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Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
Читать онлайн.Название Wolfgang Amadeus Mozart
Год выпуска 0
isbn 9783849601973
Автор произведения Hermann Abert
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Aber auch in die einzelnen Glieder der Themen selbst dringen die plötzlichen Gefühlsumschläge ein. Sie zeigen sich in der Aneinanderreihung ganz verschiedener rhythmischer Gebilde, in der Einfügung von Fermaten und Generalpausen, überhaupt in der originellen Verwendung "sprechender" Pausen u. dgl., namentlich aber in der neuen Art der Dynamik, die bei den Mannheimern ganz folgerichtig zu einer von der älteren Sparsamkeit scharf abstechenden Fülle dynamischer Vortragszeichen geführt hat. Da wimmelt es von unmittelbar einander ablösenden Fortes und Pianos, von Sforzatos, von Schwellungen, die überraschend in ein Piano ausmünden u. dgl.
Ein eigenes Kapitel in dieser Dynamik bildet das berühmte "Mannheimer Crescendo", das die besondere Bewunderung der Zeitgenossen hervorrief105. Es ergänzt die bisher geschilderten Merkmale insofern, als es sich hier nicht um eine Kontrast-, sondern um eine Übergangswirkung handelt, um eine vorher nicht gekannte, gewaltige Spannung des Affektes bis zur vollen Entladung106. Die ältere Musik kannte zwar das An- und Abschwellen der Tonstärke ebenfalls, aber der dynamische Grundcharakter, f oder p, der betreffenden Melodie, wurde durch diese kleinen Schattierungen nicht verändert, sondern im Gegenteil nur bekräftigt. Im allgemeinen beruht jedoch die Dynamik der älteren Zeit auf dem sog. Echoeffekt, d.h. der unmittelbaren Gegenüberstellung von f und p, wie er durch die Teilung des Orchesters in Tutti und Soli, überhaupt in einzelne Klanggruppen, bewirkt wurde. Noch in Bachs Partituren bedeutet ein forte zugleich die Ausführung der betreffenden Stelle durch das Tutti, ein piano dagegen den Eintritt des Concertinos. Diese Praxis schloß eine planmäßig angelegte und entwickelte Steigerung aus; eine solche war erst möglich, als man anfing, piano und forte nicht mehr durch Teilen und Wiederzusammenschließen des Orchesters, sondern durch das ganze Orchester ausführen zu lassen. Diese neue Art kam in Italien bei Jommelli und Piccinni, in Deutschland bei Stamitz auf. Dort, wo sich keine Sinfonik großen Stils entwickelt hat, mündete sie in die großen effektsüchtigen Crescendos der Ouvertüren Rossinis und seiner Nachfolger aus, hier aber fand sie ihre höchste Steigerung und Vertiefung in Beethoven107.
Diese großen Crescendi, die übrigens in den Anfängen der neapolitanischen Opernsinfonie mit ihren auf einem Orgelpunkt in die Höhe strebenden Hauptthemen ihr Vorbild haben108, griffen nun aber weit über das Gebiet des Vortrags in das innere Leben der Komposition ein, sie mußten vorbereitet, aufgebaut und schließlich in einem gewaltigen forte entladen werden, und das führte von selbst zu einer ganz beträchtlichen Erweiterung und Dehnung der Satzglieder. So stehen neben den plötzlichen kleineren Ausbrüchen der Leidenschaft die großen, aus einem ungeheuren seelischen Druck geborenen, die einer entfesselten Naturkraft gleich den damaligen Hörer mit sich fortrissen109.
Derselbe Geist beherrscht nun aber auch die Durchführungen110. Obwohl sie überwiegend thematisch sind und nur selten einen neuen Gedanken zulassen, ist doch der Impuls, die Freude am bunten und spannenden Wechsel der Erscheinungen die Hauptsache und nicht etwa das Bestreben, einen stetigen Gefühlsverlauf wiederzugeben. Das unterscheidet die Mannheimer Art merklich von der norddeutschen und der klassischen, und es ist sehr bezeichnend, daß Stamitz, sehr im Gegensatz zu den Wienern111, die Reprise gewöhnlich nicht mit dem vollen, sondern mit dem verkürzten Hauptthema beginnt und in ihrem weiteren Verlauf die Gegensätze gerne abermals verschieden anordnet. Ein weiteres wichtiges Merkmal des Stamitzschen Stiles ist der Verzicht auf alle Fugenarbeit und auf die sonstigen kontrapunktischen Manieren der älteren Zeit, wie laufende und ostinate Bässe, ostinate Rhythmen u. dgl. Dagegen sind seine Werke reich an freien Imitationen, die sie sehr zu ihrem Vorteil von der wasserklaren Homophonie der "Galanten" unterscheiden. Endlich hat seine Orchesterkunst mit den kräftigsten Anstoß dazu gegeben, daß das Cembalo schließlich aus dem Sinfonieorchester verschwand.
Diesen Hauptkennzeichen des Stamitzschen Stiles gegenüber wollen die kleineren112 weit weniger besagen. Gewiß kehren sie in den Sinfonien der Mannheimer so häufig wieder, daß sie unbedingt mit ins Bild gehören. Allein originales Mannheimer Gewächs sind die wenigsten davon. Der Seufzervorhalt, dessen Wiege in der italienischen Gesangsornamentik liegt, ist allen Vorläufern und Zeitgenossen von Stamitz geläufig113; von den übrigen haben wir die "Vögelchen" und "Walzen"
bereits in der italienischen Buffooper zahlreich angetroffen, und Sinfoniethemen wie:
wurzeln gar in der neapolitanischen Opernsinfonie 114. Auch darf nicht vergessen werden, daß die Mehrzahl dieser "Manieren" ornamentaler Natur ist. Die Mannheimer aber haben, wie Gluck in der Oper, alle diese Verzierungen, die früher die Spieler von sich aus ergänzten, gleich ihrer Dynamik voll ausgeschrieben, so daß schon das äußere Notenbild stark verändert aussieht115.
Dieselben Stileigentümlichkeiten weisen, mehr oder minder abschattiert, auch die übrigen Sätze auf. Formell am gleichmäßigsten sind die langsamen gebaut: es sind Sonatensätze mit vorwiegend melodischen Durchführungen und verkürzten Reprisen. Dem Charakter nach lassen sich zwei Typen unterscheiden, ein idyllischer (Andante), der aus meist kurzen Themen oft entzückende Rokokobilder gestaltet, und ein elegischer, in ganz langsamem Tempo, dem Stamitz das Tiefste anvertraut hat, dessen seine Seele an verhaltener Glut fähig war116. Es sind Sätze, die mitunter geradeswegs auf Beethoven hindeuten.
Die beiden letzten Sätze gehören durchaus der Lebensfreude. Das Menuett hat Stamitz in die Sinfonie nicht eingeführt, wohl aber in ihr eingebürgert117. Seine Menuette sind den Mozartschen geistesverwandt, denn sie tragen in ihren Hauptsätzen, auch wo sie sich launig und tändelnd geben, durchaus das Gepräge kraftvoller Männlichkeit; charakteristisch ist auch ihr knappes, bestimmtes Wesen, das sich im ersten Abschnitt oft nur mit acht Takten begnügt; die häufig breiter ausgeführten Trios geben entweder nachdenklicheren118 oder, gleich den Wienern, volkstümlich-idyllischen Empfindungen Raum. Die Schlußsätze in Sonatenform steigern die Lebenslust bis zum Übermut, namentlich die Prestissimi im 2/4-Takt haben mit ihren aus gestoßenen Vierteln bestehenden Themen geradezu etwas Herausforderndes und Aufreizendes119.
Der selbständigste Meister der Mannheimer neben Stamitz ist Fr. X. Richter (1709–1789), im Gegensatz zu diesem eine weit bedächtigere, grüblerische Natur und der einzige Mannheimer, der auf die Kontrapunktik älteren Schlages nicht verzichtet hat. An die ältere Art gemahnen auch seine italienisierenden Hauptthemen120; ihre Behandlung freilich verrät den durchaus modernen Mannheimer Geist mit seiner Vorliebe für große Kontraste und gewaltige Spannungen des Gefühls. Seine thematische Arbeit aber läßt nicht bloß einen durchgebildeten Techniker, sondern vor allem einen äußerst vielseitigen Poeten erkennen, der seine Gedanken nicht allein geistvoll neu zu ordnen, sondern auch umzudeuten versteht. Auch verdient erwähnt zu werden, daß Richter in einzelnen Fällen die Dreisätzigkeit vorzieht und außerdem die beiden ersten Sätze unmittelbar ineinander übergehen läßt.
Von den übrigen Gliedern der Schule haben wir Job. Schobert bereits als eines der frühesten Vorbilder Mozarts kennengelernt121. Im allgemeinen aber ereilte die Mannheimer dasselbe Schicksal wie alle neuen Stilrichtungen, die in der Persönlichkeit eines bestimmten, revolutionären Künstlers wurzeln: sie gerieten in ein Epigonentum hinein, das über den äußeren Manieren den Geist des Meisters übersah. Jetzt erst bekam der "Mannheimer goût" einen Stich von haut goût, was sich namentlich in der Dynamik zeigte. Dynamische Kontraste stellen sich ein,