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wenn du noch Zeit brauchst, um seinen Tod zu akzeptieren, dann nimm sie dir. Hier brennt doch nichts an, Marcel und du, ihr habt alles prima im Griff, und es läuft besser als zu der Zeit, da Jörg noch hier war. Den hat das alles doch ohnehin nicht interessiert.«

      Ja, das stimmte. Als ihr Vater noch lebte, hatte Jörg ordentlich im Betrieb mitgearbeitet, doch nach Papas Tod war alles aus dem Ruder gelaufen, Jörg hatte diese idiotischen, kostspieligen Events veranstaltet, seiner Freundin Catherine gestattet, das Chateau umzugestalten und dafür Geld ausgegeben, das eigentlich nicht vorhanden war. Wenn man es so betrachtete, dann war es mit dem Chateau nur aufwärts gegangen, seit Jörg das Zepter aus der Hand gegeben hatte.

      »Und was wirst du tun?«, wollte Bettina wissen.

      »Ich werde mich in die Höhle des Löwen begeben und nach Spuren von Jörg suchen, um von ihm Abschied zu nehmen«, antwortete Doris.

      »Ich warne dich«, sagte Bettina, »du wirst nichts mehr so vorfinden, wie du es in Erinnerung hast, Ca­therine hat sich ganz speziell im rechten Seitenflügel ausgetobt.«

      Doris zuckte die Achseln.

      »Sie kann Möbel verrückt oder ausgetauscht haben, aber die Spuren von Jörg kann sie unmöglich beseitigt haben. Und wenn, dann werde ich mich ganz still in eines der Zimmer setzen und an Jörg denken. Und du, Bettina, mach dir keinen Stress, sag Marcel, was du fühlst. Er wird es verstehen.«

      Sie hatten das Haus erreicht. Marie stand bereits in der offenen Tür.

      Marie war hochrot im Gesicht, klatschte beim Anblick der beiden jungen Frauen in die Hände und rief aufgeregt: »Vite …vite.«

      »Was sagt sie?«, wollte Doris wissen.

      »Dass wir uns beeilen sollen, wahrscheinlich hat sie irgendwas auf dem Herd, das nicht länger drauf bleiben darf.«

      Bettina eilte die Stufen hoch, nahm Marie kurzerhand in den Arm.

      »Wenn du so weitermachst, bekommst du noch einen Herzinfarkt«, lachte sie. »Meine liebe Marie, wir sind kein Staatsbesuch, du musst dich für uns nicht so ins Zeug legen.«

      »Ich tue es aber gern, weil ich glücklich bin, dass endlich wieder jemand im Haus ist, den ich bekochen kann und dem es schmeckt, was ich serviere.«

      »Ich glaube, liebste Marie, es gibt auf der ganzen Welt keinen Menschen, der von deinen großartigen Kochkünsten nicht begeistert wäre.«

      Sie gingen ins Haus, und schon in der Diele roch es so köstlich, dass Bettina das Wasser im Munde zusammenlief.

      Sie freute sich auf das Frühstück, und ganz besonders auf einen riesigen Café au Lait, der nirgendwo so gut schmeckte wie in Frankreich.

      Essen hält Leib und Seele zusammen, würde Leni jetzt sagen, und das wollte sie beherzigen. Nach einem guten Frühstück würde sie das bevorstehende Gespräch mit Marcel ganz anders überstehen.

      *

      Nach dem wirklich köstlichen Frühstück, für französische Verhältnisse viel zu opulent, denn die Franzosen begnügten sich ja meist mit einem Kaffee und einem Croissant, machte Bettina sich auf den Weg. Sie wollte es hinter sich bringen.

      Der Winzereibetrieb lag rechts vom Chateau, keine zweihundert Meter entfernt, und war durch eine breite Schotterstraße zu erreichen.

      Bettina atmete tief durch, ehe sie das langgestreckte Gebäude betrat, das hinter dichten alten Nussbäumen versteckt lag.

      Marcel war bereits in seinem Büro, in dem er schon immer gesessen hatte, bereits zu Lebzeiten ihres Vaters.

      Bettinas Vorschlag, in Jörgs Büro überzuwechseln, hatte er schlichtweg abgelehnt.

      »Welchen Sinn soll das haben?«, hatte er gesagt. »Ich mache dort meine Arbeit auch nicht besser als hier. Ich bin mit dem, was ich habe, zufrieden.«

      Das war so typisch Marcel, ein anderer wäre sofort in das wesentlich größere und komfortablere Büro übergewechselt. Für Marcel hatten solche Äußerlichkeiten überhaupt keine Bedeutung.

      Bettina begrüßte ihn, dann setzte sie sich hin.

      »Mein Steuerberater hat die Unterlagen durchgesehen, die du geschickt hast. Er war beeindruckt, denn die Umsatzsteigerung ist mehr als beachtlich. Ich gratuliere dir auch, von solchen Umsatzzuwächsen kann ich nur träumen.«

      »Lass gut sein« , wehrte er sofort ganz bescheiden ab, »es ist keine Meisterleistung, einen heruntergewirtschafteten Betrieb wieder auf halbwegs normale Umsätze und Erträge zu bringen, die Messlatte lag nicht besonders hoch.«

      »Sei nicht so bescheiden, Marcel. Du hast fast ein Wunder vollbracht, denn wenn du nicht gewesen wärst, gäbe es das Weingut nicht mehr. Wie du weißt, hat Jörg nicht nur unvernünftig viel Geld herausgezogen, sondern auch noch den wichtigsten Kunden vergrault.«

      »Schwamm darüber, weißt du, Bettina, manchmal denke ich, dass Jörg all die unvernünftigen Dinge nur gemacht hat, weil er unbewusst ahnte, dass er nicht mehr lange leben würde … An sich war er ein guter Kerl, halt nur ein wenig leichtsinnig. Es ist schade um ihn, Gott hab ihn selig.«

      Gab es wirklich so eine Art Vorahnung, die einen verrückte Dinge tun ließ, ehe alles vorbei war?

      Wenn es so war, dann …

      Nein!

      Sie wollte an so etwas nicht denken, schnell lenkte Bettina das Gespräch auf geschäftliche Dinge, die so oder so zu besprechen waren.

      Allmählich wurde sie ruhiger und fasste sich deswegen ein Herz, um Marcel zu sagen, wie sehr sie innerlich zerrissen war, dass sie den Tod ihres Bruders noch nicht akzeptieren wollte und dass es ihr unmöglich war, Entscheidungen als Erbin des Anwesens zu treffen, solange sie sich innerlich noch immer als Verwalterin sah.

      Doch Marcel kam ihr zuvor.

      »Bettina, sag jetzt nichts. Ich spüre, dass du noch nicht so weit bist. Lassen wir es also beim Alten und planen nur Schritt für Schritt.«

      Es war unglaublich, das hatte er ihr angemerkt? Marcel war wirklich ein ganz außergewöhnlicher Mensch.

      »Danke, Marcel«, sagte sie leise. »Es ist mir in der Tat lieber, jetzt nichts übers Knie brechen zu müssen … Ich weiß zwar, dass ich seine Erbin bin, aber … Jörg ist überall noch so präsent. Rational gehört es mir, emotional noch immer Jörg.«

      Er schaute sie nachdenklich an.

      »Du kannst den Kopf aber nicht ewig in den Sand stecken, Bettina. Jörg ist tot, und je eher du das akzeptierst, umso eher kannst du anfangen, um ihn zu trauern … So ist es doch kein Zustand.«

      »Ich weiß, Marcel, du hast ja so recht. Aber ich kann einfach nicht über meinen Schatten springen. Ich bin ja so froh, dass du mich verstehst.«

      »Tu ich, und mach dir mal keine Sorgen, es läuft ja, und wir sprechen alles ab … Irgendwann wirst du wissen, was du tun willst.« Er machte eine kurze Pause, blickte sie an. »Für immer auf das Chateau zu kommen, hier auf Dauer zu leben …, Wäre das eine Option für dich?«

      »Nein«, kam es wie aus der Pis­tole geschossen. Als sie seinen irritierten Gesichtsausdruck bemerkte, ergänzte sie rasch: »Marcel, es ist alles wunderschön hier und viel größer und imposanter als der Fahrenbach-Hof. Aber dort ist meine Heimat, dort ist mein Herz zu Hause. Ich könnte den Hof niemals verlassen, für nichts auf der Welt.«

      »Schade«, entgegnete er, »du würdest gut hierher passen, aber ich kann dich verstehen. Du bist halt jemand, der nichts halbherzig macht … Es wird dir für das Chateau schon eine Lösung einfallen, und wenn du willst, helfe ich dir dabei.«

      »Danke, Marcel, das zu wissen ist sehr beruhigend.«

      In den nächsten Stunden sprachen sie über geschäftliche Dinge. Glücklicherweise stimmten sie in allem überein, sodass Bettina, als sie den Winzereibetrieb mittags verließ, sicher sein konnte, dass bei Marcel alles in allerbesten Händen war. Das war mehr als beruhigend.

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