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wie Marcus Battle. In diesem Augenblick wurde ihm das schmerzlich bewusst. Ein Schauer lief ihm über den Nacken und er zitterte. Er nahm ein Gummiband von seinem Handgelenk und fixierte damit sein Haar zu einem drahtigen, schulterlangen Pferdeschwanz.

      Dann kratzte Roof sich an seinem dichten Bart und wandte sich vom Fenster ab. Seine Füße schlurften über den Betonboden, als er sich zu seiner Kleidung bewegte, die über der Rückenlehne des Schreibtischstuhls hing. Er hatte gerade Hose und Unterhemd angezogen, als es laut an der Tür klopfte.

      »Einen Moment noch«, rief er und schob einen Arm in das langärmelige karierte Baumwollhemd. Er ging zur Tür und spähte durch das Guckloch. Es war Cyrus Skinner.

      Roof schloss die letzten Perlmuttknöpfe an seinem Hemd und öffnete die Tür. Skinner nahm seinen weißen Hut ab und hielt ihn vor seine Brust.

      »Es tut mir leid, dass ich Sie so früh stören muss, General«, sagte er und betrat den Raum. »Aber ich wollte Ihnen nur kurz ein taktisches Update geben.«

      »Kein Problem«, sagte Roof. »Ich war ohnehin schon wach. Ich habe heute Nacht um zwei Uhr einen Anruf von Pierce erhalten.« Er sah auf die Uhr neben seinem Bett. Sie blinkte. Der Strom war also zwischendurch ausgefallen und inzwischen wieder da.

      »Der Spion?«

      Roof humpelte zu seinem Stuhl zurück, um seine Stiefel zu holen. »Ja.«

      »Und was wollte er?«

      »Er hatte nützliche Informationen für uns«, sagte Roof. »Er hat ihren Kommunikationsbunker gefunden und mir ihre Frequenzen übermittelt.«

      »Und wir wissen schon jede Menge über ihre Sicherheitsvorkehrungen, ihre Waffen und die Positionen der Männer am Rand des Canyons«, sagte Skinner. Eine noch nicht angezündete Zigarette hüpfte zwischen seinen Lippen auf und ab, während er sprach. »Sie waren ein Genie, das so einzufädeln. Ich muss sagen, General, ich hatte ja zuerst meine Zweifel, aber Sie hatten recht.«

      Roof ließ sich auf den Stuhl fallen und zuckte zusammen, als er den schlimmen Fuß in einen der Stiefel schob. »Vielleicht.«

      »Was meinen Sie damit?«

      Roof holte tief Luft, bevor er den anderen Stiefel anzog. »Er hat dabei einen Dweller getötet.«

      Skinner zuckte mit den Schultern. »Na und?«, fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust. »Seit wann ist es denn ein Problem, jemanden umzubringen?«

      Roof lachte. »Damit habe ich in der Tat kein Problem«, erwiderte er. »Ich wäre bestimmt nicht da, wo ich jetzt bin, wenn das der Fall wäre. In den meisten Fällen halte ich eine schöne spontane Hinrichtung sogar für den besten Weg, Ordnung und Kontrolle aufrechtzuerhalten. Aber nicht dieses Mal. Mit dem Tod dieses Dwellers hat sich Pierce selbst enttarnt. Er ist nun erledigt dort.«

      »Damit verlieren wir also unsere Augen und Ohren im Canyon«, begriff Skinner.

      »Ja, die Sache beschleunigt unseren Zeitplan«, erwiderte Roof und stand auf. »Seine Informationen werden in Kürze wertlos sein. Wie schnell können wir zuschlagen?«

      Skinner nahm die Zigarette zwischen zwei Finger und zupfte sie von seinen trockenen Lippen. Er benutzte sie als Zeigestock, während er sprach. »Deshalb habe ich so früh an Ihre Tür geklopft«, erklärte er. »Ich wollte Sie wissen lassen, dass wir früher fertig geworden sind als geplant. Ich habe Soldaten und Bosse, die sich momentan von überall her dem Canyon nähern. Die Männer aus San Antonio sind auch schon unterwegs. Wir können in anderthalb Tagen angreifen, maximal in zwei. Wir werden die Dweller ein für alle Mal fertigmachen.«

      »Sehr gut«, sagte General Roof, »sorgen Sie dafür.«

      

      Kapitel 5

      

       25. Oktober 2037, 11:45 Uhr

       Jahr fünf nach dem Ausbruch

       Palo Duro Canyon, Texas

      

      Kurz bevor er den Garten erreichte, hielt Battle inne und lehnte sich gegen eine Schwarzpappel. Lola pflückte gerade Gurken von großgewachsenen Ranken und ließ sie in einen Korb fallen, den sie in der Armbeuge trug.

      Der nächtliche Sturm war vorbei und hatte einen klaren Himmel und frische Windböen hinterlassen, die sich durch das Tal kräuselten. Battle zitterte vor Kälte und steckte die Hände tief in die Hosentaschen. Der Garten beeindruckte ihn immer noch. Er maß ungefähr einen viertel Acre und wurde mit großzügig verlegten PVC-Rohren und Tropfschläuchen bewässert, die von einer Metallzisterne am Rand des Grundstücks gespeist wurden. Der Regen aus der Nacht zuvor war ein Geschenk Gottes.

      Die Herbstfrüchte waren reif und bereit, geerntet zu werden, und Lola hatte sich freiwillig gemeldet, um zu helfen. Sie arbeitete mit drei Dwellern zusammen. Konzentriert durchkämmten sie die Ranken und Stiele. Sawyer folgte ihnen und hielt nach Gurken Ausschau, die sie möglicherweise übersehen hatten.

      In Lolas Augen strahlte eine Helligkeit, die Battle noch nie zuvor gesehen hatte. Sie schien glücklich zu sein. Ihr Hinken war verschwunden und das helle Sonnenlicht brachte ihr rotes Haar zum Leuchten. Battles Blick wurde geradezu magnetisch von ihr angezogen.

      Du solltest ihr sagen, was du denkst, flüsterte Sylvias Stimme. Es wäre bestimmt gut für dich.

      Battle schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Ich sage ihr gar nichts, antwortete er der Stimme in seinem Kopf. Er schob die Kieferknochen nach vorn, seine Schultern spannten sich.

      Doch Sylvia gab nicht nach. Ich habe es dir gesagt, flüsterte sie, und ihre Stimme erfüllte seinen Kopf. Du brauchst jemanden. Sonst verlierst du dich.

       Ich habe mich schon längst verloren. Letzte Nacht habe ich einen unbewaffneten Mann ohne guten Grund getötet. Ich bete nicht mehr, nicht um mich, nicht um irgendjemanden. Mein Glaube …

      Mein Glaube an dich ist so stark wie immer, sagte Sylvia, und eine weitere Stimme mischte sich in das Gespräch ein.

      Meiner auch. Das war Wesson. Dad, sagte er, sie hat einen Sohn. Er braucht einen Mann wie dich, der ihm hilft. Er hat doch sonst keinen Vater, der ihm etwas beibringen könnte.

      Battle zitterte erneut. Dieses Mal war nicht die kalte Brise, die durch das Tal wehte, dafür verantwortlich, es war die Stimme seines Sohnes, die er so klar hörte, als würde Wes genau vor ihm stehen und mit seinen winzigen Armen seine Beine umschlingen. Battle konnte sogar das Baby-Shampoo im Wind riechen.

      Seine Lippen formten ein unerwartetes Schmunzeln, als er daran zurückdachte, wie Sylvia immer darauf bestanden hatte, dass Wes das Baby-Shampoo nahm, obwohl er stets lautstark dagegen protestierte. Doch sie hatte ihm erklärt, es sei viel gesünder als die anderen, mit Chemikalien überladenen Shampoos. Wes und Marcus hatten gewusst, dass es einfach nur ihre Art und Weise gewesen war, die Kindheit ihres einzigen Sohnes noch ein wenig zu verlängern.

      Battle kicherte leise und lehnte sich mit der Schulter gegen den Stamm der Schwarzpappel. Seine Augen waren in die neblige Ferne gerichtet. Du hast das Shampoo zwar gehasst, sagte er, aber der Geruch war wirklich toll.

      Eine dritte Stimme mischte sich jetzt in das Gespräch in seinem Kopf ein. »Marcus?« Es war eine Frauenstimme. »Marcus Battle? Geht es dir gut?«

      Battle schüttelte sich kurz, die Erinnerungen verstoben und machten wieder dem Hier und Jetzt Platz. Lola stand direkt vor ihm und kniff besorgt die Augen zusammen.

      Er räusperte sich. »Äh, na klar«, sagte er und blinzelte, bis er Lola scharf sehen konnte. »Alles prima. Wieso?« Er stellte sich aufrecht hin und verschränkte die Arme vor der Brust.

      Lola machte einen halben Schritt auf ihn zu und wechselte dabei den Korb auf den anderen Arm. »Du hast schon wieder diese

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