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Grüße meines Chefs oder weil ich mit auf’s Chateau komme?«

      »Für beides, Doris, für beides … Ich bin so froh, dass du mich begleitest, um meinetwillen, aber auch deinetwegen.«

      »Das glaube ich dir auch, und ich musste lange über das, was du sagtest, nachdenken. Es stimmt, dass ich einiges aufzuarbeiten habe. Ich bin nämlich wirklich eine von denen, die alles in die Schublade stecken und nach außen hin hei-tei-tei machen.

      Das Leben auf dem Chateau hat es gegeben, vielleicht komme ich dort unten dahinter, warum es so schief gelaufen ist … Alles, auch meine Ehe mit Jörg.«

      »Doris, das freut mich, und wenn ich dir helfen kann – jederzeit.«

      »Ich weiß, aber ich glaube, Bettina, da muss ich allein durch. Ein bisschen Bammel habe ich auch, Marcel, Marie und den anderen zu begegnen, mein Gott, was habe ich da herumgezickt, und außerdem …, die haben auch meine Alkoholexzesse mitbekommen, das ist mir schon peinlich.«

      »Doris, ich glaube, du machst dir unnötige Sorgen. Marcel, Marie und die anderen sind herzensgute Menschen, sie werden sich nicht nur freuen, dich wiederzusehen, sondern auch darüber, dass du es geschafft hast, aus diesem Sumpf herauszukommen, und sie werden«, Bettina musste lachen, »überglücklich sein, wenn du sie in ihrer Sprache begrüßt. Und das kannst du ja inzwischen.«

      Doris fiel in das Lachen mit ein.

      »Kann ich, auch ein Essen bestellen, nach dem Weg zum Eiffelturm fragen, aber den hat’s ja leider nicht in Bordeaux, diese Frage muss ich mir dann wohl oder übel für Paris aufheben, sollte ich da mal hinkommen.«

      »Wenn du willst, biete ich mich als Reiseführerin an, ich kenne mich da nämlich zufälligerweise ganz gut aus.«

      »Angenommen«, sagte Doris, »aber jetzt haben wir erst mal Bordeaux und das Chateau vor der Brust, stemmen wir es also, und du, meine Liebe, kannst sofort morgen früh die Tickets bestellen.«

      »Worauf du dich verlassen kannst.«

      »Bettina, auch wenn ich vielleicht die eine oder andere Träne vergießen werde, und das werde ich bestimmt, freue ich mich auf die Reise mit dir.«

      »Ich mich auch. Zum Glück kommen wir zwei ja hervorragend miteinander aus … Ich erwarte dich dann auf jeden Fall am Freitag hier auf dem Hof, und samstags geht es dann nach Frankreich – vive la France.«

      »Vive la France, ja, das habe ich in meinem Sprachkurs auch schon gelernt … Bettina, mal was anderes. Was soll ich zum Anziehen einpacken? Nur Jeans und so was?«

      »Nein, auf jeden Fall auch was Chices. Bordeaux bietet in kultureller Hinsicht eine ganze Menge, und je nachdem welche Veranstaltungen es da gibt, möchte ich abends schon ganz gern die eine oder andere besuchen, oder wir fahren einfach so in die Stadt und machen es uns nett, und da wollen wir doch nicht zwischen den hübschen Französinnen wie zwei Land­eier aussehen.«

      »Werden wir nicht«, widersprach Doris, »und das mit den hübschen Französinnen ist auch nur ein Märchen, klar gibt es da Hübsche aber nicht mehr als bei uns auch. Aber okay, ich weiß dann jetzt Bescheid und werde meinen Kleiderschrank auf den Kopf stellen, im übrigen gibt es da ja auch Geschäfte, in denen man notfalls was kaufen kann.«

      Sie unterhielten sich noch eine Weile über die Reise, und ehe sie das Gespräch beendeten, sagte Doris mit leiser, trauriger Stimme: »Weißt du, Bettina, was schön wäre?«

      Sie machte eine kurze Pause, die Bettina veranlasste zu sagen: »Nein, aber du wirst es mir verraten.«

      Doris holte tief Luft.

      »Es wäre schön, wenn es da unten ein Grab gäbe. Dann wüsste man wenigstens, wo er liegt. Es ist doch so schrecklich, nicht zu wissen, wo …«

      Ihre Stimme brach ab. Und auch Bettina konnte für einen Moment nichts sagen.

      Ja, auch sie fand es schrecklich, dass ihr Bruder Jörg irgendwo im australischen Busch nach dem Absturz der kleinen Maschine verschollen war. Auch ihr gäbe ein Grab etwas.

      »Wir werden uns damit abfinden müssen, Doris«, sagte sie.

      Doris seufzte.

      »Ich weiß, Bettina, ich weiß … Wir telefonieren wieder, schlaf gut … und danke, dass du mich mitnimmst.«

      »Gute Nacht, Doris, schlaf auch du gut«, erwiderte Bettina, ehe sie das Telefonat beendete.

      Obschon sie geschieden waren, hatte Doris den Tod ihres Ex-Mannes noch immer nicht überwunden.

      Das konnte doch nur bedeuten, dass sie ihn noch immer liebte. Vielleicht war ihr das nicht bewusst, aber auf dem Chateau würde sie gewiss Klarheit darüber erlangen, vieles würde ihr dort bewusst werden, wenn sie mit ihrer Vergangenheit konfrontiert wurde.

      Langsam ging Bettina die Treppe hinauf.

      Einer von den übrig gebliebenen Fahrenbachs war tot, eine andere hatte Liebeskummer, stand vor den Trümmern eines scheinbaren Glücks, für das sie alles aufgegeben hatte, der Dritte war größenwahnsinnig und hatte sein großes Erbe fast verzockt.

      Und sie?

      Sie hatte auch Höhen und Tiefen erlebt, aber sie stand mit beiden Beinen fest auf der Erde, und daran würde sich niemals etwas ändern. Das hatte ihr Vater ihr vorgelebt und vor ihm all die Fahrenbachs, für die Tradition mehr als nur ein Wort war.

      Bettina hatte die obere Etage erreicht.

      Und sie hatte Jan, dachte sie glücklich lächelnd, den Mann, den sie liebte, der sie liebte …, das war mehr als genug.

Wunder kennt nur die Liebe

      Bettina war diese Strecke schon so oft geflogen, doch noch niemals war ein Flug nach Paris so kurzweilig gewesen.

      Sie hatte sich mit Doris angeregt unterhalten, beide hatten mit einem bildschönen, jungen Steward geflirtet und gescherzt.

      Dann waren sie vom Flughafen Charles de Gaulle, auf dem alle internationalen Flugzeuge landeten, nach Orly gefahren, dem Flughafen, auf dem die nationalen Flüge abgefertigt wurden.

      Von Orly sollte es nach Bordeaux weitergehen.

      Da waren sie längst nicht mehr so gut aufgelegt gewesen, und das lag, weiß Gott, nicht an der öden Fahrt über den immer verstopften Ring von Roissy nach Orly.

      Nein, jetzt waren sie in Frankreich, ihrem eigentlichen Ziel, dem Chateau Dorleac, schon ein ganz gehöriges Stück näher.

      Beide fühlten sich unbehaglich, und obschon sie nicht darüber sprachen, wussten sie, dass sie an Jörg denken mussten.

      Für Doris würde es ein Wiedereintauchen in ihre Vergangenheit sein, eine Rückkehr an den Ort, an dem sie mit ihrem Ehemann Jörg gelebt hatte und an dem ihre Ehe schließlich auch zerbrochen war.

      Und Bettina?

      Die fühlte sich unbehaglich, weil sie nicht als Besucherin auf das Chateau fahren würde, sondern als Erbin, und das war ein gewaltiger Unterschied.

      Sie konnte sich über dieses Erbe nicht freuen, denn es war ihr nach dem Tod – und dass er tot war, daran durfte sie einfach nicht länger zweifeln – ihres Bruders zugefallen.

      Sie konnte damit nicht umgehen, weil sie auch Jörgs Tod nicht wahrhaben wollte und sich, so verrückt es auch war, an ein winziges Stückchen Hoffnung klammerte, er könne den Flugzeugabsturz doch überlebt haben. Doch außer ihr glaubte niemand mehr daran, vielleicht Leni, aber mit der hatte sie darüber auch nicht mehr gesprochen.

      Sie seufzte abgrundtief auf.

      Doris, die während der ganzen Zeit über ihre Stirn gegen die Scheibe des Zubringerbusses gepresst hatte, der sie nach Orly brachte, drehte sich um.

      »Ich hätte nicht mitfliegen sollen«, sagte sie düster, »ich habe mich, glaube ich, noch niemals zuvor in meinem Leben so unbehaglich gefühlt … Weißt du, Bettina, irgendwie habe ich das Gefühl, mich dort einzuschleichen.

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