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gebessert hat, bereitet schon ein Fest vor zur Überschreitung des Polarkreises, der nur noch ½ Grad entfernt ist. Aber bis dahin soll die Expedition nun einmal nicht kommen. Am Morgen des 20. zählt d’Urville 72 Eisberge ringsum, obgleich sich infolge Windstille die Schiffe über Nacht kaum von der Stelle bewegt haben, und diese Eismassen sind merkwürdig zerfallen; Bäche rieseln und stürzen von den ausgehöhlten Wänden wie Kaskaden ins Meer. Im Süden aber steht immer noch das gestern gesichtete Land, vom Strahl der hellen Morgensonne beleuchtet; es erstreckt sich von Osten nach Westen, ist ganz mit Schnee bedeckt und fällt gegen das Meer langsam ab; nirgends zeigt es einen Gipfel, nicht einmal einen dunklen Punkt, wo Felsen zutage treten, aber an seiner Existenz zweifelt heute niemand mehr. Obendrein meldet jetzt auch Kapitän Jacquinot, dass man auf der „Zelée“ seit gestern schon Land beobachte. Jetzt mögen die Matrosen feiern! Zwar nicht die Erreichung des Polarkreises, aber die Entdeckung eines unbekannten Erdstrichs in der Antarktis. Wenn nur endlich die Windstille vorüber wäre! Am 21. erst bringt eine leichte Brise die Schiffe näher heran; sie steuern zum zweitenmal durch enge Kanäle wie durch die Strassen einer Riesenstadt, von deren Marmorwänden die Kommandorufe eigentümlich hohl wiederklingen, und sehen plötzlich wieder offenes Wasser vor sich, das zwischen der Reihe schwimmender Eisberge, durch die sie sich glücklich durchgeschlängelt haben, und der Küste wie ein breiter Kanal nach Westen führt. Das Festland liegt nun mit aller Klarheit vor ihnen, eine einförmige, bis zu 1200 Meter ansteigende Ebene, ohne Bergrücken und Gipfel. Hier und da zeigt sich so etwas wie Dünen am Meeresstrand, es sind vom Schmelzwasser ausgehöhlte Schluchten; den Strand aber bildet eine hohe, schroffe Eiswand, die jede Landung unmöglich macht; davor liegt, wie eine drohende Postenkette, obendrein eine Masse kleiner und grosser Eisberge, die anscheinend noch festen Boden unter den Füssen haben, und nur darauf warten, von Strömung und Wind nach Norden getrieben zu werden.

      Durch diese Fahrgasse steuert nun d’Urville nach Westen, um einige Vorgebirge herum und in Buchten hinein, rechts stets den gefährlichen Wall schwimmender Eisberge, links den Eisfuss der Küste. Dumoulin und seine Mitarbeiter haben ihre Instrumente zur Hand und suchen ungeduldig nach einem festen Punkt, auf dem sich, ungestört durch die schaukelnde Schiffsbewegung, zuverlässigere Ortsbestimmungen und magnetische Messungen machen lassen. Endlich sehen sie am Fuss eines der Küsteneisberge eine kleine Plattform, auf der sie arbeiten können. Sofort springen sie in ein Boot und rudern hinüber. Unterdes liegen die Schiffe mit aufgebrassten, dem Wind parallel gestellten Segeln einigermassen ruhig. Jetzt kann auch der Mann im Mastkorb mit seinem Fernrohr genauer Umschau halten, und er entdeckt nach Westen hin, etwa 12 Kilometer entfernt, mehrere schwarze und braune Flecken, die sich von der Weisse des Schnees ringsum deutlich abheben! Das müssen Felsen sein, eine — nein, mehrere kleine Inseln — denn hinter dem ersten Felskopf tauchen noch andere auf. Sofort wird ein zweites Boot klargemacht, und von der „Zelée“, wo man auf dieselbe Erscheinung aufmerksam geworden ist, stösst ebenfalls ein Boot dahin ab. Nach angestrengtem zweieinhalbstündigem Rudern landen beide fast in derselben Minute an einer wirklichen Felseninsel. Die Männer springen, mit Hacken und Hämmern bewaffnet, durch die gefährliche Brandung an Land, klettern die Abhänge hinauf, werfen die Pinguine, die jede Handbreit ebenen Bodens besetzt halten und über den gewalttätigen Besuch sehr entrüstet sind, einfach hinunter und pflanzen auf dem Gipfel die französische Flagge auf zum Zeichen der Besitznahme dieser Inseln und des benachbarten Festlandes. Eine Flasche alten Rotspons zur Feier der denkwürdigen Handlung ist auch zur Stelle. Dann wird in Eile eine Menge Gesteinproben von dieser neuen französischen Provinz in der Antarktis gesammelt, und schleunigst geht es mit dem kostbaren Ballast wieder hinunter in die Boote. Gegen Mitternacht sind alle Mann wieder an Bord, und nun ist der Jubel gross. Was d’Urville kaum noch zu hoffen wagte, ist gelungen, auf dieser bisher völlig unerforschten Strecke des Polarmeeres, auf 66° 30′ s. Br. und 140° 12′ ö. L. ist ein erster, unbestreitbar fester Punkt für die geographische Forschung gewonnen! Der Fundort der Gesteinproben, die unwiderlegliche Beweise sind, wird Geologiespitze getauft, die Küste dahinter „Adélie-Land“ und sein schon am 19. Januar gesichtetes Vorgebirge aus 140° 40′ ö. L. Kap der Entdeckung. Die zweite Fahrt nach Süden, zu der die Instruktion den Kommandanten nicht ermächtigte, hat sich gelohnt, sie wird den geringen Erfolg der ersten wettmachen.

      Die neugefundene Küste verfolgt d’Urville noch zwei Tage nach Westen. Dann legt sich ihm undurchdringliches Eis in den Weg, das eine unübersehbare Schranke nach Norden hin bildet. Er gerät in eine Eisbucht, in der der Ostwind ihn festzuhalten droht. Die Sonne ist verschwunden, der Schnee fällt so dicht, dass kaum 100 Meter weit zu sehen ist. Kompass und andere Instrumente sind durch die Nähe des magnetischen Südpols völlig in Verwirrung geraten. Der Wind wird zum Sturm, die „Zelée“ ist verschwunden, und zwei Tage kämpfen beide Schiffe einen verzweifelten Kampf, um nicht gegen die drohende Eisbarriere im Westen geworfen zu werden. Das grosse Segel des „Astrolabe“ zerreisst in Fetzen, bei dem Hinundherlavieren neigt sich das Schiff oft so tief zur Seite, dass die Batterie leewärts fast ganz unter Wasser steht; die Matrosen können sich kaum auf dem vereisten Verdeck halten. D’Urville sieht den Untergang der ganzen Expedition vor Augen und schliesst mit seinem Leben ab; der Erfolg hätte seine zweite Polarfahrt gerechtfertigt, das Unglück wird ihn zum Verbrecher machen!

      Am 25. endlich legt sich der Sturm, es klärt sich auf, und auch die „Zelée“ findet sich mit stark beschädigtem Segelwerk wieder ein. Der Orkan hat sogar das Eisfeld einige Meilen weiter nach Westen zurückgedrängt. Dass beide Schiffe ihn überstanden haben, ist ein Wunder und macht neuen Mut. D’Urville kehrt also nach Osten zurück und versucht zwei Tage lang, nochmals an die Küste heranzukommen. Am 26. sind die Schiffe mitten unter denselben Eisbergen, die sie am 20. durchquerten. Am 27. zwingt ihn neuer Oststurm, nach Norden abzubiegen; er wendet dann wieder nach Westen, muss fast bis zum 64. Grad hinausgehen, um das sich verschiebende Eisfeld zu umfahren, steuert nochmals nach Süden und sichtet am Mittag des 30. Januar auf 64° 35′ s. Br. und 134° ö. L. eine neue ungeheure Eiswand, die der des Adélie-Landes völlig gleicht und hinter der er ebenfalls Land vermutet. Er nennt sie Clarie-Küste und verfolgt sie bis 131° ö. L., wo sie nach Süden abzubiegen scheint. Er ist zu der Überzeugung gekommen, dass ein grosses Festland den Hauptteil der Antarktis innerhalb des Polarkreises einnimmt, und obgleich es möglich erscheint, noch weiter nach Westen vorzudringen, sieht er seine Aufgabe für gelöst an. Er kann es nicht verantworten, Schiffe und Mannschaft noch weiter aufs Spiel zu setzen; die Erlebnisse vom 23. bis 25. Januar, der furchtbarste Sturm, den die Expedition je bestanden hat, sind eine Lehre gewesen. Aus 65° 20′ s. Br. und 131° ö. L. geht er nun endgültig nach Norden, in grossem Bogen nach Hobart zurück, holt dort die Kranken ab, besucht noch die Auckland-Inseln und Neuguinea, fährt durch die Torresstrasse an der Nordspitze Australiens in den Stillen Ozean und dann ums Kap der Guten Hoffnung und über St. Helena nach Frankreich zurück; am Abend des 6. November 1840 landet die Expedition wieder im Hafen von Toulon.

      Am 29. Januar, einen Tag vor Entdeckung der Clarie-Küste, hat d’Urville noch ein Erlebnis, das zum Vorspiel eines Nachspiels seiner Polarfahrt werden soll. Als sich nachmittags gegen 4 Uhr der Nebel verzieht, der seit dem Morgen geherrscht hat, signalisiert die Wache plötzlich ein fremdes Schiff, das mit vollen Segeln hinter den Franzosen herkommt und schon bald in Sprechweite ist. Alles stürzt auf Deck: wer kann denn das sein? Es ist ein Kriegsschiff, und an seinem Topp flattert das Sternenbanner! Also eines der Schiffe der amerikanischen Expedition! D’Urville lässt sofort die französische Flagge hissen und befiehlt, den überraschenden Besuch, sobald er nahe heran ist, mit Salut zu begrüssen. Da aber der Amerikaner schneller segelt als der „Astrolabe“, lässt d’Urville schleunigst Segel zusetzen, um eine Weile mit ihm Schritt halten und ein ausführliches Gespräch führen zu können, denn es liegt ihm sehr daran, dem Nebenbuhler, der ihm also wirklich hier unten ins Gehege gekommen ist, seine Entdeckungen sofort genau mitzuteilen, damit ein späterer Prioritätsstreit, wie er bei gleichem Ziel leicht entstehen kann, vermieden wird. Dem Amerikaner aber scheint plötzlich die Begegnung mit den Franzosen peinlich zu sein — er biegt scharf nach Süden ab und segelt spornstreichs davon! Was kann denn diese Unhöflichkeit bedeuten? Zwischen gesitteten Nationen, die nicht miteinander auf Kriegsfuss stehen, ist sie durchaus nicht üblich.

      Der antarktische Kontinent

      Der Kommandant der amerikanischen Expedition, Leutnant Wilkes, hat alle Ursache, mit seiner Instruktion zufrieden

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