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Feiertagen in Reichenau selten.

      Im Sommer 1883 kam es zum ersten großen Eklat zwischen den Eheleuten. Schuld daran war ein alter Stammgast des Thalhofs, Richard Engländer, der sich später Peter Altenberg nennen sollte. Ein Mann, der für seine Verehrung von jungen, schönen Frauen bekannt war, machte Olga den Hof. Man ging zusammen spazieren, genoss gemeinsame Lektüre und sie erlaubte ihm, ihre Hand zu küssen. Charles gab seiner Frau zu verstehen, dass dies sofort aufhören müsse, weil er den Rivalen sonst erschießen würde, woraufhin Olga sich genötigt sah, Altenberg einen Abschiedsbrief zu schreiben, und dieser Reichenau verlassen musste. Dieser kurze platonische Flirt hinterließ einen lebenslangen Eindruck auf ihn. Er verewigte Olga Waissnix mehrmals in seinem Werk.

      Diese außergewöhnliche Frau war voller Gegensätze: einerseits praktisch veranlagt und ein kreatives Organisationstalent, andererseits schöngeistig und träumerisch. All diese Eigenschaften lassen sich aus ihren Briefen an Arthur Schnitzler herauslesen, den sie im Sommer 1885 am Thalhof kennenlernte.

      Der am 15. Mai 1862 in Wien-Leopoldstadt geborene Arthur Schnitzler war als Kind und Jugendlicher mit seinen Eltern und Geschwistern regelmäßiger Sommergast am Thalhof gewesen, eine Zeit, an die er sich gerne erinnerte und die rückblickend bereits die Wirkung, die Olga Waissnix ab April 1886 auf ihn haben sollte, anklingen lässt: »Jedenfalls aber war es hier in Reichenau, zu Füßen des Schneebergs und der Rax, wo zum erstenmal eine erhabene Bergnatur sich vor mir öffnete, als ich sie im nahen Umkreis von Wien zu sehen gewohnt war, und wo das Geheimnis der Höhen und Fernen zum erstenmal an meine Seele griff; und dies allein reichte gewiss aus, sie in einen gelinden Rausch zu versetzen, auch ohne dass man ihr noch überdies die ahnungsvolle Voraussicht zuschreiben müsste, dass eben diese Gegend, ja gerade der Thalhof und seine nächste Umgebung, Jahrzehnte später dem herangereiften Jüngling als wundersamer Rahmen für ein geliebtes Frauenbild unendlich viel bedeuten sollte …«

      Als sich Olga und Arthur das erste Mal am Thalhof begegneten, nahmen sie einander lediglich wohlwollend zur Kenntnis. Nach dem Abschluss der letzten Examen des Medizinstudiums begab sich Arthur Schnitzler in die sogenannten Doktorferien, die ihn im Juni 1885 mit seinem Bruder Julius nach Ungarn und im Juli mit seiner Mutter Luise und seiner Schwester Gisela in den Thalhof nach Reichenau führten. Hier blieb man allerdings nicht sehr lange, da Gisela an einer Rippenfellentzündung erkrankte. Während dieses Aufenthaltes verliebte sich Arthur in eine junge Witwe namens Betty, der allerdings sein Bruder erfolgreicher den Hof machte, und die er bei der Heimfahrt mit der Bahn schon wieder vergessen hatte. Über seinen ersten Eindruck von Olga Waissnix schrieb er später: »Wenn ich nach dem Abendessen mit der koketten Witwe vor dem Thalhof auf und ab spazierte, hatte sich zuweilen auch die junge Wirtin zu uns gesellt, die im Gegensatz zu dem etwas ländlichen Gehabe ihres wohlgewachsenen, gleichfalls noch jungen Gatten sich mit gutem Recht als die Dame von Welt zu geben liebte. Denn wenn sie auch als die älteste Tochter des in seiner Art berühmten Stefanskeller- und Südbahnwirtes glänzend die Küche zu führen verstand, wo die Intimen sie gelegentlich am blinkenden Herd besuchen und bewundern durften – sie konnte es an Geschmack und allgemeiner Bildung und besonders an äußeren Vorzügen mit der Mehrzahl ihrer weiblichen Gäste aufnehmen …«

      Olga Waissnix war nicht sehr oft selbst am Herd zu finden, das hätte sie zeitlich nicht geschafft. Sie stand der Küche vor, erstellte gemeinsam mit dem Chefkoch den Speiseplan und kreierte neue Gerichte. Eines ihrer Rezepte aus der Lehrzeit brachte sie mit an den Thalhof, die berühmte und aufwendig herzustellende Schneidertorte. Anlässlich großer Feste wird diese Torte nach wie vor von Olgas Nachfahren gebacken:

      Teig: 8 dag Butter, 7 dag Schokolade, 8 dag Zucker, 4 Dotter,

      8 dag Mandeln,

      4 Eiklar

      Butter und Mehl für das Blech

      Creme: 2 Eier, 9 dag Zucker, 1 dag Stärkemehl, 10 dag Butter, 8 dag Schokolade, 4 dag Haselnüsse

      Schokoladeglasur, 3 dag Hagelzucker

      Die Butter wird schaumig gerührt, nach und nach Zucker, Eidotter und die erweichte Schokolade dazugegeben und zuletzt der steife Schnee und die geschälten, geriebenen Mandeln untergezogen. Die Masse streicht man auf ein befettetes, bemehltes Blech in vier Blättern auf und bäckt sie bei Mittelhitze.

      Nach dem Erkalten werden die Blätter mit folgender Creme zusammengesetzt:

      Die ganzen Eier werden mit Zucker und Stärkemehl über Dunst zu einer dicken Creme geschlagen, auskühlen lassen. Die Butter wird schaumig gerührt, mit erweichter Schokolade, den gerösteten, geriebenen Haselnüssen und löffelweise mit der erkalteten Creme vermischt. Die Torte mit Schokoladeglasur überziehen und, solange die Glasur noch weich ist, mit Hagelzucker bestreuen.

      Während in Arthur Schnitzlers Erinnerung die Eleganz, Bildung und Schönheit Olgas haften blieben, stellte Olga fest, dass sie seine Art an Peter Altenberg erinnere, was Schnitzler öfter passierte und er nicht gerne hörte. Er hatte insgesamt das Gefühl, der Thalhofwirtin eher unsympathisch zu sein.

      Nur acht Monate später sollte beim Wiedersehen in Meran der Funke überspringen und das Schicksal seinen Lauf nehmen.

      Der Kurschatten

      Beginn einer Beziehung

      »Ich wollte, alles um uns sänke in die Erde und wir zwei blieben allein auf der Welt.«

      Olga hatte sich nach ihrer Heirat innerhalb von fünf Jahren in einen Hotelgroßbetrieb eingearbeitet und drei Kinder zur Welt gebracht. Gefangen in einer nicht erfüllenden Ehe und an einem Ort abseits des Lebens der Großstadt fühlte sich die erst 23-jährige Thalhofwirtin ausgelaugt, frustriert und gesundheitlich angeschlagen. Die Ärzte äußerten einen Verdacht auf Lungentuberkulose und rieten zu einem Klimawechsel. Was lag daher näher, als eine Erholungskur in Meran im Frühjahr 1886 anzutreten?

      Ein paar Wochen waren dort bereits vergangen, Olga wohnte im Hotel Tirolerhof und fühlte sich recht wohl in dem mondänen Ort. Sie hatte sich mit dem Wiener Fabrikantenehepaar Salcher und dessen beiden Töchtern angefreundet, man unternahm gemeinsam Ausflüge in die Umgebung und ging täglich auf der Promenade spazieren.

      Meran mit seinen 300 Sonnentagen im Jahr und einem nach Süden geöffneten Tal, das für eine ausgeglichene, warme Luft sorgt, war ab 1855 einer der beliebtesten Luftkurorte für Lungenleiden des Habsburgerreiches geworden. Besonders nachdem Kaiserin Elisabeth mit ihren Töchtern Gisela und Marie Valerie im Oktober 1870 den Winter im Schloss Trauttmannsdorf verbracht hatte, war der Aufstieg zur vom Adel und Großbürgertum gleichermaßen geschätzten Touristenhochburg nicht mehr aufzuhalten.

      Hier in Meran, an Schnitzlers erstem Tag in dem Kurort, Ende März 1886, kreuzten sich seine und Olgas Wege wieder. Was aber führte Arthur Schnitzler nach Meran? Anfang September 1885 begann der junge Arzt seine Zeit als Aspirant, zunächst auf der von dem Wagner-Enthusiasten Primarius Standthartner geleiteten Internen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses, wo er den Vormittag mit dem Studieren und Ergänzen von Krankenberichten verbrachte. Mangels weiterer Tätigkeiten suchte er recht bald das Kaffeehaus auf, um sich mittags in die von seinem Vater mitbegründete Poliklinik zu begeben, wo er bei dem Nervenpathologen Professor Benedikt hospitierte. Nachmittags begleitete er manchmal seinen Vater, den Laryngologen Johann Schnitzler, bei dessen Hausbesuchen oder vertrat ihn ab und an in seiner Privatordination. So blieb genügend Zeit für Freunde und Abenteuer mit diversen jungen Damen. Diese Phase nach seiner Promotion fasste Schnitzler treffend zusammen: »Vorerst hielt sich diese meine privatärztliche Tätigkeit natürlich in den engsten Grenzen, und genau genommen führte ich eigentlich mein Studentenleben weiter – ein junger Mann aus gutem Hause, der ein paar Stunden des Tags in Spital und Poliklinik oder auch im Laboratorium für pathologische Histologie beschäftigt war, fleißig Theater, Konzerte und Gesellschaften besuchte, einen allzu großen Teil seiner freien Zeit im Kaffeehaus mit Freunden hinbrachte und immer nur von seinem Taschengeld lebte, mit dem er selbstverständlich niemals auskam …«

      Anfang des Jahres 1886 war an seiner linken Halsseite eine Lymphdrüse zur Größe einer Kinderfaust herangewachsen. Nachdem die von seinem Vater verordneten Jodpinselungen und Umschläge keinen Erfolg zeitigten, begab sich Arthur Schnitzler Anfang März zu einem befreundeten

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