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allenfalls noch stinkige und versengte Schmierlappen, die man nicht mal mehr als Fußabtreter benutzen konnte, ganz abgesehen davon, daß sie Glutnester bildeten. Wenn dieses Zeug in der Vorpiek bleibt, kannst du deinen ganzen Kahn auf die Verlustliste setzen. Ist das klar?“

      „Ich verlange, sofort den Capitán zu sprechen!“ brüllte Miguel Pigatto.

      „Geht nicht“, sagte der Profos lakonisch, „der räumt gerade deine verdammte Vorpiek aus.“ Und er deutete zur Back, wo die Zwillinge soeben eine qualmende Taurolle in die See beförderten.

      Wieder zischte es.

      Der Kapitän erlitt einen Schreikrampf und setzte zum Sturm auf die Back an. Der Profos stand günstig. Er brauchte nur den rechten Fuß vorzustrecken, den er auch noch ruckartig anhob, um der Sache mehr Schwung zu geben.

      Nach den Gesetzen der Schwerkraft schrammte der Kapitän mit seiner knubbeligen Nase über die Planken, die Beine noch in der Luft, Reibung erzeugt Wärme, wenn nicht Hitze. Jeder Seemann weiß das, wenn ihm ein Tau durch die Hände rauscht. Da geht die Haut in Fetzen. Tat sie beim „Respeto“-Capitán auch. Nur auf der Nase.

      „Ja, ja“, sagte der Profos, als der Capitán die Planken anjaulte.

      Ein Schuß krachte. Noch jemand schrie, und etwas polterte den Steuerbordniedergang vom Achterdeck zur Kuhl hinunter. Eine Muskete.

      Der einige, der geschrien hatte, war der dürre Erste Offizier. Jetzt rieb er sich die rechte Wange.

      Carberrys Blick wechselte zur Schebecke hinüber. Dort setzte Dan O’Flynn eine Muskete ab, aus deren Mündung Rauch kräuselte.

      „Er hatte auf dich angelegt, Señor Profos!“ rief Dan. „Da schoß ich ihm die Muskete aus den Händen.“

      „Sauberer Schuß“, knurrte der Profos und setzte sich in Marsch.

      Der Dürre schaute sich gehetzt um, floh zu den Backbordbesanwanten und enterte wie ein Affe auf.

      Carberry blieb stehen und schaute zu. Dann zuckte er mit den breiten Schultern und rief zum Besanmars hoch: „Da oben kannst du bleiben, bis dir dein Bart über die Füße wächst. Aber wenn du abenterst, nehme ich dich in Empfang!“ Er hob den rechten Profoshammer. „Hiermit! Und dann wirst du nur noch Brei essen können, weil dir die Beißerchen fehlen, du dreckiger Heckenschütze!“

      „Ich wollte Sie nur erschrecken, Señor!“ zeterte der Dürre.

      Carberry spuckte verächtlich über Bord.

      „Mich erschrecken“, brummelte er. „Ist der Kerl größenwahnsinnig?“ Und er donnerte zum Besanmars hoch: „Einen Profos der stolzen spanischen Flotte kannst du mit solchen Mätzchen nicht erschrecken, du halbes Hemd! Ich habe mehr Kugeln pfeifen hören, als du in deinem ganzen Leben Oliven gefressen hast!“

      „Jawohl, Señor Profos“, sagte der Dürre kläglich. Er fühlte sich wie jener Jäger, der sein Pulver verschossen hatte und vor dem anstürmenden Wildeber auf einen Baum geflüchtet war. Und dort unten tobte das Untier noch herum und schielte tückisch nach oben.

      Dem allen setzte Sir John die Krone auf.

      Was in seinem Papageigehirn vorgehen mochte, wußte keiner, obwohl ihm der Profos alle möglichen guten Gaben andichtete, der Kutscher jedoch behauptete, Papageien hätten ein Mückengehirn, will sagen, sie wären so etwas Ähnliches wie kreuzdämlich und bar jeder Denkfunktion.

      Ab und an allerdings waren die Arwenacks dann doch verdutzt über Sir Johns Reaktionen. In diesem Fall war es so, daß die „Krachente“ zumindest einiges mitgekriegt hatte, was sich zwischen dem Dürren und Edwin Carberry, dem Herrn und Meister, abgespielt hatte. Der Teufel mochte wissen, welche Zuneigung den Papagei mit dem Profos verband.

      Aber Sir John hob von der Großgaffelnock der Schebecke ab und startete zum Angriff auf den Dürren, zum Luftangriff, und zwar dergestalt, daß er über den Dürren wegsauste und ihm dabei die Vogelkrallen durch die Kopfhaut zog.

      Der Dürre fiel fast vom Mars.

      Hatte er eben noch den Profos da unten mit einem wütenden und gereizten Wildeber verglichen, vor dem man nur auf einen Baum flüchten konnte, so war’s jetzt mit dem Angriff aus der Luft – was den sicheren Standort betraf – jäh und schmerzhaft vorbei. Es gab nichts mehr, wohin eine weitere Flucht Schutz versprach. Unten lauerte der Wildeber und über ihm ein Raubvogel übelster Art, ein scharfer Falke, auch wenn er wie ein Papagei aussah.

      Und der Kopf blutete. Heilige Mutter Maria!

      Der Wildeber unten auf der Kuhl lachte sich krumm und scheckig, und der scharfe Falke, jetzt auf dem Besantopp, rasselte eine Kette von Schimpfnamen und Aufforderungen aus dem Krummschnabel, wobei er wie verrückt mit dem Kopf auf und nieder ruckte und glühende Augen hatte.

      Das meiste verstand der Dürre nicht richtig, aber was er verstand, das entstammte dem Wortschatz von Huren, Säufern und Hafenstrolchen. Dieses geflügelte Ungeheuer mußte eine Ausgeburt der Hölle sein.

      Als Sir John seine Schimpftirade auch noch mit der seltsamen Aufforderung „Gib Küßchen, Süßer!“ abschloß, war das zuviel für den Dürren. Er verdrehte die Augen, und die Sinne entschwanden ihm. Hinter der Segeltuchverkleidung, die den Mars umschloß, sackte er in sich zusammen und verschwand somit aus der Sicht der spanischen Decksleute und der Arwenacks.

      Sir John hüpfte hinunter auf die Segeltuchverkleidung, äugte mit langem Hals in den Mars und erging sich in einer Art Gelächter. Den spanischen Decksleuten lief ein Gruseln über den Rücken. Dem Profos flossen die Lachtränen über die Wangen. Sein Sir Jöhnchen hatte mal wieder voll zugeschlagen. Einige der Decksleute bekreuzigten sich.

      Indessen traf auch den Profos fast der Schlag, als plötzlich eine fette Ratte über die Kuhl huschte, an der Innenseite des Backbordschanzkleides hochturnte, oben einen Moment verharrte, mit der spitzen Nase in die Luft witterte – und mit einem wilden Satz auf die Schebecke hinübersprang.

      Als sie auf die Planken prallte, dauerte ihr Leben noch eine knappe halbe Minute. Plymmie, die Bordhündin der Arwenacks, schoß wie ein Blitz heran, schnappte die Ratte, die noch einmal aufquickte, brach ihr schüttelnd das Genick und schleuderte sie mit einem wilden Kopfschwung über das Schanzkleid ins Wasser.

      Es war nicht die erste Ratte, die von der Wolfshündin vom Leben in den Tod befördert wurde. Plymmie war in dieser Beziehung eine erprobte Kämpferin. Und sie wußte, wo sich eine gezeigt hatte, da waren auch noch andere.

      Sie irrte nicht, denn weitere Ratten tauchten auf der Kuhl der „Respeto“ auf.

      Niemand vermochte zu sagen, was diese schädlichen Nager dazu trieb, ihre Schlupflöcher unter Deck zu verlassen. Möglicherweise hatte sie der Qualm des Schwelbrandes an Deck gescheucht. Die Arwenacks pflegten Ratten auszuräuchern, wenn sie an Bord ihrer Schiffe welche entdeckten.

      Jetzt fegte Plymmie wild kläffend am Steuerbordschanzkleid der Schebecke entlang, was bewirkte, daß die weiteren Ratten auf die Steuerbordseite der Galeone huschten – und von Bord sprangen. Eine Ratte exerzierte das vor, und die anderen folgten ihr blindlings.

      „Die Ratten gehen von Bord“, murmelte Old Donegal dumpf. Er stand auf dem Achterdeck der Schebecke und beobachtete das grausige Schauspiel mit zusammengekniffenen Augen. Und er fügte hinzu: „Die ‚Respeto‘ ist dem Untergang geweiht!“

      Ben Brighton in seiner Nähe warf ihm einen schiefen Blick zu. Es lag in der Art des alten Zausels, Orakelsprüche zu verkünden. Aber in diesem Fall sprach Old Donegal nur das aus, was jedem Seemann bekannt war: Wenn die Ratten das Schiff verließen – auch und gerade auf See –, dann war das ein Zeichen dafür, daß dieses Schiff bald untergehen würde.

      Trotz der spätherbstlichen Wärme in diesen Breiten fröstelte es Ben Brighton. Der Exodus der Ratten in den Selbstmord war ihm unheimlich – und das erging jedem so, Spaniern wie Arwenacks.

      Der Profos kratzte sich unbehaglich im Genick und sah dem Trauermarsch zu, der in seiner unmittelbaren Nähe stattfand. Eine Ratte nach der anderen erklomm das Schanzkleid an

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