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      Sie hatten die „Isa“, dieses schnelle Schiffchen der Seewölfe, mit günstigem Backstagswind aus Südwesten auf Teufel komm raus vorangeprügelt und alles an Tuch gesetzt, was zur Verfügung stand, sogar Leesegel an Fock- und Großsegelrah. Die schlanke Galeone mit den überlangen Masten schäumte nur so durchs Wasser.

      Den Ausguck im Vormars hatte in diesen Vormittagsstunden Roger Lutz übernommen, der schlanke, schwarzhaarige Mann aus Calais, der so elegant mit dem Degen fechten konnte, jedoch eine Schwäche hatte: die Frauen. Sein Pech war, daß er nicht vor Anker gehen konnte – oder er hätte sich einen Harem anschaffen müssen. Nur paßten ein Seemann und ein Harem so gut – oder so wenig – zusammen wie ein Salzhering mit Erdbeeren und Schlagsahne.

      Roger linste durchs Spektiv, aber an seinem geistigen Auge schwänzelten hüftenwackelnde Schleiertänzerinnen vorbei. Na ja, die Hüften waren nicht das einzige, was wackelte. Eine Frau besteht ja nicht nur aus Hüften, nicht wahr?

      Roger pfiff durch die Zähne, denn seine geistigen Bilder waren unerhört plastisch, seine Phantasie auch.

      „Oi-oi-oi!“ sagte er entzückt.

      Der Profos, der unten auf der Back stand, äugte zu ihm hoch.

      „Ist was?“ fragte er. Genau wie die anderen lauerte er darauf, daß endlich der Konvoi gesichtet wurde. „Hast du was entdeckt?“

      „Wie?“ Roger plierte zum Profos hinunter.

      „Ich fragte, ob du was entdeckt hast. Du sagtest ‚Oi-oi-oi‘.“ In der Stimme Carberrys klang ein leises Grollen mit.

      „Nein, nichts in Sicht“, erwiderte Roger Lutz.

      „Und was soll dann das dämliche ‚Oi-oi-oi‘?“

      „Äh – da war voraus ein Fisch aus dem Wasser gesprungen.“

      Der Profos konnte dazu nur den Kopf schütteln. Fische sprangen immer mal aus dem Wasser. Warum dieser Kerl da oben das mit „Oi-oi-oi“ bewunderte, war ihm schleierhaft.

      Roger Lutz spähte wieder durchs Spektiv und suchte die Kimm voraus ab, diesen messerscharfen Strich zwischen See und Himmel. Die Sicht war ausgezeichnet, kein Dunst über dem Wasser, Sonnenlicht, das einen glitzernden Teppich über die See legte. Die gesamte Kimm rings um die „Isabella IX.“ war wie leergefegt.

      Carberrys Blick fiel auf Pierre Puchan, der ebenfalls auf der Back stand, gerade seine Perücke anlüftete und sich die Glatze kratzte.

      „Juckt das Ding?“ erkundigte er sich. Er dachte an den Wikinger, der sich am Helm zu kratzen pflegte.

      „Das geht dich einen Scheiß an!“ schnappte Pierre Puchan. Bei Bemerkungen über seine Glatze oder die Perücke reagierte er in der Regel grantig.

      „He-he!“ sagte der Profos etwas verdutzt. „Man wird doch wohl mal fragen dürfen.“

      „Ich frag dich ja auch nicht, ob’s in deinem Maul zieht“, knurrte der Franzose gereizt.

      „In meinem Maul zieht?“ wiederholte der Profos, immer noch verdutzt. „Was soll das denn?“

      Pierre Puchan wurde boshaft. „Na! Bei der Zahnlücke! Da pfeift doch der Wind durch und achtern wieder raus!“

      Der Profos begriff – und er dachte an den Mann, dem er die Zahnlücke zu verdanken hatte – Philip Hasard Killigrew. Sein Blick wurde fast träumerisch. Oha! War das ein Schlag gewesen, härter als jeder Profoshammer. Seit diesem Schlag hatte der Seewolf beim Profos einen Stein im Brett. Einen? Ein ganzes Gebirge!

      Und jetzt spielte diese miese Gurke von Glatzkopf auf die Zahnlücke an, auf die beiden fehlenden Zähne im Untergebiß, deren letzten Reste damals Mac Pellew hatte herauspolken müssen. Auweih!

      Carberrys Blick wurde weniger träumerisch, dafür begannen seine grauen Augen zu glitzern.

      „Hör mal zu, M’sieur“, sagte er sehr freundlich und sehr leise – und beides deutet beim Profos auf Sturm, was die Mannen des Seewolfs in der Regel zu respektieren pflegten. „Du kannst noch so eine dämliche Bemerkung von dir geben, aber dann verhelfe ich dir zum Totaldurchzug in deinem Maul, nicht zu ’ner Lücke. Und achtern säuseln dann nicht mehr die Lüftchen, sondern da pfeifen die Böen raus. Hast du das verstanden, du unbehaarter Affenarsch?“

      Pierre Puchan zuckte zusammen. Seiner Glatze war eine zweite Beleidigung hinzugefügt, worden. Und da ballte sich seine rechte Hand zur Faust.

      Der Profos sah es und warnte: „Laß es lieber sein, Glatzkopf!“

      Pierre Puchan schlug trotzdem zu – das kleine Wörtchen „Glatzkopf“ hatte es ausgelöst. Dabei hätte ihm das wilde Grinsen des Profosen der Arwenacks signalisieren müssen, daß der es darauf anlegte, ihm eine feuern zu können.

      Jedenfalls, Pierre Puchan überschätzte sich – und unterschätzte den rauflustigsten Kämpfer der Arwenacks. Er hätte eben mal eine Weile bei den Seewölfen an Bord fahren müssen, um die diesbezüglichen Qualitäten des Edwin Carberry ausloten zu können. Denn die waren wirklich einzigartig.

      Der Profos blockte geradezu gelangweilt und mit dem linken Unterarm den Schlag des Franzosen ab und setzte ihm den Profoshammer aufs Maul.

      Pierre Puchan törnte ab. Die Perücke flog ihm dabei eh davon – eine Folge des Überschlags, den der Hammer bewirkt hatte. Er krachte gekrümmt ans Steuerbordschanzkleid, blieb dort versammelt und spuckte Zähne aus. Der Profos zählte sechs und war keineswegs befriedigt. Sein Hammer war schon mal besser gewesen, weiß Gott.

      Bevor er zu weiteren Taten schreiten konnte, um den Durchzug zu vervollkommnen – schließlich hatte er das dem Kerl ja versprochen –, stoppte ihn die Stimme Jean Ribaults. Eine sehr freundliche Stimme, ruhig und gelassen, ohne Zorn und Tadel, ja, eher mit einer kleinen Portion Anerkennung gemischt.

      „Laß es sein, Ed“, sagte der derzeitige Kapitän der „Isabella“. „Sechs ausgeschlagene Zähne genügen – ich will schließlich nicht mit Mummelgreisen zur See fahren. Klar?“

      „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Profos gewohnheitsmäßig.

      Jean Ribault grinste nur. Im stillen beneidete er Philip Hasard Killigrew um dieses Monster von Profos. Er wußte, was Ed Carberry für ein Kerl war, ein Kerl, der sich für seinen Kapitän in Stücke hauen ließ. In seiner Crew – und das waren alle keine Chorknaben – fehlte so ein Mann, der eben noch besser war als diese Chorknaben.

      Es war richtig, daß er Pierre Puchan was aufs Maul gedroschen hatte. Männer, die wegen einer lächerlichen Glatze in Harnisch gerieten, denen mußte beigebügelt werden, daß es ihnen an nichts mangelte. Es gab schlimmere Sachen.

      Und bei dieser Überlegung schaute Jean Ribault zu Matt Davies, dem eine Prothese mit Haken den rechten Unterarm ersetzte. Den foppte keiner, daß ihm was fehlte. Und wenn, dann erregte ihn das nicht. Er hatte viel zu oft bewiesen, daß dieser Haken mehr wert war als eine Hand.

      Blieb also die Glatze, die Pierre Puchan schamhaft mit einer dämlichen Perücke tarnte. Dabei sagte man, daß Männer mit Glatze bei Frauen keineswegs Abscheu erregten – im Gegenteil!

      Pierre Puchan wuchtete sich inzwischen zum Sitz hoch und stierte auf die Planken, wo seine Beißerchen lagen. Den richtigen Durchblick hatte er noch nicht. Seine Augen waren glasig.

      „Nichts für ungut, M’sieur“, sagte der Profos freundlich, „aber ohne Perücke siehst du besser aus. Kannst du auf diese Zotteln nicht verzichten?“ Er bückte sich und hob die Perücke auf, eine mit braunhaarigen Locken. Kopfschüttelnd betrachtete er sie und drehte sie hin und her. Schließlich roch er an ihr und verzog mißbilligend das Gesicht. „Müßte auch mal gewaschen werden, das Ding“, murmelte er, blickte zu Pierre Puchan und fügte hinzu: „Soll ich sie über Bord schmeißen?“

      „Üsch brüng düsch üm!“ nuschelte der Franzose. Er hatte jetzt Schwierigkeiten mit dem Sprechen. Seine Lektion hatte er auch noch nicht gelernt. Schwankend rappelte er sich auf die Füße.

      „Übernümm

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