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ihr nicht mehr so häufig miteinander telefoniert wie nach der Geburt der Zwillinge?«

      »Nein, schon lange nicht mehr. Linde lebt in ihrer Welt, ich in meiner. Es hat wohl nicht sollen sein.«

      »Christian«, Bettina hatte auf einmal einen fürchterlichen Verdacht, »wann wirst du abreisen?«

      Als sei es die selbstverständlichs­te Sache der Welt antwortete er ganz ruhig: »Am Sonntag, ich werde den Transport mit den Medikamenten und medizinischen Geräten begleiten, dann habe ich gleich alles unter Kontrolle. Und deswegen will ich auch gleich nach dem Frühstück aufbrechen. Eigentlich hätte ich längst weg sein müssen, ich wollte aber mit dir allein sein, um dir das alles in aller Ruhe erzählen zu können, von daher bin ich froh, dass Jan abreisen musste. Er ist im Übrigen ein ausnehmend sympathischer Mann, so natürlich und normal. Kein Mensch würde glauben, dass er mehrfacher Millionär ist, das kehrt er überhaupt nicht heraus. Ich finde, ihr passt sehr gut zusammen, du bist auch sehr bodenständig und liebst das einfache Leben.«

      »Ja, Jan ist ein Glückstreffer für mich, traurig macht mich nur, dass er so viel unterwegs ist, aber er ist halt kein Beamter im Bauamt, sondern freier Journalist. Ich werde damit leben müssen, ihn mit der großen, weiten Welt zu teilen.«

      »Umso schöner ist das Wiedersehen«, versuchte er sie zu trösten.

      Dann sprachen sie noch über Malawi, und was seine Aufgaben in dem Hospital dort sein würden.

      Bettina wurde immer trauriger, denn sie hätte mit allem gerechnet nur nicht damit, Christian nach so kurzer Zeit schon wieder zu verlieren.

      Gut, er hatte geplant, nur ein Jahr wegzubleiben, doch ein Jahr konnte lang sein, ganz besonders, wenn man gerade dabei war, sich kennenzulernen, Christian war schließlich erst vor nicht allzu langer Zeit in ihr Leben geschneit, nachdem er kurz vor dem Tod seiner vermeintlichen Mutter erfahren hatte, wer seine wirkliche Mutter war.

      Er würde ihr wirklich fehlen, und glücklich machte es sie nicht, dass er so weit weg ging. Ihr wäre es lieber gewesen, er hätte sich in Fahrenbach niedergelassen, Linde und er wären ein Paar geworden.

      Doch diese Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle gab es halt nicht im wahren Leben.

      »Und Linde?«, wagte sie einen neuerlichen Vorstoß.

      »An sie werde ich mich erinnern wie an einen schönen Traum. Von Jean Paul gibt es einen sehr schönen Satz: Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann.«

      »Das klingt ein wenig bitter, Christian, und auch so schrecklich endgültig.«

      Er strich Butter auf sein Brötchen, die Leni extra für sie aufgebacken hatte.

      »Bettina, ich bin Realist, ich kann ermessen, wann ein Spiel verloren ist. Linde ist in ihren Strukturen verhaftet und wird ihren Ehemann niemals loslassen. Bei ihr die zweite Geige zu spielen, wenn überhaupt, wäre für mich einfach zu schmerzlich.«

      »Aber sie hat Martin sehr geliebt, sie kann ihn nicht einfach aus ihrem Leben streichen.«

      »Das soll sie auch nicht, aber solange sie ihn auf einen Altar stellt und nicht loslassen kann, ist sie nicht reif für eine neue Bindung, wenn es denn überhaupt jemals sein sollte. Ich wünsche es ihr, auch für ihre Kinder wäre es besser, wenn sie nicht nur mit ihrer Mutter aufwachsen, sondern auch mit einem Vater. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich hatte niemals einen Vater und habe ihn schmerzlich vermisst. Gerade Jungen brauchen eine männliche Bezugsperson.«

      Die du so gut hättest sein können, dachte Bettina.

      Bei Linde und Christian hatte der liebe Gott nicht aufgepasst und nur sehr schlecht Regie geführt, denn sonst hätte er nicht zugelassen, dass Christian nach Malawi ging.

      »Wenn du dort unten bist, Chris­tian, dann pass bitte bloß gut auf dich auf. Man weiß ja nie…«

      Er lachte.

      »Bei dem Leben dort werde ich sicherlich erhebliche Abstriche machen müssen, aber keine Sorge, liebes Schwesterlein, ich gerate da unten keineswegs unter Menschenfresser.«

      Das klang so lustig, dass Bettina lachen musste und sich dabei ein wenig entspannte.

      Es klopfte an die Küchentür, Leni kam herein.

      »Störe ich?«, wollte sie wissen.

      »Du doch nie«, erwiderte Bettina.

      Leni schwenkte eine bunte Plas­tiktüte hin und her.

      »Ich hab gestern rasch noch deine Lieblingskekse gebacken, Chris­tian. Nach Malawi wirst du sie wohl schlecht mitnehmen können, doch unterwegs kannst du sie essen, und bis Sonntag sind auch noch ein paar Tage.«

      Leni war informiert, sie war es vor ihr gewesen, aber das wunderte Bettina nicht. Die Dunkels hatten ihren aus dem Nichts aufgetauchten Bruder sofort in ihr Herz geschlossen, und er fühlte sich bei ihnen, und das war kein Wunder, wie zu Hause.

      »Danke, Leni, du bist ein Schatz.«

      Christian war aufgesprungen, auf Leni zugeeilt und hatte sie spontan in die Arme genommen.

      Thomas war auch so spontan und herzlich gewesen. Das vermiss­te sie bei Jan ein wenig, diese spontane Herzlichkeit. Er würde sich niemals zu einer solchen Umarmung hinreißen lassen, auch wenn er Leni mittlerweile richtig gern hatte.

      Aber man konnte nicht alles haben, dachte sie und biss in ihr Brötchen, auf das sie dick Lenis köstliche Himbeermarmelade gekleis­tert hatte.

      Süßes war nicht unbedingt ihr Ding, aber bei der Marmelade konnte sie nicht widerstehen, die war geradezu göttlich, gewiss lag das an dem großen Fruchtanteil, auf den Leni bei ihren Marmeladen stets achtete.

      Gerührt sah Bettina zu, wie Christian und Leni sich umarmten. Ja, er war wirklich ein ausgesprochen liebenswerter und herzlicher Mensch, der Christian.

      Wenn Frieder und Grit nur zehn Prozent seiner menschlichen Wärme hätten, wäre Bettina überglücklich.

      Aber die beiden hatten vermutlich kein menschliches Blut in sich, sondern ein Gefriermittel, so kalt waren sie.

      *

      Nachdem Christian abgereist war, Bettina hatte sich nicht geschämt, ein paar Tränchen zu vergießen, gab es für sie kein Halten mehr, sie musste hinunter zu Linde und ihr diese Neuigkeiten berichten, und das musste sie persönlich machen, das ging nicht am Telefon. Und weil es wirklich wichtig war, musste ihre Arbeit oben in der Des­tille eben warten.

      Linde war im Gasthaus und gab dem Personal Anweisungen. Als sie sah, dass Bettina allein gekommen war, erkundigte sie sich überrascht: »Wo hast du denn den Christian gelassen?«

      Bettina winkte ab.

      »Erzähl ich dir gleich.«

      Sie ging zum Stammtisch und setzte sich auf ihren Lieblingsplatz, nachdem sie sich einen Kaffee geholt hatte, schließlich kannte sie sich im Gasthaus aus, und Linde hätte einen Anfall bekommen, wenn sie darauf bestanden hätte, ihre Getränke zu bezahlen.

      Als sie mit ihren Anweisungen fertig war, setzte sie sich zu Bettina.

      »Und? Nun sag endlich, wo der Christian abgeblieben ist. Hatte er noch was zu erledigen?«

      Ganz offensichtlich hatte Linde ganz fest damit gerechnet, Christian heute noch zu sehen. O Gott, wie sollte sie der ahnungslosen Linde denn jetzt sagen, dass Christian nicht kommen würde?

      »Er ist auf dem Weg nach Hamburg.«

      Verständnislos blickte Linde ihre Freundin an.

      »Ja, wieso das denn? Wurde er zurückgerufen? Er hat mir gar nicht gesagt, dass er wieder nach Hause fährt.«

      »Er hat noch eine ganze Menge zu erledigen«, versuchte Bettina zu erklären.

      »Und warum das?«

      »Christian hat seinen Job gekündigt.«

      Linde reagierte genauso, wie sie reagiert hatte.

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