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vertieft, finden sich die beiden Verliebten recht unbeobachtet. Olga sucht eines von den auf dem Tisch ausgebreiteten Fotos von Meran heraus und reicht es Arthur. Beim gemeinsamen Anblick von St. Valentin, wohin sie der letzte Spaziergang geführt hat, treffen sich beider Blicke in sehnsüchtiger Erinnerung. Auch dieser elegische Moment geht schnell vorüber und man sieht sich erst nach dem Abendessen wieder.

      Wie üblich promenieren die Gäste nach dem Diner entlang der Rosenlaubengänge vor dem Haus und Olga gesellt sich dazu. Arthur bemüht sich möglichst an ihrer Seite zu sein, was aber vom sporadisch auftauchenden Ehemann Olgas immer wieder gestört wird. Man weiß nie, wann er kommen wird, sich kurz ins Gespräch einklinkt und wieder verschwindet. Ist er im Saal, im Keller oder nur hinter einem Baum versteckt? Wie ein drohender Schatten verbreitet Charles Unruhe und beobachtet mit Argusaugen ganz genau, mit wem seine Frau spricht. Olga und Arthur können einander nur pantomimisch und mit Blicken vermitteln, dass sich an ihren Gefühlen seit Meran nichts geändert hat. In einem unbeobachteten Augenblick reicht ihr Arthur die Pelzquaste. Olga weiht sie mit einem neuen Kuss, den sich Arthur sogleich von derselben Stelle nimmt. Charles taucht wieder auf, sofort wenden sich die Liebenden anderen Gesprächspartnern zu. Olga und Charles ziehen sich bald darauf zurück.

      Am darauffolgenden Tag sieht der sehnsüchtig Ausschau Haltende seine Angebetete nur flüchtig nach Tisch und gerät in eine Unterhaltung mit einem jungen Medizinstudenten, der sich mit Erzählungen über die diversen Verehrer Olgas wichtig macht. Peter Altenberg war kein Geheimnis für Schnitzler, von ihm hatte ja Olga selbst berichtet, nicht aber von einem anderen, in seinen Augen viel gefährlicheren Mann: »Nun aber tauchte noch eine andere Gestalt aus Olgas Vergangenheit empor, viel bedenklicher als jene des Neurasthenikers und Poeten, der sich nach einem platonischen Kuß auf die Hand der Angebeteten für immer aus ihrem Leben davongestohlen hatte (wenn er auch später wieder darin oder wenigstens im Thalhof oft genug gastlich aufgenommen wurde); – dieser andere aber war ein Lebemann, ein Kavalleriefreiwilliger, ein Schuldenmacher, ein Elegant, ein Duellant, wenn er auch vielleicht noch nie ein Duell gehabt hatte, – ein Jäger, der sogar mit Olga gemeinschaftlich gejagt hatte auf den steilen Wänden des Schneebergs und der Rax, schlank, hager, schneidig, mit keiner Wimper zuckend, zwar ein Jude, aber die täuschend geratene Kopie eines österreichischen Aristokraten, sich von einem solchen nur durch Verstand und Witz vorteilhaft unterscheidend, ein junger Herr, den ich kannte, mit dem ich sogar entfernt verwandt war, Rudi Pick mit einem Wort, des berühmten Gustav, der ein Vetter meiner Mutter war, jüngerer Sohn. Und nicht nur Richard Engländer, den Dichter, sondern auch sein Widerspiel, den Mann der Tat, Rudi Pick, hatte Olga geliebt, und auch dieses Jünglings weitere Besuche im Thalhof hatte sich der Gatte verbeten und wahrscheinlich mit mehr Recht als die des Dichters; und was das Schlimmste war, – von diesem Menschen hatte Olga kein Sterbenswörtchen zu mir gesprochen …«

      Des feschen Rudi Picks Vater Gustav war ein allseits bekanntes Faktotum, Jurist, Schriftsteller, Komponist, Verfasser des berühmten Fiakerliedes und der humorigen Biografie Ich von mir. Er war von Kindheit an in Reichenau auf Urlaub und selbst ein großer Verehrer der schönen Thalhofwirtin. Sein Sohn Rudi war ein Bonvivant, der vorzugsweise verheirateten Frauen reihenweise den Kopf verdrehte. Dem eifersüchtigen Charles Waissnix muss er vor ein paar Jahren als Sohn des Stammgastes Gustav Pick nicht weiter verdächtig vorgekommen sein, denn er ließ ihn mit seiner Frau alleine auf die Jagd gehen. Die passionierte Waidfrau Olga sollte den jungen Mann in die Grundbegriffe der Jagd einführen und was sie dabei im Gegenzug vom ihm erhielt, darüber macht sich Arthur Schnitzler Gedanken und leidet unsäglich. Er wollte sich mit diesem Gespräch lediglich den Nachmittag verkürzen, doch nun entbrennen in ihm gleichermaßen Eifersucht und Zweifel an der geliebten Frau: »Denn daß Olgas Neigungen zwischen Geistigem und Sinnlichem, Künstlerischem und Mondänem, Romantischem und Sportlichem in beunruhigender Weise hin und her schwankten, daß diese feine, ja beinahe edle Frau den Lockungen des Snobismus zu widerstehen weder Kraft noch Lust besaß, darüber durfte ich mich keiner Täuschung hingeben; und auch die neugeweihte Pelzquaste, die ich krampfhaft zwischen den Fingern preßte, vermochte mir das verlorene Gefühl der Sicherheit nicht wiederzuverleihen. Abends aber, als ich mit Olga und Dora zusammensaß und die Unterhaltung sich leichter, vieldeutiger, anspielungsreicher emporschwang und die kupplerische Sorgfalt, mit der Frauen jede im Entstehen begriffene Liebesbeziehung zu hegen und einzuhüllen lieben, auch die unsre zu umschmeicheln begann, ward mir wieder wohler und hoffnungsvoller zumute. Nun war jedenfalls ich und kein andrer da; – Olgas Blicke, was immer in dieser dunkeln Augen Tiefe für Erinnerungen und Möglichkeiten träumen mochten, – nun sanken sie mit dem Ausdruck völligen Hingegebenseins in die meinen. Daß der Gatte immer in unserer Nähe umherschlich, schüchterte mich keineswegs ein, sondern erhöhte meine Stimmung, und ich fühlte mit Befriedigung, daß ich, wenn schon nicht einen glücklichen, so doch einen guten Abend hatte …«

      Diese seine gute Laune sollte nicht lange anhalten, denn plötzlich wird Olga durch einen Dienstboten zu ihrem Gatten gerufen und taucht an jenem Abend nicht mehr auf. Am nächsten Morgen hört man, dass es ihr nicht gut gehe. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine der häuslichen Szenen gegeben hat. Der Liebeskranke wagt sich aus Angst, den kurzen Moment, in dem die Geliebte vielleicht doch auftauchen könnte, zu versäumen, nicht aus der Nähe des Hauses. Er trifft aber ständig nur auf Charles, der ihn mit bösen Blicken streift. Am Nachmittag reist er tief bedrückt nach Wien ab.

      Etwa fünf Wochen später, am 18. Juli 1886, kommt Schnitzler wieder in den Thalhof, wo es nur sehr wenige kurze, unbelauschte und vom Gatten unbewachte Momente gibt, in denen Arthur Olga gesteht, dass seit den Tagen in Meran außer ihr nichts mehr für ihn existiere. Sie erwidert hastig, dass sie ihn bittet, vorsichtiger zu sein, man sei beobachtet und alle wüssten von ihren Gefühlen füreinander. Charles verhält sich ihm gegenüber äußerst frostig.

      Am nächsten Morgen bringt der hauseigene Pferde-Omnibus nicht nur Schnitzler und andere Gäste, sondern auch Olga zur Bahn, da sie ihrer Schwester Gabriele, die ihren Besuch angekündigt hat, bis Gloggnitz entgegenfahren will. Beim Aussteigen flüstert sie ihm zu: »Leider geht auch eine solche Fahrt zu Ende!«

      Nach zweiwöchiger Arbeitspause in Wien ist Schnitzler am Samstag, 31. Juli 1886, bereits wieder Gast im Thalhof; diesmal für längere Zeit, die nur ab und an von Wien-Aufenthalten und Besuchen bei seiner Familie in Bad Ischl unterbrochen sein wird. Bei seinem Anblick errötend empfängt ihn Olga herzlich und sehr schnell ergibt sich die Gelegenheit, sich der gegenseitigen Liebe zu versichern. Küssen darf er sie nicht. Den Grund dafür erklärt ihm die von Olga ins Vertrauen gezogene Dora Kohnberger bei einem abendlichen Spaziergang auf der Veranda – Arm in Arm, um den Gatten irrezuführen: Olga hatte ihrem Mann von allen Kurbekanntschaften in Meran erzählt, nur nicht von Schnitzler. Und nun hat Charles Waissnix zwischenzeitlich durch Zufall von dessen Anwesenheit im Kurort erfahren, ist rasend eifersüchtig geworden und hat geschrien, dass er diesen Menschen nicht ertragen könne.

      Im Falle ehelicher Zwistigkeiten suchte der Ehemann gerne die Hilfe seines Schwiegervaters, dem er sogleich von der unleidlichen Angelegenheit schrieb. Ludwig Schneider reiste höchstpersönlich an, um seiner Tochter die Leviten zu lesen, und Olga wurde mit der doppelten Drohung eingeschüchtert, dass sie im Wiederholungsfalle der Gatte aus dem Hause jagen und der Vater nicht aufnehmen würde. Olga kannte ihren Vater gut genug, um zu wissen, dass er nicht scherzte, und fügte sich scheinbar in ihr Schicksal. Hätte sie es wirklich getan, hätte sie Schnitzler auf der Stelle das Haus verbieten müssen. Das bringt sie jedoch nicht übers Herz, zu sehr liebt sie diesen Mann und fühlt sich magisch von ihm angezogen. Das gefährliche Spiel mit dem Feuer muss weitergehen, sie will ein bisschen Glück genießen, obwohl sie ahnt, dass sie Gefahr läuft, zu verbrennen.

      Schnitzler kann durch Doras Erklärungen Olgas übergroße Vorsicht besser verstehen, er fühlt sich sogar geschmeichelt, dass die Geliebte all diese Gefahren auf sich nimmt, um ihn weiter in ihrer Nähe zu haben. An diesem Nachmittag ist er bereit, sich allein mit ihren tiefen, langen Blicken in seine Augen zufrieden zu geben. Indem er sich ans Klavier setzt und für sie spielt, kann er seine Leidenschaft besser als mit Worten ausdrücken und die beiden fühlen sich einander erneut so nahe wie in Meran.

      Am nächsten Morgen musste Arthur wieder nach Wien ins Allgemeine Krankenhaus, wo er die nächsten zwei Tage verbrachte. Seit 1. Juni 1886 war er hier provisorischer Sekundararzt. Am ersten Abend besuchte er die Familie

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