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länger auf der Kuhl stehen ließ.

      Wer von ihm war wohl fähig, von hinten zuzustechen? Juan Barbara, der Segelmacher, dessen Miene nie Rückschlüsse auf seine wahren Gedanken zuließ? Oder Villasante, nach außen aufrichtig wirkend und hilfsbereit, aber auch dem Rum zugetan und im Suff unberechenbar.

      Mit einem lauten Fluch wischte der Kapitän alle diesbezüglichen Gedanken zur Seite. Er war im Begriff, sich selbst auf trügerisches Terrain zu begeben.

      „Es ist genug!“ hörte er sich rufen. „Wer glaubt, ohne den verdammten Rum nicht leben zu können, der soll von mir aus saufen, bis er tot umfällt. Aber wenn ich einen erwische, dessen Arbeit darunter leidet, den lasse ich kielholen. Ich hoffe, wir haben uns verstanden. Du, Juan Barbara, nähst den Toten in Segeltuch ein. Nimm dir als Helfer, wen du willst. Sobald du fertig bist, übergeben wir Morales der See.“

      Keiner der Kerle verschwand unter Deck. Die meisten blieben auf der Kuhl, sogar die Freiwache.

      Miguel Pigatto gab sich Mühe, seine wachsende Unruhe zu verbergen. Eines Tages würden diese Burschen selbst eines nichtigen Anlasses wegen meutern.

      „Señor Capitán!“ Decksmann Angel Berco stand irgendwann neben ihm und grinste schräg. „Alles ist fertig.“

      „Wie? Ja.“ Pigatto wirkte fahrig, als er den Niedergang hinunterschritt.

      Die Männer wichen vor ihm zur Seite und gaben den Weg frei, aber er spürte ihre Blicke auf seinem Rücken brennen. Der kurze Weg zum Großmast gestaltete sich zum Spießrutenlauf. Unheimlich war daran, daß niemand redete.

      Jorge Zapata und Juan Barbara standen am Schanzkleid. Sie hielten die Planke, auf der der Tote lag.

      Der Kapitän nickte kurz. Er hatte nicht die Absicht, große Worte zu sprechen.

      „Der Weg des Fleisches ist vorgezeichnet“, sagte er. „Niemand weiß, wann wir die Segel streichen müssen – das ist allein Gottes Ratschluß. Uns Sterblichen obliegt es, ihm mit der nötigen Ehrerbietung zu begegnen, so wie ein Bauer seinem König oder ein Seemann seinem Kapitän. Mario Morales hat seine Pflicht getan, jedenfalls über lange Zeit hinweg. Er hat seinem Leben aber auch selbst ein Ende gesetzt, denn er war dem Rum verfallen, mehr wohl, als die meisten von uns gewußt haben. Wir nehmen Abschied von ihm. Santa Maria, madre de Dios, nimm diesen Mann auf in das Reich Gottes und schenke ihm ewigen Frieden.“

      „Amen“, murmelten die Männer und bekreuzigten sich.

      Kapitän Pigatto nickte dem Segelmacher zu, der daraufhin gemeinsam mit Zapata die Planke hochstemmte. Langsam, mit den Füßen zuerst, glitt der in angekohltes Segeltuch eingenähte Tote außenbords – für Barbara wäre es wie Verschwendung erschienen, ein unbeschädigtes Segel zu nehmen.

      Einen Augenblick später tauchte Morales in die Wellen, schwamm aber trotz des beigefügten Gewichts noch einmal auf. Diejenigen Männer, die unmittelbar neben dem Schanzkleid standen und den Vorgang beobachteten, bekreuzigten sich spontan. Bis die anderen sich vordrängten, trieb der Leichnam jedoch schon in der Hecksee und sackte inmitten eines Schwalls aufsteigender Luftblasen endgültig in die immer noch wogende See ab.

       5.

      „Feuer!“ brüllte jemand in dem Moment, als sich fast aller Augen auf die See richteten.

      Dichter, schwerer Qualm quoll aus der Luke auf der Kuhl hervor. Noch verwirbelte der Wind den grauschwarzen Rauch und drückte ihn über das Süll hinweg auf die Planken, wo er auffaserte und schnell verwehte. Aber eine zunehmend dichtere Wolke drang von unten herauf.

      Einige Augenblicke lang starrten die Männer fassungslos auf die Luke. Keiner wollte glauben, was er sah. Doch der Rauch blieb und wälzte sich langsam zur Back.

      „Schnell!“ befahl der Kapitän. „Holt Pützen! Öst Wasser! Eine Kette bilden!“

      Noch züngelten keine Flammen hoch. Aber dann wäre es ohnehin zu spät gewesen, die „Respeto“ retten zu wollen.

      Capitán Pigatto riß die Luke auf. Als erster stieg er die schmalen Tritte hinunter. Beklemmend legte sich der Qualm auf seine Lungen. Er mußte husten und wedelte hilflos mit den Armen durch die Luft, ohne jedoch den Rauch vertreiben zu können. Die Sicht blieb miserabel.

      Zwei oder drei Kerle folgten ihm. Ihre Schritte polterten den Niedergang hinunter.

      „Geht nach achtern!“ befahl Pigatto. „Irgendwo muß der verdammte Qualm seine Ursache haben.“

      Das Spill für den Buganker lag vor ihm. Wenige Yards dahinter führten noch einmal Stufen nach unten.

      Dem Kapitän fiel das Atmen zunehmend schwerer. Das Gefühl, ersticken zu müssen, ließ sich nicht mehr ignorieren. Tränen schossen ihm in die Augen, die zu brennen begannen.

      Der Qualm war überall.

      Pigatto wollte einen Befehl zur Kuhl rufen, doch schon der erste krächzende Laut hatte einen keuchenden Hustenanfall zur Folge. Er taumelte, krachte ans Spill und klammerte sich daran fest wie ein Ertrinkender an der nächstbesten aufschwimmenden Planke.

      Der Schwelbrand war wieder aufgeflackert. Eine andere Erklärung fand er nicht. Aber vielleicht ließ sich die Glut noch löschen. Wasser mußte her. Verdammt, wo blieben die Kerle mit den Pützen? Falls Schiff und Ladung durch ihr Zögern verlorengingen, würde er jeden einzelnen zur Rechenschaft ziehen.

      Keuchend und hustend, fast blind vor Tränen und Qualm, wandte er sich um und taumelte zurück. Seine Füße schienen kaum noch die Planken zu berühren. Im nächsten Moment geriet alles um ihn herum in Bewegung. Das Gefühl, inmitten eines rasenden Wirbels zu stehen, wurde übermächtig. Capitán Pigatto brach zusammen, bevor er den nach oben führenden Niedergang erreichte.

      Nur mehr wie aus weiter Ferne registrierte er sich nähernde Schritte. Gleich darauf prallte jemand gegen ihn.

      „Da liegt einer“, hörte er.

      Die Männer bückten sich. Ohrenbetäubend laut schwoll das Dröhnen des Blutes in seinen Schläfen an. Pigattos Herz schlug wie rasend und vom Magen ging ein stärker werdendes Würgen aus. Vor seinen Augen wirbelten bunte Sterne durcheinander.

      Ein Schwall kalten, salzigen Wassers schlug über ihm zusammen und ließ die Benommenheit vorübergehend erträglicher werden.

      „Das ist der Capitán!“ Seltsam verzerrt drang die Stimme an sein Ohr. Aber immerhin verstand er noch, was der Kerl sagte.

      „Wir müssen ihn nach oben schaffen. Pack schon mit an!“

      „He!“ rief der andere offenbar zur Kuhl hinauf. „Fangt die Pütz auf und helft uns.“

      Pigatto fühlte sich hochgehoben und unsanft über die Stufen in die Höhe gezerrt. Er war viel zu benommen, um sich gegen die rauhe Behandlung zu sträuben. Ununterbrochen hörte er jemanden stöhnen. Als er endlich begriff, daß er selbst die kläglichen Laute produzierte, wuchteten ihn die Kerle schon aus der Luke.

      „Der Qualm da unten ist fürchterlich, der Capitán muß halb erstickt sein.“

      „Habt ihr Feuer gesehen?“

      „Nur Rauch. Doch der ist dichter als der schlimmste Nebel. Wenn einer von uns unter Deck gewesen wäre, hätten wir das Scheiß-Feuer vielleicht rechtzeitig bemerkt. Aber Pigatto mußte uns ja bestrafen. Damit hat er sich selbst einen verdammt schlechten Dienst …“

      „Halt’s Maul, Berco!“ brüllte der Bootsmann.

      „Die Wahrheit will niemand hören“, begehrte Angel Berco auf.

      Tomas d’Alvarez, der Bootsmann, schlug überraschend zu. Seine Faust traf Berco mitten ins Gesicht und riß ihn von den Füßen.

      „Noch ein Wort, und du bist der erste, der unter Deck krepiert!“

      D’Alvarez wandte sich an den Feldscher, der neben dem Kapitän kniete und dessen Schläfen massierte:

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