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Kind hieß Penny. Sie begann bereits Beziehungen zu Personen aufzubauen, Wörter und Sätze zu verstehen und sie nachzuplappern. Ana wusste, dass es nur noch ein paar Wochen dauern würde, bis Penny die ersten Laufversuche starten würde. Sie zog sich bereits von Tisch zu Tisch, von Stuhl zu Stuhl.

      Sie schlug die anderen Menschen genauso schnell in ihren Bann wie ihre Mutter. Sie hatte große, einladende braune Augen und hellbraune Haut. Jeder, der sie sah, fühlte sich sofort zu ihr hingezogen, als würde ihre Aura sie einladen.

      Ana war mit der gleichen Gabe gesegnet – oder vielleicht auch verflucht. Denn diese Gabe war der Grund, weshalb die Dweller sie überhaupt angeworben hatten. Sie wussten, dass sie für die Aufgabe, die sie ihr gegeben hatten, wie geschaffen war. Sie würde Erfolg haben, hatten sie ihr gesagt.

      Bisher war das schon mehr der Fall, als ihr lieb war.

      Sie hob Penny von einer Schulter zur anderen und streichelte ihr sanft über den Rücken, bis sie spürte, dass ihre Tochter eingeschlafen war. Pennys Kopf ruhte nun an ihrer Schulter und mit einem leisen Schnarchen kitzelte ihr Atem ihre Mutter jedes Mal, wenn sie ausatmete.

      Ana hörte auf, sie zu wiegen, und versuchte mit einer Hand ihre Bluse zuzuknöpfen, ohne Penny dabei zu wecken. Sie hatte drei Knöpfe geschafft, als eine Stimme in der Tür sie erschreckte.

      »Meinetwegen musst du dir die Bluse nicht zuknöpfen«, sagte der große, wettergegerbte Mann, der im Türrahmen lehnte. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und er zwinkerte ihr anzüglich zu.

      Beim Klang seiner Stimme zuckte Ana unwillkürlich zusammen und schaffte es gerade noch, das Baby nicht zu wecken. Sie hielt einen Zeigefinger an die Lippen. »Wann bist du nach Hause gekommen?«, flüsterte sie.

      Der Mann betrat das Kinderzimmer, als ob es ihm gehörte. Was ja eigentlich tatsächlich der Fall war. Seine Stiefel stampften über den Boden, als er auf Ana und Penny zuging. Er erreichte den Schaukelstuhl und streichelte dem Baby über den Kopf.

      »Sie schläft«, sagte Ana. »Es kommt nicht mehr oft vor, dass sie ein Mittagsschläfchen hält. Sie wird langsam zu groß dafür.«

      Die Hand des Mannes wanderte zu Anas Gesicht und er berührte ihre Wange. Er ragte hoch über ihr auf, das Kinn auf seine Brust gepresst. Wortlos blickte er auf sie herab. Er schob seine Hand in ihre offene Bluse und fuhr mit seinen Fingern über ihren Körper. Seine regungslosen Augen fixierten die ihren.

      »Warum bist du schon zu Hause?«, drängte ihn Ana. Sie wagte es nicht, seine Hand zu entfernen.

      Der Mann nahm seine Finger aber jetzt zu Glück von ihrer Haut und hob einen an seine Lippen. Er deutete auf das Kinderbettchen, bevor er nach dem Mädchen griff. Er nahm Penny, wiegte sie kurz, küsste sie auf die Stirn und ließ sie dann langsam in ihr Bett sinken. Anschließend sah er zurück zu Ana und nickte in Richtung Tür.

      Ana stand vom Schaukelstuhl auf und knöpfte ihre Bluse zu. Auf Zehenspitzen verließ sie den Raum und begab sich zu ihrem Mann in das Zimmer, das er gern den Entspannungsraum nannte. Er lag bereits in seinem abgenutzten Sessel und hatte seine Füße auf den gepolsterten Hocker gelegt. Seine Arme ruhten auf den breiten Lehnen des Sessels. Sie setzte sich ihm gegenüber auf das kleine Sofa.

      In das ausgesprochen maskuline Dekor des Raumes, das von einem Hirschgeweih über dem Gaskamin komplettiert wurde, hatte er sich schon verliebt, als sie das erste Mal die große Stadtvilla betreten hatten. Das Haus gehörte zu den am besten erhaltenen Gebäuden, die noch in der Nähe der ehemaligen Innenstadt von Houston standen. Es lag nördlich des zentralen Geschäftsviertels, das sie Midtown nannten.

      Er hatte das Haus ausgewählt und sogar eine andere Familie daraus verjagt, als Ana eingewilligt hatte, bei ihm einzuziehen. Sie hatte keine Wahl gehabt, denn sie hatte bereits sein Kind in sich getragen, und dass sie zusammenzogen, war Teil des Plans gewesen.

      »Was gibt es zu Mittag?«, fragte er. »Machst du mir etwas Feines in der Mikrowelle?«

      »Der Strom ist leider wieder ausgefallen«, sagte sie. »Wann bist du nach Hause gekommen?«

      »Das Gas sollte aber funktionieren«, sagte er. »Du könntest mir ja eine Maissuppe kochen.«

      Ana fuhr sich mit den Fingern durch ihr welliges schwarzes Haar. »Ich habe schon etwas Eintopf im Kühlschrank«, sagte sie. »Den sollte ich wahrscheinlich erst einmal warm machen, denn sonst wird er schlecht, wenn wir ihn jetzt nicht essen.«

      Er runzelte die Stirn. »Na gut.« Mit einem Wink scheuchte er sie in die Küche.

      Ana zwang sich, aufzustehen. »Wann bist du nach Hause gekommen? Ich habe dich schon mehrmals …«

      »Wann bist du denn nach Hause gekommen?«, rief er ihr von seinem Sessel aus hinterher. Seine Worte folgten ihr durch den kurzen Flur bis in die Küche. »Antworte mir.«

      Ana tat so, als hätte sie seine Frage gar nicht gehört, und öffnete den Kühlschrank. Die Luft in Inneren hatte schon beinahe Raumtemperatur erreicht. »Was hast du gesagt?«, rief sie. »Ich habe dich nicht verstanden.«

      »Wann bist du nach Hause gekommen?«

      Ana drehte ein Kochfeld auf und entzündete das ausströmende Gas mit einem Feuerzeug. Die blaue Flamme schoss nach oben und sie drehte das Gas rasch herunter. »Ist schon eine Weile her«, sagte sie. »Vielleicht um elf.«

      Er erschien nun in der Tür zur Küche. »Wo warst du denn?« Er nahm sich einen Apfel aus der Obstschale, die auf der Granitplatte stand, und gönnte sich einen großen Bissen. Er kaute laut schmatzend und wischte sich mit dem Ärmel den herunterlaufenden Saft vom Kinn.

      »Downtown«, sagte sie. Ana konnte ihn nicht anlügen, denn sie wusste genau, dass er sie soweit wie möglich überwachen ließ. Sie wusste, dass die Nanny, die eigentlich eine Bardame war, ihm genau sagen würde, wann sie gegangen und wann sie zurückgekommen war.

      »Wozu?«, fragte er zwischen zwei Bissen Red Delicious.

      »Ich wollte frisches Obst kaufen«, sagte sie und rührte die Suppe um. »Aber der Markt war zu.«

      »Heute ist ja auch Sonntag«, sagte er und riss einen weiteren großen Bissen aus der Frucht. »Der Markt ist sonntags immer zu.«

      »Ich hatte gedacht, heute wäre Sonnabend«, sagte sie. »Normalerweise bist du sonntags nämlich nicht unterwegs. Als ich heute Morgen aufgewacht bin und du weg warst, dachte ich, es sei Sonnabend.«

      »Hm.« Er warf das Kerngehäuse quer durch die Küche in den Mülleimer und drehte sich um. »Wie lange dauert es denn noch?«, rief er im Gehen. »Ich habe Hunger.«

      »Nur noch ein paar Minuten«, rief sie zurück und spähte den Flur hinunter. Er war zu seinem Sessel im Wohnzimmer zurückgekehrt. Sie konnte seine Stiefel auf dem Hocker sehen.

      Ana schöpfte für sich eine Kelle Suppe in eine Schüssel und öffnete dann den Gefrierschrank. Hinter einigen leeren Eiswürfelformen hatte sie das besondere Geschenk versteckt, das Sidney Reilly ihr am Ende ihres Treffens gegeben hatte.

      Sie öffnete die Flasche und sofort traf sie der Geruch von bitteren Mandeln. Sie hielt die Flasche auf Armeslänge von ihrem Gesicht weg und schüttete den Inhalt in den Suppentopf. Die weißen Kristalle, die wie Zucker aussahen, lösten sich sofort in der Flüssigkeit auf.

      Sie rührte die Suppe mit einem Holzlöffel um, bis die Flüssigkeit wie von selbst im Topf umherwirbelte, dann verschloss sie die leere Flasche und versteckte sie wieder im Gefrierschrank.

      »Ein halbes Gramm Kaliumcyanid wird ihn innerhalb weniger Tage töten«, hatte Sid ihr erklärt. »Hier sind zwei Gramm. Gib ihm alles.«

      Um den sauren Geschmack des Giftes zu überdecken, fügte Ana der Suppe eine ordentliche Dosis Chilipulver hinzu und wartete, bis das Gebräu köchelte. Sie wusch sich in der Spüle die Hände, bis das kalte Wasser ihre Finger steif werden ließ, dann trocknete sie ihre Hände mit dem Geschirrtuch ab, das auf der Arbeitsplatte lag. Sie passte auf, dass sie den Dampf nicht einatmete, der aus dem Topf emporstieg. Sidney

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