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von gestern zuschanden! Hier durchkommen zu wollen, wäre Wahnsinn — das sofortige sichere Ende der ganzen Expedition! Und hier will Weddell ohne jedes Hindernis heraufgesegelt sein? D’Urvilles Zweifel waren offenbar nur allzu berechtigt! Mit den drei anderen Fahrstrassen wird es nicht besser stehen! Gleichviel, sie müssen versucht werden.

      Die Schiffe folgen der Eiskante nach Osten. Bald ist auch hier der Weg verbaut. Zurück nach Norden! Um die Spitze einer weit vorspringenden Eishalbinsel herum öffnet sich wieder eine freie Bahn nach Süden. Es ist nur eine ungeheure, nach Westen offene Bucht, deren Eisküste sie in weitem Halbkreis wieder nach Norden führt. An ihrem östlichsten Punkt scheint die Eismasse in Auflösung begriffen; nicht weit von hier ist Weddell auf seiner ersten Fahrt nach Süden bis zum 65. Grad entlanggekommen. Wenn sich hier durchbrechen liesse! D’Urville wagt es als erster in der Geschichte der antarktischen Forschung, den Kampf mit dem Packeis aufzunehmen. Am 24. steuern die Schiffe in schmale Wasserarme hinein; 10 Kilometer weit tasten sie sich langsam vorwärts, dann poltern und drängen die Eisschollen gegen den Bug, die Wasserkanäle werden schmäler und schliessen sich so schnell, dass die Kapitäne kaum Zeit haben, zu wenden. Die Mannschaft ist durch die Manöver der letzten Tage so erschöpft, dass der Kommandant sich entschliessen muss, in einem Wasserbecken, das er noch eben erreicht, im Schutz von drei hohen Eisbergen einige Stunden beizulegen, auf die Gefahr hin, rettungslos eingeschlossen zu werden. Das Glück ist ihm günstig: am frühen Morgen des 25. befreit ein kräftiger Ostwind, der das Eis auseinandertreibt, die Schiffe aus ihrem Gefängnis. Bei Sonnenaufgang schwimmen sie wie in den Strassen einer zerfallenen Marmorstadt mit weissen Palästen, Kirchen, Turmspitzen, Säulenhallen und Brücken; wo die Sonnenstrahlen auf die blinkenden Wände fallen, spiegeln sie sich in Tausenden von Fenstern blutrot wider. Eine tote, schweigende Stadt, über deren Zinnen geräuschlos auf ihren weiten weissen Schwingen Eisvögel dahinsegeln; nur das dumpfe Blasen einiger Walfische unterbricht hin und wieder die unirdische Stille.

      Zurück nach Westen! Aber auch dort starrt jetzt den Schiffen ein festes Eisfeld entgegen. Von allen Seiten bedroht, macht d’Urville einen zweiten Durchbruchsversuch, diesmal nach Norden; nach einstündigem Kampf findet er eine Fahrstrasse zwischen zwei Eisfeldern, die sich manchmal gefährlich einander nähern, aber schliesslich weit auseinandergehen. Am 27. erreicht er glücklich die Orkney-Inseln; drei Tage kreuzt er vor ihrer Nordküste, um einen Hafen zu suchen, wo sich die Mannschaft erholen soll; meilenweite Eisbänke haben alle Zugänge gesperrt, und ein schwerer Sturm zwingt ihn, schleunigst weiter nach Norden hin die hohe See zu gewinnen. Die Gicht quält ihn so, dass er einen Tag das Steuer abgeben muss; von der Mannschaft sind drei Leute krank.

      Noch sind zwei Fahrstrecken Weddells weiter im Osten zu untersuchen. Offiziere und Mannschaft werden ja bezeugen müssen, dass schlechterdings nirgends ein Durchbruch nach Süden möglich war. Am 3. Februar kreuzen die Schiffe auf 55° 34′ s. Br. und 43° 32′ w. L. den dritten Weg; am selben Tag vor fünfzehn Jahren ist Weddell hier vom 65. Grad her zurückgekehrt. Und wieder dehnt sich hier offenes Meer bis zum südlichen Horizont! Auch am 4. weit und breit kein Eis! Die Matrosen jubeln: diesmal muss es gelingen! Aber ihr Führer hat alle Hoffnung aufgegeben. „Die Matrosen fürchten sogar, ich möge nicht weit genug vordringen“, schreibt er in sein Tagebuch; „sie dürfen ruhig sein, denn wenn ich umkehre, wird keiner mehr Lust haben, den Weg fortzusetzen.“

      Noch am Abend des 4. ertönt wieder der Ruf der Wache: „Eisfeld in Süd!“ Es ist die Fortsetzung der schon gesehenen Eismauer, die sich immer weiter nach Osten hin erstreckt — d’Urville fährt darauf zu. Bald zeigt sich zur Linken ebenfalls eine Eismauer. Gerät er wieder in eine Sackgasse? Am liebsten kehrte er um, aber er fürchtet den üblen Eindruck auf die Mannschaft, die überzeugt ist: hier werde sich ein Durchgang finden. In gewissen Lagen, meint er, müsse der Führer seine eigene Meinung dem allgemeinen Wunsch opfern, selbst auf die Gefahr hin, sich ins Unglück zu stürzen. Zum drittenmal steuern die Schiffe in das wogende Packeis hinein, das hier von Robben belebt ist, die wie ungeheure Blutegel auf den Schollen liegen. Eine Weile geht es gut, aber die Eissägen am Scheg der beiden Schiffe werden abgerissen. Dichter Schneefall macht alle Bewegung unmöglich. D’Urville lässt die Schiffe an einem Eisberg festmachen, ein waghalsiger Versuch, den bisher noch kein Seefahrer hier unten gemacht hat. Die Tollkühnheit begeistert Offiziere und Matrosen. Dem Kommandanten aber ist dabei nicht wohl zumute. In der Nacht weckt ihn ein Poltern und Stossen gegen die Schiffswände, es kracht, als ob die Planken abrissen! Er stürzt auf Deck: der Wind ist umgesprungen, der „Astrolabe“ ist abgetrieben, das ganze Eis in Bewegung, die „Zelée“ ebenfalls wehrlos in seiner Gewalt. Eis ringsum, nur im Norden blinzelt hinter einem breiten Eisgürtel ein bläulich-schwarzer Streifen offenen Meeres. Dort allein ist Rettung! Jetzt beginnt ein Kampf ums Leben. „Astrolabe“ dringt wie ein Sturmbock nach Norden vor, ein paar Schiffslängen bricht er sich Bahn, dann steht er unbeweglich. Die Matrosen klettern aufs Eis hinunter, verankern eine Strecke vor seinem Bug die stärksten Taue an schweren Eisblöcken und ziehen so das Schiff langsam, unsagbar mühsam, vorwärts. Die „Zelée“ macht den gleichen Versuch. Es wimmelt hier von Robben, und der Jagdeifer macht trotz der drohenden Gefahr die Mannschaft halb verrückt. D’Urville kommandiert eine kleine Jagdabteilung ab, um wenigstens einige dieser Tiere für seine Sammlung zu erbeuten. Da sie sich gegen seinen Befehl vom Schiff entfernte und mit einem Boot geholt werden muss, darf keiner mehr das Deck verlassen. Auf der „Zelée“ derselbe Vorgang: ihr Boot mit etlichen Robbenjägern muss über die Eisschollen zum Schiff zurückgeschleppt werden; sie kommen halb tot, mit blutenden Händen, an Bord. Als sich beide Schiffe bis auf ein paar hundert Meter ans offene Wasser herangearbeitet haben, treibt ein plötzlicher Nordsturm sie wieder ins Eis zurück. Sie drehen und wenden sich hierhin, dorthin — kein Ausweg. Am nächsten Tag wird der Versuch, nach Norden durchzubrechen, wiederholt. In zehn Stunden rücken sie keine zwei Kilometer vor. Ein Mann geht auf Kundschaft drei Kilometer übers Eis; was er berichtet, ist niederschmetternd: das offene Wasser ist heute viel weiter entfernt als gestern, und am Rande des Eisfeldes ist eine Brandung, dass die Schiffe durch dieses Chaos unmöglich durchkommen. Ohne rettenden Wind ist die Expedition zum Untergang verurteilt, denn zu einer Überwinterung ist sie nicht ausgerüstet. Am Abend des 6. Februar wird d’Urville aus dem ersten Schlaf geweckt: ein Südwind hat das Eis gelockert und treibt die Schiffe langsam nach Norden! Der Kommandant will sofort unter Segel gehen, aber die Leute fürchten die Nachtfahrt, und er lässt sich von den Offizieren bestimmen, bis Tagesanbruch zu warten. Ein unseliger Entschluss! Um 3 Uhr wird geweckt. „Wie steht es mit dem Eis?“ ist d’Urvilles erste Frage an den wachthabenden Offizier. — „Wie gestern abend!“ Der Steuermann bestätigt die Nachricht. Der Wind ist um Mitternacht nach Norden umgesprungen, das Eis fester zusammengekeilt als gestern! Jetzt erfassen auch die Matrosen, dass sie durch ihren Nachtschlaf vielleicht ihr Leben verspielt haben. Das einzige, was sich tun lässt, ist, Schiff und vor allem Steuerruder gegen den Anprall der Eisschollen zu schützen. So vergeht der 7., der 8. Februar. Am Morgen des 9. weht ein leichter Wind aus Südost; die Schiffe machen sich sofort segelfertig. Zum drittenmal beginnt die mörderische Arbeit des Taueverankerns und Ziehens. Der Wind unterstützt sie. Am Nachmittag ist das offene Meer kaum mehr 600 Meter weit. Das Eis beginnt sich zu lockern, der Südwind frischt auf. „Taue einziehen! Alle Mann an Bord!“ Der „Astrolabe“ beginnt sich wieder zu bewegen, der Wind bläht die Segel. Der Kommandant atmet auf. Plötzlich Geschrei an Bord und verzweifeltes Rufen von draussen! Ein Mann ist noch auf dem Eis zurückgeblieben! Er rennt und springt über die Schollen, über Wasserrinnen, muss Umwege machen, stürzt, rafft sich wieder auf — niemand kann ihm helfen! Wenn er’s nicht schafft, ist er verloren — der Wind treibt das Schiff trotz aller Gegenbemühungen vorwärts —, und wenn es erst im freien Wasser ist, kann es nicht zurückkehren und noch einmal das Schicksal aller Kameraden aufs Spiel setzen! Die „Zelée“ ist weit entfernt und kann ihn ebensowenig retten. Furchtbare Augenblicke! Die Todesangst ist ein starker Motor. Der Unglückliche ist endlich so nahe heran, dass man ihm ein Tau zuwerfen und ihn heraufhissen kann. Er ist mehr tot als lebendig und ein volles Jahr lang ein kranker Mann. Wenige Stunden später sind die Schiffe aus dem Eis heraus und wieder Herr ihrer Bewegungen. Einen Teil ihres Kupferpanzers hat das Packeis weggerissen. Sonst aber sind sie noch völlig seetüchtig, und in einen Kampf mit dem Packeis wird ihr Kommandant sie nicht noch einmal führen.

      Skorbut an Bord!

      Noch ist die

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