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schließlich, dass dieser Ort so gut wie jeder andere war. Der Schmerz in seinem unteren Rücken hatte an der Entscheidung allerdings ebenso großen Anteil wie sein Gehirn.

      Er zog sein Hemd hoch und griff in seine schweiß- und schmutzbefleckte Hose. An seinem Bein festgeschnallt war das Geschenk, das General Roof ihm in besagter Nacht gegeben hatte. Er klappte es auf und drückte nun eine Reihe von Tasten, bevor er das Satellitentelefon an sein Ohr hob. Es dauerte einige Minuten, bis der Satellit sein Signal empfangen hatte. Als die Verbindung stand, hörte er eine Reihe verzerrter Klingeltöne.

      Der General antwortete mit einer Stimme, die noch finsterer klang als gewöhnlich. »Es ist zwei Uhr nachts«, waren seine ersten Worte.

      Der Regen nahm noch weiter zu. Die Tropfen waren jetzt schwerer und fühlten sich noch eisiger an. Pierce wischte sich das Wasser aus den Augen. »Ich habe ihre Kommunikationszentrale gefunden. Sie arbeiten mit klassischen Funkgeräten. Ich habe die Frequenzen.«

      »Her damit«, sagte der General schon deutlich wacher. »Geben Sie sie mir.«

      »Vier siebenundsechzig Punkt achtundfünfzig fünfundsiebzig«, antwortete Pierce. »Vier zweiundsechzig achtundfünfzig fünfundsiebzig. Vier vier sechs null null vier sechsundvierzig fünf.«

      »Nur so wenige Frequenzen?«

      »Soweit ich das mitbekommen habe, ja.«

      »Sie müssen also eine Reichweite von ungefähr zwei Meilen haben.«

      »Das weiß ich nicht.«

      »Und die Geräte funktionieren?«

      Pierce hockte sich hin und verlagerte sein Gewicht auf seine Fersen. Er hielt sich eine Hand vor sein Gesicht, um es etwas vor dem Regen zu schützen und versuchte mit der anderen Hand, das Telefon fester an sein Ohr zu pressen. Die Regengeräusche übertönten das Gespräch beinahe. »Wie bitte?«

      »Die Geräte funktionieren?«

      »Sieht ganz so aus«, sagte Pierce. »Sie haben einen Generator, der die Batterien auflädt.«

      Das Signal begann bereits, schwächer zu werden. »Sind Sie schon aufgeflogen?«

      Pierce wandte den Windböen, die durch den Canyon fegten, den Rücken zu. »Nein.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Ich musste einen Mann töten«, gab Pierce daraufhin zu. Sein Körper zitterte unwillkürlich vor Kälte.

      »Das ändert die Lage.«

      »Ich kriege das schon hin«, stammelte Pierce. Seine Zähne klapperten jetzt so heftig, dass sein Kiefer anfing zu schmerzen. Innerhalb von wenigen Sekunden war die Temperatur um gefühlt fünfzehn Grad gefallen. Der Regen prasselte hinab und traf Pierces Hals und Arme mit kalten Stichen.

      Die Stimme des Generals hallte ihm digital verzerrt entgegen. »Hallo? Sind Sie noch dran?«

      Pierce nahm das Telefon von seinem Ohr und sah auf das Display, doch es zeigte kein Signal mehr an. Er schaltete das Gerät aus, trocknete den Bildschirm mit einem Hemdzipfel und stand dann auf, um es wieder in seine Hose zu stopfen.

      »Pierce?«, rief plötzlich eine Stimme hinter ihm.

      Pierce fuhr erschrocken herum und gleichzeitig durchfuhr der Hall des in diesem Moment losbrechenden Donners seinen zitternden Körper. Ein Blitz offenbarte ihm eine dunkle Gestalt, die ein paar Fuß von ihm entfernt stand. Pierce konnte die Gesichtszüge des Mannes nicht erkennen, aber er wusste dennoch, wen er vor sich hatte … und er sah auch die Waffe in dessen Hand.

      »Was machen Sie hier, Pierce?« Marcus Battle stellte diese Frage, als ob er die Antwort bereits wüsste.

      Pierce ballte die Hände zu Fäusten. Er stellte seine Füße schulterbreit auseinander und machte sich bereit für die bevorstehende Konfrontation. »Was denken Sie denn, was ich hier mache?«, fragte er. Der Regen lief ihm in die Augen, während er versuchte, die rechte Hand von Battle im Blick behalten.

      »Für das Kartell arbeiten.«

      Pierce lachte. »Sie haben die Neuigkeit ja schnell mitbekommen«, sagte er. »Ich arbeite bereits für das Kartell, seit Sie so gnädig waren, mich aus dem Jones-Stadium mitzunehmen. Sie sind also bei Weitem nicht so schlau, wie Sie denken.«

      »Sie waren also das Kuckucksei.«

      »So in der Art.«

      Battle deutete mit seiner Waffe auf den leblosen Körper am Boden. »Haben Sie diesen Dweller hier getötet?«

      Pierce nahm den Blick nicht von der Waffe. »So in der Art.«

      »Ohne Grund? Einfach so?«

      Pierce schauderte vor Kälte. Regenwasser sprühte von seinen Lippen, als er ausspuckte: »Wer zum Teufel sind Sie denn, dass Sie darüber urteilen, welche Seite die richtige und welche die falsche ist? Sie sind doch nicht mehr als ein obdachloser schießwütiger Einzelgänger. Sie …«

      Das kehlige Dröhnen des Donners, der durch die Wände aus Gips, Schiefer und Sandstein hallte, verbarg den Schuss aus Battles Neunmillimeter, aber die Patrone drang direkt in Pierces offenen Mund ein und tötete ihn so unmittelbar, dass er sofort zu Boden sackte.

      »Ein obdachloser schießwütiger Einzelgänger?«, fragte Battle. Er machte einen Schritt auf die beiden Leichen zu, die auf dem überfluteten Boden des Canyons lagen, und ging in die Hocke. Er sah Pierce intensiv in die Augen. »So in der Art.«

      

      Kapitel 2

      

       25. Oktober 2037, 3:00 Uhr

       Jahr fünf nach dem Ausbruch

       Palo Duro Canyon, Texas

      Battle warf das Satellitentelefon auf den mit Holz beschlagenen Tisch, der vor Juliana Paagal stand. Es rutschte bis knapp vor die Kante und blieb dann zwischen ihren Ellenbogen liegen. Paagal saß nach vorn gebeugt da, ihr Kinn ruhte auf den Knöcheln ihrer ineinander gefalteten Hände.

      Sie war eine Frau mit königlicher Ausstrahlung, die sich ruhig und würdevoll zu bewegen wusste. Ihre tintenschwarzen kurzen Haare verliehen ihr ein jugendliches Aussehen, das über ihr tatsächliches Alter hinwegtäuschte. Ihre kaffeefarbene Haut verschmolz fast mit dem hellbraunen ärmellosen Oberteil, das über ihre schmalen Schultern drapiert war.

      Paagal, die Battle gebeten hatte, sie nur mit ihrem Nachnamen anzusprechen, hatte die abgekämpften Reisenden, ohne nachzufragen willkommen geheißen. Sie vertraute dem Urteil von Baadal, der ebenfalls zu den Dwellern gehörte, wie ihrem eigenen.

      Sie und Battle waren gerade allein in ihrem großen Zehn-Personen-Zelt. Der Regen trommelte unablässig und ohrenbetäubend gegen die roten Nylonwände. In der Mitte des großen Raums, den Paagal ihr Zuhause nannte, hing eine einsame Lampe. In der Ecke stand ein Bettgestell mit einer unbezogenen Matratze und einem klumpigen Federkissen darauf, in einer anderen ein fadenscheiniges Sofa. Ein orangefarbenes Verlängerungskabel schlängelte sich über den nackten Erdboden und lieferte gerade genug Strom, um die Lampe und eine Kochplatte, die am Rand des Tisches stand, mit Strom zu versorgen.

      »Sie hatten also recht«, sagte sie, und ihre eisblauen Augen starrten Battle, ohne zu blinzeln, und ohne den Blick auf das Satellitentelefon zu senken, an. »Er war tatsächlich ein Spion.«

      »Ich bitte um Entschuldigung dafür, dass ich ihn hierher gebracht habe«, sagte Battle. »Es ist meine Schuld.«

      Paagal schüttelte den Kopf und lächelte. Ihre Augen wurden schmal, als sie weitersprach. »Es war nicht Ihre Schuld, Marcus. Ich bin diejenige, die euch gestattet hat, zu bleiben. Die Schuld liegt also ganz bei mir.«

      »Er hat eine Ihrer Wachen getötet«, erklärte Battle jetzt. »Ein paar Meilen von hier entfernt in einem Kommunikationsbunker. Ich bin ihm leider nicht nahe genug auf den

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