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es möglich, Olga so sehr zu lieben und eine andere zu küssen? Schnitzler versuchte sich abzulenken, holte sich, was er von Olga nicht in ausreichendem Maße bekommen konnte, um besser mit seinem Liebesleid umgehen zu können und sich seiner Männlichkeit zu vergewissern.

      In Gesellschaft von Dora Kohnberger fährt er am Dienstag, dem 3. August, abends mit der Bahn nach Reichenau und erfährt von ihr, was sich in den zwei Tagen seiner Abwesenheit abgespielt hat:

      Nachdem Schnitzler am Montag früh zu seinem Spitalsdienst abgefahren ist, bemerkt Charles bei einem Blick ins Reservierungsbuch, dass der verhasste Eindringling ab dem nächsten Abend ein Zimmer für längeren Aufenthalt bestellt hat. Er gerät in Wut, nennt Schnitzler einen Menschen, der mit seinem Klavierspiel den Weibern den Kopf verdrehe, und verlangt von seiner Frau, dass sie ihm sofort abtelegrafiert. Olga ist zutiefst verzweifelt und denkt darüber nach, ob es nicht besser sei, sich das Leben zu nehmen, als diese Szenen ihres Mannes weiter ertragen zu müssen. Nimmt sie, ohne weiter nachzudenken, etwas von dem Morphium, das sich in ihrer Hausapotheke befindet, oder ist sie sich dessen bewusst, dass die eingenommene Dosis nicht ausreichen wird, sie zu töten? Will sie ihrem Mann nur einen gehörigen Schreck versetzen, weil sie weiß, dass er sie nicht verlieren will? Will sie einfach Ruhe haben, tief schlafen und nicht mehr an ihre Probleme denken müssen? Schnitzler hält es für Kalkül, aber es zeitigt beim Ehemann die richtige Wirkung. Er findet seine bewusstlose Frau, ruft sofort den Arzt und fühlt sich schuldig.

      Dora Kohnberger, die sich als Hüterin und Vertraute der Liebenden sieht, redet Charles ins Gewissen und macht ihm klar, dass von Schnitzler keine Gefahr drohe und er seiner Gattin vertrauen könne. Sie kann den Mann einigermaßen zur Vernunft bringen, sodass Schnitzlers weiterem Aufenthalt am Thalhof fürs Erste nichts im Wege steht. Am Abend seiner Ankunft tritt Charles sogar an seinen Tisch und begrüßt ihn mit aufgesetzter Höflichkeit.

      »Auch der nächste Tag hob unter den günstigsten Zeichen an. Schon des Morgens, freilich ganz flüchtig, sprach ich die Geliebte, Gerettete, die durch ihren Selbstmordversuch, ob er nun ernst gemeint gewesen war oder nicht, für eine Weile die Oberhand gewonnen und mir so mit heiterer Unbefangenheit entgegentreten konnte. Am Nachmittag trafen wir uns auf neutralem Boden, in Frau Doras Salon, und ich erhielt von Olga ein kleines Medaillon mit einem vierblättrigen Kleeblatt, das sie selbst gepflückt hatte.« Anschließend gehen die beiden in Begleitung der Anstandsdame Dora Kohnberger und Marie Engländer, der Cousine von Peter Altenberg, spazieren. Die beiden Damen halten einen rücksichtsvollen Abstand ein und so haben Olga und Arthur Gelegenheit, ungestört zu plaudern. Sie schwelgen in Meraner Erinnerungen und Olga erzählt ihm ehrlich von den Vorfällen der letzten Tage. Bedingt durch seine Neigung, in der Liebe auch immer leiden zu wollen, und aus schlechtem Gewissen vermutet Arthur, dass es zwischen den Ehepartnern zu einer Versöhnung gekommen sein muss und diese als keine größere Treulosigkeit angesehen werden kann als seine nächtlichen Küsse in Baden mit Gisela Adler. Schnell verwirft er diese Gedanken wieder und genießt glückselig den Spaziergang mit Olga. Zum Hotel zurückgekehrt, verfliegt seine gute Laune jedoch wieder, als Gustav Pick mit seinen beiden Söhnen Alfred, einem Gerichtsadjunkten, und Rudi anreist. Rudis sportlich schlanker Körper – Schnitzler hat zeitlebens mit seinem Gewicht zu kämpfen –, seine Eleganz und Heiterkeit machen Schnitzler neidisch und eifersüchtig.

      Noch am selben Abend begleitet man Alfred Pick zur Bahn nach Payerbach. »Auf dem dunkeln Perron schwebte die ganze Gesellschaft hin und her, und Olga hatte sogar die Kühnheit, mit mir Arm in Arm auf und ab zu spazieren. ›Was war das heute für ein glücklicher Tag, Arthur‹, sagte sie; worauf ich sie unverzüglich wegen Rudi zur Rede stellte. Sie schüttelte den Kopf, gekränkt, aber gütig. Es war nämlich kein Wort wahr. Wie mir nur so etwas einfallen könnte, und ob ich denn nicht wüßte, daß sie niemanden geliebt habe als mich? ›Wenn wir nur immer so weiterwandern könnten‹, sagte ich, als wir vom Perron aus auf der Bahnstrecke weiter ins Dunkel schritten, ohne uns um die andern zu kümmern. Und sie: ›Warum reden Sie von einem solchen Glück, das uns ja doch niemals werden kann.‹«

      Als die Gesellschaft unter einem klaren Nachthimmel mit dem hoteleigenen Pferdewagen zurückfährt, fühlt sich Arthur als Sieger. Über Olgas pessimistischen Ausspruch denkt er an diesem Abend nicht weiter nach. Der Tag war insgesamt zu schön, um sich die Hoffnung auf die Verwirklichung seiner Liebe rauben zu lassen. Olga hingegen ist sich immer bewusst, dass diese Liebe unerfüllt bleiben muss, will aber wenigstens den leisen Hauch eines möglichen Glücks genießen.

      Zwei Tage später trifft man sich wieder im bequemen Salon der Hausfrau zum schwarzen Kaffee. Während Gustav Pick Schnurren aus seinem Leben erzählt, denen alle andächtig lauschen, findet Olga Gelegenheit, Arthur ein rotgebundenes Buch von Paul Heyse zu übergeben. Der 1830 in Berlin geborene und später in München lebende Heyse war zu seiner Zeit einer der beliebtesten Schriftsteller und Dichter und zugleich der erste deutschsprachige Autor, der 1910 den Literaturnobelpreis verliehen bekam. Er verfasste 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Während der Kuren, die Heyses erste Frau in Meran genoss, entstanden seine Meraner Novellen, die Schnitzler nun in Händen hält. Eine von ihnen, mit dem Titel Gute Kameraden, weist viele Parallelen zur Beziehung von Olga und Arthur auf. Olga hat einige Stellen mehrmals unterstrichen, die ihm noch lange schmerzlich und zugleich beseligend im Sinn haften bleiben sollten: »O Schwesterherz, was ich ihm für weise Dinge gesagt habe, an die ich selbst nicht glaubte, was für rechtschaffene Gemeinplätze, während das arme gequälte Herz in mir stöhnte und schrie und alle diese tapferen Sprüche Lügen strafte.« – »Er war so liebenswürdig. Warum darf ich ihn nicht lieben? So unglücklich. Warum darf ich ihn nicht glücklich machen?« – »Ich habe dann meine heißgeweinten Augen an den Blumen gekühlt, die sind nun alles, was ich von ihm bewahren darf.« Diese Textstellen machen Arthur bewusst, dass er in Meran in Olgas Wunsch einer guten Kameradschaft eingewilligt hat, weil sie nicht mehr verbinden kann und darf. Kann sie das ernst gemeint haben, wenn sie ihm solche Blicke schenkt und ihm gesteht, dass sie nur ihn liebe? Schnitzler ist verwirrt, denkt aber nicht daran, aufzugeben.

      Am darauffolgenden Nachmittag genießen Arthur und Olga beim Promenadenkonzert zumindest die Nähe des Zusammensitzens und am Abend tanzen sie beim Hausball, der zum Höhepunkt der Sommersaison im großen Speisesaal stattfindet, sogar eine Quadrille. Arthur, der sich mehr von diesem Abend erhofft hat, trinkt zu viel und begegnet Olga am nächsten Morgen verkatert und übellaunig. So hat sie ihn noch nie erlebt und zieht sich erschrocken zurück. Bei einem kurzen Gespräch am Nachmittag stellt sie ihn zur Rede und gesteht ihm, dass es die unglücklichste Stunde ihres Lebens gewesen sei, ihn so verstimmt zu sehen. Seinem Tagebuch vertraut Schnitzler ein paar Tage später dazu an: »Nach dem Souper saßen wir lang beisammen. In jedes ihrer Worte wußte sie etwas von ihren Gefühlen für mich hineinzulegen – sie war unermeßlich lieb – Am Morgen darauf mußt ich weg – Ists denn möglich, daß Sie fortgehn, fragte sie – ich kanns nicht glauben – es ist schrecklich –!«

      In seinen Erinnerungen gesteht sich Schnitzler ein, dass die Seele ein recht weites Land sei, als er vermerkt, dass er gleich am ersten Abend, nachdem er den Thalhof verlassen hatte, wieder zur Familie Adler nach Baden fuhr, wo er mit den Töchtern Gisela und der noch hübscheren Emma erneut Zärtlichkeiten im Park austauschte. Immerhin war er seinem Tagebuch gegenüber ehrlich, auch wenn er sich selbst und sein stark ausgeprägtes Triebleben, das nach Befriedigung sucht, nicht versteht.

      Am Folgeabend besuchte Schnitzler seine Eltern, die sich bei Familie Mandl in Vöslau aufhielten, bevor er am Mittwoch, dem 11. August, abends wieder am Thalhof eintraf. Lange plaudert er mit Olga und Dora Kohnberger auf der Terrasse und jedes Mal, wenn der misstrauische Charles Waissnix herumspioniert, flirtet Schnitzler ostentativ mit Dora.

      Der nächste Tag ist regnerisch und schlägt Olga aufs Gemüt, weil er sie an den Abschiedsmorgen in Meran erinnert. Als bei Tisch jemand von einem Mädchen erzählt, dem Schnitzler im Winter des Vorjahres den Hof gemacht und mit dem man von einem Verlöbnis gemunkelt hat, wird sie sehr blass und beißt sich aus Eifersucht – wie sie Arthur später gesteht – so fest auf die Lippen, dass Blutströpfchen hervorquellen. Zu der eingeschworenen Gesellschaft, die die unsündige Liebe der beiden beschützt, hat sich inzwischen eine junge, hübsche Engländerin, Eveline, gesellt, die es durch Heirat mit dem Sohn der einflussreichen jüdischen Familie Brandeis-Weikersheim nach Wien verschlagen hat.

      Am

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