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Küssen. Nach dem Souper gibt es den üblichen Spaziergang, an dem diesmal auch Charles Waissnix teilnimmt. Olga und Arthur sprechen gerade leise darüber, eine regelmäßige Korrespondenz zu beginnen, als der Ehemann plötzlich verschwunden ist. Dass er nicht kurz darauf wieder erscheint, erregt Olga sehr und sie begibt sich auf ihr Zimmer. Gleich darauf stürzt Charles an Arthur vorbei und hinter seiner Frau her. Beunruhigt begeben sich Dora und Arthur ebenfalls zur Nachtruhe.

      Am nächsten Morgen erzählt Olga Dora, die es wiederum Arthur berichtet, was vorgefallen ist. Charles wollte gehört haben, wie Schnitzler mit Dora Kohnberger über eine Scheidung zwischen ihm und Olga geflüstert habe. Er machte Olga eine fürchterliche Szene und flehte sie an, ihn nicht zu verlassen. Wie ein Toter sei er vor ihr zusammengesunken, wobei er nach der Meinung Olgas und Doras diese Ohnmacht nur vortäuschte. Auch Schnitzler ist der Überzeugung, dass Charles nur Komödie gespielt hat. Er hätte sich auch von einer wirklichen Ohnmacht nicht rühren lassen: »Denn Liebende sind im allgemeinen nur gut, soweit es den Gegenstand ihrer Liebe betrifft; in Hinsicht auf alles andere und gar auf Menschen, von denen sich ihre Liebe irgendeiner Störung versehen muß, hart bis zur Grausamkeit. Und unbekümmert um den Komödianten, wie ich es für meinen Teil auch um den Toten gewesen wäre, spazierten wir abends im Mondenschein wieder auf und ab, Olga und ich …«

      Bevor Olga sich nach diesem romantischen Spaziergang zurückzieht, gesteht sie Arthur, wann sie sich in ihn verliebt habe, was er in seinem Tagebuch festhält: »Sie sagte, sie habe die Liebe zu mir in dem Moment das erstemal empfunden, wo ich ihr in Meran nach der Partie in jenes Thal gesagt: Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, sie ist geweiht für alle Zeit – das war der elektrische Schlag, der coup de foudre – Nie hab ich einen Menschen so lieb gehabt wie Sie! … Was sie für jenen andern empfand … sei nichts gewesen!«

      Auch wenn Dora erneut beruhigend auf Charles eingewirkt hat, spricht dieses Verhalten Olgas völlig gegen ihre so oft zum Ausdruck gebrachte Angst. Nahm sie Charles plötzlich nicht mehr ernst? Fühlte sie sich durch seine Schwäche mit einem Mal stark und bot ihm die Stirn? Oder nutzte sie nur die Gunst der Stunde, um so viel als irgendmöglich von ihrer unerlaubten Liebe genießen zu können?

      Das Grunddilemma der Eheleute war ihre unterschiedliche soziale Herkunft. Olga war ein Kind der Stadt, kam aus der Wiener Gesellschaft, in der es zum guten Ton gehörte, zu flirten und auch als verheiratete Frau von Männern umschwärmt zu werden. Was für sie nicht weiter bedeutungsvolle Alltäglichkeiten waren, wurde im ländlichen Raum nicht toleriert, als verwerflich und für den Mann erniedrigend angesehen. Es waren zwei Welten, die aufeinanderprallten. Charles beherbergte zwar die Wiener Gesellschaft in seinem Hotel, wollte mit ihren amoralischen Sitten aber nichts zu tun haben. Seine Frau hatte sich den Gebräuchen der ländlichen Gesellschaft, in die sie eingeheiratet hatte, entsprechend anzupassen.

      Da Arthur in Kürze wieder abreist, weil er mit seiner Familie die alljährliche Sommerfrische in Ischl verbringen wird, lädt Dora Kohnberger die Liebenden am nächsten Tag zu sich ins Appartement ein, wo sie sie bald allein lässt. Sie fallen einander zu einem minutenlangen, leidenschaftlichen Kuss in die Arme. Olga sagt: »Wenn ich glaube, dass ich mich werde beherrschen können, komme ich morgen herunter.« Sie kommt und schenkt Arthur eine Rose. Charles steht daneben und dann begleiten ihn die Eheleute gemeinsam ein Stück des Weges zur Bahn. Schnitzler schreibt resümierend: »Sie war nicht am Morphium gestorben, er war nicht toll geworden vor Eifersucht, und auch ich befand mich am Ende für einen glücklich-unglücklichen Liebhaber nicht so übel, als man hätte denken sollen.« Wie eine Komödie erscheint diese Szene, die Charles’ Ablehnung der höflichen Oberflächlichkeit der High Society nachvollziehbar macht.

      Schnitzler verbrachte die nächsten zehn Tage in Ischl, wo seine Eltern regelmäßig zur Sommerfrische waren. Bald erhält er von Olga, die seine Anwesenheit vermisst, eine Einladung, womit die Korrespondenz zwischen den beiden einsetzt.

      18. August 86

      Lieber Herr Doctor!

      Der Reichenauer Verschönerungs-Verein im Allgemeinen & meine Wenigkeit im Besonderen senden Ihnen hiermit Ihre Einladung zu dem nächsten Sonntag bei den Eichen stattfindenden Wolthätigkeitsfest. Wir kennen ja Ihren milden Sinn und hoffen, daß auch Ihre Angehörigen Ihnen, lieber Herr Doctor, auf einen ganz kleinen Abstecher nach Reichenau Urlaub geben werden. Ich verkaufe bei den Cigarren und würde mich sehr freuen Ihnen eine anbieten zu dürfen.

      Abends ist Kränzchen, alle anderen Aufklärungen mündlich. –

      Ich hoffe Ischl hält Sie nicht so riesig fest & freut sich sehr Sie, lieber Herr Doctor, baldigst hier zu sehen

      Olga Waißnix

      Bitte kommen Sie aber erst Sonntag, denn Samstag dürfte es unmöglich sein Ihnen ein Zimmer zu verschaffen.

      Dieses alljährliche Wohltätigkeitsfest rund um den Kaisergeburtstag fand 1886 auf der Eichenwiese oberhalb des Thalhofs statt. Die Einnahmen aus Verkäufen und Spenden kamen jedes Jahr anderen Bedürftigen oder sozialen Institutionen in Reichenau zugute. Die Organisation bis hin zu den Kostümentwürfen, passend zum jeweiligen Motto, lag in den Händen Olgas.

      Die Einladung hält Schnitzler bereits – man lese und staune über die Geschwindigkeit der damaligen Postzustellung – einen Tag später in Händen und muss mit großem Bedauern absagen, da sein Vater seine Anwesenheit in Ischl wünscht.

      Gleichzeitig sendet er einen humoristisch-sentimentalen Brief in Versen an Dora Kohnberger, der er damit für ihre liebevolle Unterstützung dankt. Darin kann er Olga versteckte Mitteilungen zukommen lassen, wie zum Beispiel, wann er wieder an den Thalhof kommen wird.

      August 1886.

      Verehrte würdige Freundin,

      Geschätzte gnädige Frau,

      Da sitz’ ich einsam in Ischl

      Und träume von Reichenau.

      An schwülem Sonntagsabend

      Empfing mich das Rauschen der Traun,

      Es lag ein Dunst und Nebel

      Rings über den grünen Au’n.

      (…)

      Nach Montag kam Dienstag wie immer

      – Die Wochen sind so trivial –,

      Da fuhr ich nach Kammer hinüber

      Mit Mutter und Schwester zumal.

      (…)

      Nun kam des Kaisers Geburtstag,

      In Gmunden verbracht’ ich den;

      Da hab’ ich manch holde Frouwe

      Und Magedin gesehn.

      Des Abends stand ich am Ufer,

      Da wogten in bunter Reih’

      Viel festlich leuchtende Kähne

      Rotschimmernd an mir vorbei.

      Und in dem mächtigen Nebel

      Raketen stiegen hinan,

      Die flirrten und knallten und starben, –

      Wie Menschenglück und Wahn.

      Sie sprühten so überlustig,

      Schier jubelnd ertönte ihr Knall,

      Dann stoben die Funken gen unten, –

      Versanken ins Wasser all.

      Da kam die Melancholia

      Wie einem Fünfziger mir; –

      Doch nein: wie einem Jüngling,

      Vous savez, Madame, c’est pire.

      [Sie wissen, Madame, das ist schlimm; Anm.]

      So klagt der Träumer in Ischl,

      Dieweil in Reichenau

      Gewiß schon zum Feste sich rüstet

      Gar manche schöne Frau.

      Doch kommt zum

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