht auf die Kosten“. Europa horcht auf. Was heisst Wissenschaft? Geographie und Weltwirtschaft sind Blutsverwandte, sind Mutter und Tochter; die zweite könnte nicht ohne die erste sein; was dieser zum Besten geschieht, kommt jener zugute. Geographische Expeditionen haben stets wirtschaftliche Folgen und demnach auch Ziele. Amerika braucht für den Walfang und Handel neue Quellen und Absatzgebiete, es will bei Erschliessung und Kolonisierung der Inselparadiese des Stillen Ozeans als Mitbewerber unter den Engländern, Franzosen, Holländern usw. auftreten; dazu müssen neue Schiffahrtswege, unbekannte Meere und Küsten kartographisch aufgenommen werden. Führer der amerikanischen Expedition wird daher Leutnant Charles Wilkes, der seit 1830 in der Kartenabteilung der Marineverwaltung tätig ist. Zu ihren mannigfaltigen wissenschaftlichen Aufgaben gehören in erster Linie erdmagnetische Beobachtungen; Besuch der antarktischen Meere steht daher mit auf dem Programm. Näheres wird der Öffentlichkeit zunächst nicht verraten. Die geheime Dienstanweisung aber besagt: Leutnant Wilkes soll zwei Vorstösse in die Antarktis unternehmen, zunächst südöstlich von Kap Hoorn, zwischen 30 und 40° w. L., wo 1823 Weddell bis 74° 15′ offenes Wasser fand, soweit wie irgend möglich nach Süden gehen, aber dort nicht überwintern, sondern noch im selben Polarsommer auf 105° w. L. Cooks südlichsten Punkt (70° 15′) zu erreichen suchen, im nächsten Sommer aber das ganze australische Viertel des Südpolargebietes vom 160. bis zum 45. Grad ö. L., also bis zu dem von Biscoe gesichteten Enderbyland, genauer untersuchen. In diesem Viertel der Antarktis muss, nach den Berechnungen von Gauss und anderen Physikern, der magnetische Südpol liegen.

      Zur selben Zeit brütet der französische Marinekapitän Dumont d’Urville in Toulon über Landkarten und Reiseplänen. Er hat schon zweimal die Welt umsegelt und ist als Seemann und erstaunlich vielseitiger Gelehrter eine Autorität; Frankreichs naturhistorische und ethnographische Museen verdanken ihm unschätzbare Sammlungen; sogar die berühmte Venus von Milo stände nicht im Louvre zu Paris, wenn nicht 1819 der Schiffsfähnrich d’Urville auf einer Fahrt ins Schwarze Meer die eben ausgegrabene griechische Statue gesehen und den kostbaren Fund für Frankreich gesichert hätte; er hat sogar eine Untersuchung über die Ausgrabungen auf der Insel Melos geschrieben. Beim Ausbruch der Julirevolution 1830 ist d’Urville der erste Offizier, der sich dem neuen Ministerium zur Verfügung stellt; er führt das Schiff, das den gestürzten Bourbonen Karl X. nach England bringt und dort die Anerkennung der neuen Nationalflagge, der Trikolore, durchsetzt. Er hat seine Laufbahn unter Napoleon begonnen und stellt sich an die Spitze der Patrioten, die von England die Auslieferung der Leiche ihres Heros fordern. Dadurch verscherzt er sich die Gunst des Marineministers; nachdem er sein zwölfbändiges Werk über seine zweite Entdeckungsreise in die Südsee (1826—1829) beendet hat, wird er in die Hafenstadt Toulon abkommandiert und einstweilen kaltgestellt. Als Knabe las er die drei Weltreisen Cooks mit glühender Begeisterung, sie haben die Wahl seines Berufes entschieden, und gleich dem grossen Engländer möchte er sein Lebenswerk mit einer dritten Weltumsegelung abschliessen. Im Januar 1837 unterbreitet er den neuen Reiseplan dem Marineministerium und erhält wider Erwarten schon nach einigen Wochen die Zusage. Der „Bürgerkönig“ der Franzosen, den die Julirevolution auf den Thron brachte, Louis Philippe von Orléans, hat sich selbst mit dem Projekt beschäftigt; er hat die Robinsonade eines amerikanischen Walfängers namens Morrell gelesen, der 1823 südlich vom 70. Breitengrad das Meer weithin offen gesehen haben will; in derselben Gegend ist Weddell im selben Jahr noch weiter gekommen; da scheint demnach ein Zugang zum Südpol zu sein. Der König wünscht also, dass die neue Expedition ihre Entdeckungen mit einem Vorstoss nach Süden eröffnet und — von Kap Hoorn aus den Weg Weddells so weit verfolgt, wie die Eisverhältnisse das zulassen, ohne aber Schiffe und Mannschaft aufs Spiel zu setzen, denn die schönste Entdeckung wiege nicht das Leben eines Menschen auf. D’Urville ist von dieser Erweiterung seines Programms wenig erbaut, denn er leidet an Gicht; Schneestürme, Nebel und Eis sind dafür Gift. Ausserdem hält er Morrell für einen unverschämten Schwindler und auch Weddells Angaben zum mindesten für Übertreibungen oder irrtümliche Ortsbestimmungen, auf die, wie bei den meisten Wal- und Robbenfängern, kein Verlass sei. Das Marineministerium ist anderer Meinung: die Frage, ob Weddell nur zufällig Glück gehabt oder seinen Weg hinunter stets offenes Meer zu finden sei, bedürfe in jedem Fall der Klärung; da obendrein der englische Kapitän Foster 1829 im März die Bransfieldstrasse südlich der Süd-Shetland-Inseln weit und breit eisfrei gesehen habe, könne d’Urville bei dieser Gelegenheit auch noch untersuchen, ob das von Biscoe gesichtete Grahamland mit dem von Bellingshausen 1820 entdeckten Alexanderland zusammenhänge. Niemand ahnt, dass beide Routen, die Weddells und Biscoes, auch die ersten Ziele der amerikanischen Expedition sind! Die Wünsche des Königs und des Ministers sind natürlich Befehl. Die Neuheit und Grösse des Unternehmens, das Abenteuerliche und Wunderbare eines solchen Versuchs führen d’Urville über seine persönlichen Bedenken bald hinweg. Cook war bisher der einzige, der es wagte, eine Fahrt in die Tropen mit einer Durchquerung der antarktischen Zone zu verbinden, was die Ausrüstung der Schiffe sehr erschwert und an Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Mannschaft die äussersten Anforderungen stellt; sein Schüler wird also auch darin dem Meister nacheifern. Ohne erdmagnetische Messungen würde eine Expedition ihren wissenschaftlichen Charakter verlieren; sie können innerhalb der Polarzone nur das Ziel haben, aus der Abweichung der Magnetnadel die Lage des magnetischen Südpols zu berechnen.

      Während in Toulon mit grosser Eile zwei Schiffe vorbereitet werden, reist d’Urville nach England, um sich die neuesten Land- und Seekarten zu beschaffen und etwaige Neuigkeiten aus der Antarktis zu erfahren, deren die englischen Wal- und Robbenfänger stets mitzubringen pflegen. Von den englischen Marinebeamten wird er höflich, aber mit kühler Zurückhaltung empfangen. „Neue Kunde aus der Antarktis? Nicht dass wir wüssten!“ Auch über Biscoes Reisen erfährt er nur, was er aus dem amtlichen Bericht schon weiss. Die Engländer empfinden offenbar die Expedition Frankreichs als einen Einbruch in ihre Domäne. Ein Abend im Raleigh-Klub, der fast aus lauter Weltreisenden besteht, bestärkt diesen Eindruck. Über Morrell, den Amerikaner, zuckt man gleich d’Urville die Achseln; seine Zweifel an Weddells Glaubwürdigkeit aber erregen Befremden. „Weddell? Ein englischer Gentleman! Über jeden Verdacht erhaben!“ Dass überhaupt eine andere Nation die Wege Englands kreuzt, dass ein Franzose, den die englische Kolonialregierung schon in der Südsee ungern erscheinen

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