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wo dieselbe nach ihrem reizenden Domicil ›Thalhof‹ in Reichenau zurückkehrt.«

      Amors Pfeil hat den jungen Lebemann Schnitzler mit voller Wucht getroffen und am Ende der sehnsuchtsvollen Gedanken, die er am 27. April 1886 seinem Tagebuch anvertraut, finden sich die abschließenden Worte: »Nein, in der That! Ich hätte es nie und nimmer möglich gehalten, daß ein Gefühl von solcher Stärke je noch in mein Herz Einzug halten könnte –«

      Kein Tag vergeht, an dem er nicht an Olga und die Tage in Meran denkt. Da ein Wiedersehen vor dem Herbst wegen des gegebenen Versprechens nicht möglich ist und der Briefwechsel der beiden noch nicht begonnen hat, lebt der Verliebte in ständiger Hoffnung auf eine Zufallsbegegnung in Wien. Am 29. Mai 1886, beim ersten von Fürstin Pauline Metternich ins Leben gerufenen Blumenkorso im Prater, ist es endlich so weit.

      Die Entstehung des Blumenkorso ging auf die seit Mitte des 19. Jahrhunderts alljährlich am 1. Mai, als Begrüßung des Frühlings stattfindenden kaiserlich-königlichen Praterfahrten zurück, die zu einem der wichtigsten inoffiziellen Feste für das Kaiserhaus, den Hoch- und Kleinadel und das Volk gehörten. Die Mitglieder des Kaiserhauses fuhren in den Kaisergarten, der linker Hand vom Eingang in den Prater gelegen und abgeschlossen war. Dort befand sich ein Pavillon, in dem der Kaiser um drei Uhr nachmittags ein Galadiner, und zwar ausschließlich für die Mitglieder des Kaiserhauses und etwaige Gäste aus regierenden Häusern, gab. 1890 wurde diese kaiserliche Ausfahrt durch den Aufmarsch zum 1. Mai der neuen Arbeiterbewegung ersetzt.

      Pauline Metternich, sowohl Enkelin als auch Schwiegertochter von Klemens Metternich, hatte im Jänner 1886 das Präsidium des Damenkomitees der neu gegründeten Poliklinik und verbunden damit die Verpflichtung übernommen, größere Geldsummen in Form von Spenden aufzutreiben. Die von ihr seit Jahren veranstalteten Wohltätigkeitsbälle und Theatervorstellungen innerhalb der Hocharistokratie und des Geldadels waren finanziell nicht ergiebig genug. So kam sie auf die Idee, ein Massenfest für die gesamte Bevölkerung zu veranstalten, bei dem jedem Wiener gegen Eintritt etwas geboten werden sollte. Vorbild hierbei war der Fürstin die seit 1876 in Nizza stattfindende »Bataille de Fleurs« (Blumenschlacht), die sie nun in der Prater Hauptallee veranstalten wollte. Das Fest sollte zwei Tage, vom 29. bis zum 30. Mai 1886, dauern. Der Eintrittspreis wurde für Fußgänger mit 20 Kreuzer, für die geschmückten Wagen mit fünf Gulden festgesetzt. Der Andrang um Eintrittskarten im Palais Schwarzenberg, wo das Festkomitee seinen Sitz hatte, war ungeheuer groß.

      Eine wahre Völkerwanderung zog am Samstagnachmittag in den Prater, um diesen ersten Blumenkorso zu sehen. Entlang der Hauptallee waren Blumenbuden aufgebaut, in welchen gefüllte Blumenkörbe und Wurfbuketts für die Blumenschlacht von jungen Komiteedamen verkauft wurden. Die Restaurants und Schaubuden in der Ausstellungsstraße und den Nebenalleen waren mit Fahnen und Blumengirlanden geschmückt. Unter den Praterbäumen konnte man in Buschenschanken einkehren. Um 14 Uhr begannen die Musikkapellen zu spielen, um 15 Uhr erschienen in einer Hofequipage Kronprinz Rudolf und Kronprinzessin Stephanie, denen Mitglieder des Kaiserhauses und des Hochadels folgten. Die Wagen waren mit Blumen in den Wappenfarben, die Damen ebenfalls mit allerlei frischen Blüten reich geschmückt. Neben den Wagen des niederen Adels, der Finanz- und Wirtschaftsmagnaten und des Großbürgertums waren auch die Wiener Fiaker zu finden, die sich im Blumenschmuck präsentieren wollten. So zog sich von der Oper über den Praterstern bis zum Lusthaus eine imposante Wagenreihe, die einer endlosen duftenden Blumengirlande glich. Dazwischen ritten junge Komiteeherren auf ebenfalls geschmückten Pferden, um für Ordnung zu sorgen. Die Wageninsassen warfen sich gegenseitig Blumenbuketts zu, auch zwischen den Wagen und den Zuschauern wurden Blumengrüße gewechselt. Die Blumenschlacht war in vollem Gange, Hunderte duftende Buketts und Blumen flogen durch die Luft.

      Der zweite Tag entwickelte sich zum riesigen Volksfest mit Musik, Tanz, Gesang und Feuerwerken im gesamten Volks- und Wurstelprater. Um zehn Uhr begannen die Festlichkeiten am Trabrennplatz mit Trab- und Einspänner- sowie Radrennen. Erst in den späten Abendstunden zog die Menge unter Musikklängen und Lampions schwingend wieder aus dem Prater.

      Das Fest war ein voller Erfolg. 267 973 Karten wurden verkauft, was mehr als einem Viertel der damaligen Wiener Bevölkerung entsprach, 2790 blumengeschmückte Wagen hatten sich angemeldet und man hatte mehr als 100 000 Gulden eingenommen.

      An jenem ersten Tag des Blumenkorsos, dem 29. Mai 1886, hofft Schnitzler seiner Angebeteten ansichtig zu werden. Mit seinen Eltern und Geschwistern in einer Blumenkutsche sitzend, erblickt er im duftgeschwängerten Gedränge den geschmückten Wagen, in dem Olga mit ihrer Schwester Gabriele sitzt und Blumen wirft. Sie sieht Arthur nicht, der daraufhin aus der Kutsche seiner Familie springt und dem Zug der Wagen entgegenläuft, um auf sich aufmerksam zu machen. Am Wegesrand hält er inne und es überfällt ihn eine plötzliche Angst vor dem ersten Wiedersehen nach den himmlischen Meraner Tagen. Gabriele hat Arthur entdeckt und macht ihre Schwester auf ihn aufmerksam. Olga dreht sich nach ihm um und errötet tief bei seinem Anblick. Sie winkt ihn hastig in ihre Nähe. Über eine Wagenreihe hinweg wirft er ihr eine Blume in den Schoß. Die gelbe Rose, die sie ihm zuwirft, flattert vor seine Füße. Mit brennenden Herzen nicken sie einander dankend zu und Arthur folgt dem Wagen noch so lange, bis er ihn im Gewühl aus den Augen verliert. Die gelbe Rose wird er, bis sie zu Staub zerfällt, gemeinsam mit Olgas Briefen aufbewahren.

      Am Tag nach dem Blumenkorso begibt sich die Wiener Gesellschaft zum traditionellen Trabrennen in die Krieau. Arthurs Hoffnung auf eine erneute Begegnung geht in Erfüllung. Olga befindet sich wieder in Begleitung ihrer noch unverheirateten Schwester Gabriele und ihres Vaters, der Renntage gerne zur Pflege seiner Geschäftsbeziehungen nutzte. »Ich wurde in die Loge eingeladen, nahm Platz hinter Olga, verfolgte die Rennen wohl zum erstenmal in meinem Leben ohne sonderliche Anteilnahme, redete nicht viel und gewiß nichts Kluges; Olga erwähnte einige Bücher, die ich ihr in Meran empfohlen und die sie seither gelesen hatte. Plötzlich, ohne daß ich recht zum Bewußtsein der Seligkeit gekommen war, die ich – wie es in einem meiner blasierten Gedichte aus früherer Zeit hieß – ›hätte empfinden können‹, war der ›Zauber‹, so lautete eines ihrer Lieblingsworte, zu Ende, man verließ die Loge, ich begleitete den Vater und seine zwei Töchter zum Wagen, der zu den berühmtesten Wiener ›Zeugeln‹ gehörte, und hatte nur noch Gelegenheit, ein paar flüchtige Worte mit Olga zu wechseln. ›Wieder ein neues Kapitel‹, sagte sie, auf unsere scherzhafte Meraner Gewohnheit anspielend, nach der wir unser beginnendes Verhältnis novellistisch einzuteilen liebten. – ›Rennen.‹ Ich darauf: ›Und wann werden wir das rekapitulieren?‹ – Sie: ›In Reichenau.‹ – Ich: ›Sie nehmen also Ihr Verbot zurück, gnädige Frau, nach dem ich erst im Herbst hätte hinauskommen dürfen?‹ Sie nickte zustimmend und drückte innig meine Hand zum Abschied. Der Wagen fuhr davon, ich sah ihm nach, so lange ich vermochte, halb toll vor Verliebtheit.«

      Nun kann den bis über beide Ohren verliebten Schnitzler nichts mehr halten und er fiebert den kommenden Pfingstfeiertagen entgegen, um nach Reichenau zu fahren. Olga ist vom Ausmaß ihrer Gefühle für Arthur Schnitzler so verwirrt, dass sie bereit ist, ihre berechtigte Vorsicht über Bord zu werfen, obwohl ihr von Beginn an bewusst ist, dass sie diese Liebe niemals leben kann und darf. Ihren Mann zu verlassen ist ausgeschlossen, das würde der Vater niemals zulassen. Täte sie es trotzdem, dürfte sie mit keinerlei Unterstützung von seiner Seite rechnen, säße auf der Straße und wäre gesellschaftlich gebrandmarkt. Trotzdem geht sie dieses Risiko ein.

      Eine gefährliche Liebschaft

      Ein unerfüllter Sommer am Thalhof

      »Warum reden Sie von einem solchen Glück, das uns ja doch niemals werden kann?«

      Schon zwei Wochen später, am 13. Juni 1886, dem Pfingstsonntag, findet sich der Verliebte ohne Voranmeldung zur Mittagszeit im Thalhof ein. Olga ist nicht erstaunt, scheint ihn erwartet zu haben, trägt sogar denselben Hut wie in Meran und man wechselt ein paar kurze, beiläufige Worte.

      Am Nachmittag darf er die Wirtin in ihren Privatgemächern besuchen, wohin sie besondere Gäste, Bekannte und Freunde gerne zu Kartenpartien oder zum Tee einlädt. Hier trifft Arthur auch den Bruder seiner Mutter, den Rechtsanwalt Edmund Markbreiter, dessen von ihm nicht geschätzte und für dumm gehaltene Frau Marie sowie deren hübsche Schwester Dora Kohnberger, die im Verlauf der Beziehung von Olga und Arthur eine Vertraute

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