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Hier vorne war die Bewegung besonders deutlich wahrzunehmen. Das Rauschen und Krachen, wenn der Bug die Wellen teilte, übertönte alle anderen Geräusche.

      Die Schmerzen ließen sich kaum noch vertreiben. Mario fragte sich, was werden sollte, falls der Rum allmählich seine Wirkung verlor. Oder setzte ihm nur der kalte Rauch derart zu?

      „Bald erreichen wir Irland“, murmelte er halblaut vor sich hin. „Dann wird alles besser. Ja, Mario, du wirst schon sehen.“ Eine neue Woge von Schmerzen, die sich bis unter die Rippen hinzog, ließ ihn verstummen. Für eine Weile rang er nach Atem. „Ich trinke auf meine Gesundheit“, schnaufte er in einem Anflug von Ironie. „Entweder schaffe ich es bis Irland, oder ich bin vorher tot.“

      Er trank, wollte die leere Flasche wegwerfen, besann sich aber und rammte sie statt dessen mit dem Hals nach unten in den Wergballen. Die andere Buddel glitt wie von selbst in seine Hand. Vergeblich bemühte er sich, den Korken herauszuziehen, aber der Pfropfen widerstand seinen Bemühungen mit einer Hartnäckigkeit, die Mario eine Reihe schauerlicher Verwünschungen entlockte.

      Ihm blieb nichts anderes übrig, als von dem Wergballen zu rutschen und in dem verhältnismäßig engen Raum nach einem brauchbaren Werkzeug zu suchen.

      Die Übelkeit ließ ihn taumeln. Täuschte er sich, oder wurde der Brandgeruch plötzlich intensiver?

      „Was soll’s?“ murmelte er vor sich hin.

      Gleich darauf ertastete er eine Kiste voller Nägel, fingerte einen der langen Stifte heraus und versuchte, den Korken hochzuhebeln – mit dem dürftigen Erfolg, daß er zwar einige Stücke herausbrach, die Flasche aber nach wie vor verschlossen blieb.

      Wütend schleuderte er den Nagel in die Ecke und stocherte mit den Fingern im Flaschenhals herum. Nach einer Weile gab er seine sinnlosen Bemühungen auf. Inzwischen war ihm alles egal, wenn er nur an den Rum gelangte.

      Die Schmerzen, die seinen Leib aufwühlten, wurden schlimmer als je zuvor. Er zitterte und hatte enorme Mühe, die Flasche festzuhalten, die er jetzt am Boden packte und mit dem Hals gegen einen Balken drückte.

      Mario hatte stets geglaubt, daß Glas leicht zu brechen war, daß man es eigentlich nur scharf anzublicken brauchte. Jetzt wurde er eines Besseren belehrt. Oder war er bereits zu schwach? Er stieß wieder zu und rammte den verdickten Flaschenhals gegen den Balken.

      Ein leises Klirren erklang. Trotzdem bedurfte es noch zweier weiterer Versuche, bis endlich das Glas splitterte. Kostbarer Rum schwappte aus der ausgezackten Öffnung, tränkte den Balken und tropfte zu Boden, wo rasch eine kleine Lache entstand. Aber die sah Mario Morales schon nicht mehr. Mit geschlossenen Augen kippte er den Rum aus der immerhin noch zu drei Vierteln gefüllten Flasche in sich hinein.

      Der Alkohol rann wie Feuer durch seine Kehle. Mario verschluckte sich, mußte husten und verschüttete noch mehr von der edlen Medizin, die diesmal wirklich half. Zum erstenmal seit Monaten fühlte er sich wohlig leicht – in dem Zustand hätte er ohne Schwierigkeiten in die höchsten Wanten aufentern und freihändig über die Rahen laufen können.

      „Alles wird gut“, murmelte er. „Ich wußte es.“

      Der nächste Schluck rief fast schon Euphorie hervor. Der Inhalt der Flasche ging erschreckend schnell zur Neige. Mario Morales wandte sich der Tür zu, er brauchte Nachschub von diesem vorzüglichen Heilmittel.

      Der neuerliche Schmerz traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Als hätte jemand einen glühenden Degen durch seine Nieren gestoßen. Mario stockte der Atem, er hatte nicht einmal Luft für einen gepeinigten Aufschrei.

      Wo er gerade stand, brach er zusammen. Klirrend zersprang die Flasche in seiner Hand. Aber niemand hielt sich in der Nähe auf, der das Geräusch gehört hätte.

      Zwei Tage zuvor hatten die Arwenacks sämtliches Gerümpel aus der Vorpiek, in der der Schwelbrand ausgebrochen war, ausgeräumt. Den Befehlen ihres Capitáns folgend, hatten die Spanier jedoch einiges davon wieder zurückgeschafft. Warum auch nicht?

      Der Brand war zu jenem Zeitpunkt gelöscht gewesen und alle angekohlten Planken und die Nähte zwischen ihnen genau nach versteckten Glutnestern abgesucht worden. Also bestand überhaupt kein Risiko.

      Das winzige Loch in einer Seegrasmatratze hatte niemand entdeckt. Vielleicht, wenn es einen dunklen, verkohlten Rand gehabt hätte – doch das war nicht der Fall. Der Funke, der sich durch den gespannten Stoff hindurchgefressen hatte, flammte nicht gleich hell auf, er erlosch aber auch nicht, sondern verzehrte gerade soviel von dem dürren Füllmaterial, wie er brauchte, um sich selbst zu stabilisieren.

      Im Laufe etlicher Stunden bohrte er sich tiefer in die Matratze, ein rauchloses Glimmen, das sich schließlich verzweigte und irgendwann sogar zu einer winzigen Flamme wurde. Aber noch entstand kein Feuer. Flammen wie diese erloschen oftmals von selbst, weil sie sich in dem gepreßten Material kaum ausbreiten konnten. Tatsächlich fiel sie wieder in sich zusammen. Ein glimmender Ring blieb, gerade so groß wie der Umfang eines Goldstücks.

      Der Zufall wollte es, daß Morales die Vorpiek betrat, als die Glut kaum mehr Kraft hatte. Erst der entstehende Luftzug fachte sie von neuem an. Wenig später durchstieß das Glimmen die Rückseite der Matratze und fand in dem grob gewebten Stoff bessere Nahrung.

      Mehrere kleine Flämmchen huschten nach den Seiten davon, und eine erreichte jene Ecke der Matratze, die langsam den verschütteten Rum aufsog. Im Nu knisterte und knackte es, und ein irrlichtendes Leuchten griff gierig nach den Planken.

      Die Glut breitete sich aus. Einzelne Flammen züngelten über den Boden, hell aufstiebend, solange der Rum ausreichte, aber ebenso rasch wieder in sich zusammenfallend.

      Was blieb, war ein Glimmen in den Plankennähten. Und das weitete sich unaufhaltsam aus.

      Schweißgebadet wachte Mario Morales aus tiefer Ohnmacht auf. Sein Kopf war so leer wie ein Schwamm, den kräftige Hände ausgedrückt hatten. Erst nach und nach kehrte die Erinnerung zurück.

      Seltsamerweise fühlte er sich so wohl wie schon lange nicht mehr. In diesem Zustand hätte er es mit Gott und der Welt aufnehmen können. Der Rum hatte ihn wieder auf die Beine gebracht. Schade, daß die Flache leer war. Seine Finger ertasteten nur mehr Splitter und einen letzten Hauch von Feuchtigkeit.

      Mario stemmte sich an dem Wergballen hoch. Auch jetzt spürte er keine Schmerzen, er stand lediglich auf wackligen Beinen. Doch solange er ausreichenden Halt fand, war das kein Problem.

      Was hatte er überhaupt gewollt?

      Richtig! Zapata mußte ihm neuen Rum geben.

      Er vollführte eine schwungvolle Drehung, die ihn taumeln ließ. Zum Glück stand genug Zeug herum, an dem er sich abstützen konnte. Die Bewegung war wohl doch zu abrupt erfolgt, denn im nächsten Moment mußte er sich übergeben.

      Ein Glimmen fiel ihm auf. Mühsam blinzelnd versuchte er, mehr zu erkennen. Aber erst als er vorübergehend die Stirn gegen die Planken gepreßt hatte, sah er deutlicher.

      Das war Glut, die sich in den Fugen festsetzte.

      Feuer in der Vorpiek!

      Mario schluckte schwer. Niemand rechnete noch damit, daß der Schwelbrand von neuem aufflackerte.

      Er mußte die anderen warnen. Jetzt genügten noch einige Eimer voll Seewasser, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Später, wenn das Feuer erst um sich griff, würde es nicht mehr so leicht einzudämmen sein.

      Mario wollte schreien, aber nur ein gequältes Ächzen wurde daraus. Die Stimme versagte ihm den Dienst. Schlagartig waren die Schmerzen wieder da.

      Haltlos torkelte er gegen die Tür, die unter dem Aufprall aufsprang. Er stürzte, raffte sich auf und stolperte weiter, wobei er die Tür bis zum Anschlag aufstieß. Sie federte in den Angeln zurück und schlug hinter ihm zu.

      Mario merkte es nicht. Er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Schlimmer als bei Windstärke elf oder zwölf schien der Boden auf ihn zuzuspringen, wich aber schon im nächsten Moment jäh wieder vor ihm zurück, als wolle er einen endlosen Abgrund freigeben.

      Breitbeinig

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